Ruhig geworden ist Johannes Kresnik, der "Berserker unter den Choreografen", wie er oft bezeichnet wurde, noch immer nicht. Nachdem er im Mai 2015 mit einer sehr provokanten Arbeit (Die 120 Tage von Sodom nach Marquis de Sade und Pier Paolo Pasolini) das Publikum der Berliner Volksbühne vielfach heftig verärgerte und aus dem Zuschauerraum trieb, inszeniert er nun – freilich viel gezähmter als bei jener Orgie – die Opernuraufführung von Johannes Kalitzkes Pym als "choreographisches Theater" in Heidelberg.

Ebendort hatte in den 1970er-Jahren eigentlich auch Johannes Kresniks internationale Karriere im Sinne eines politischen Tanztheaters begonnen. Die Inszenierung wirkte als eine doch sehr freundlich aufgenommene Heimkehr an eine alte Wirkungsstätte.

Der neuen Oper von Kalitzke, der sich auch als Dirigent etwa des Klangforums Wien um die zeitgenössische Musik bemüht, liegt Edgar Allen Poes wundersame Seefahrergeschichte Arthur Gordon Pyms zugrunde – "enthaltend Metzeleien und Meutereien, Verschmachtungserscheinungen, Fahrten ins Arktische Meer, Massaker und Seenot".

Die Schiffbrüchigen

Die Meerfahrt in ferne und recht sagenhafte Länder auf verschiedenen Schiffen ist gleichzeitig aber auch eine wahre Entwicklungsgeschichte der Seele, eine Fahrt auf ein ungewisses Ziel hin, die von existenziellen Kämpfen und sexuellen Gefährdungen bestimmt ist: Kraftvolle, oft erotische Bilder sind zu erleben, wilde Albträume, Wälder von Schiffbrüchigen und Gehängten werden auf der Bühne von Mario Eisele sichtbar – die Kostüme stammen von Erika Landertinger.

Aber auch für Theorie ist hier durchaus gesorgt: Christoph Klimkes Libretto ist mit Texten über Utopien von subtilen Größen wie Walter Benjamin und Fernando Pessoa angereichert. Sie werden bei dieser Aufführung von einem Vokalquartett vorgetragen, das dem Geschehen auf dem wogenden Ozean Konturen gibt. Alle anderen Figuren verlieren sich im Ozean: mitreisende wie blinde Passagiere, Einheimische ebenso wie die Kapitäne und die wilden Piraten.

Kleine Vorgeschichte: Im Jahre 2015 hat das Heidelberger Stadttheater für seinen innovativen Spielplan den "ersten Preis der Theaterverlage" bekommen, und zwar, da es im Bereich des zeitgenössischen Musiktheaters eben gerade nicht auf nur spektakuläre Ausnahmeereignisse und Experimente Wert legte, sondern mit Beharren auf Kontinuität setzt. Johannes Kalitzkes Auftragswerk zeigt also auch die Früchte einer solch mutigen Dramaturgie. Somit: Ambitioniertes zeitgenössisches Musiktheater scheint in Heidelberg gewissermaßen solider Opernalltag zu sein.

Fürs Ensemble konzipiert

Die Oper scheint nicht nur genau mit dem Produktionsteam abgesprochen, sondern auch ganz auf das Heidelberger Sängerensemble hin konzipiert. Darunter ist – fest engagiert – der Countersopran Kangmin Justin Kim, für dessen Stimme nun Kalitzke die Titelrolle komponiert hat, also für Pym, den Helden, der in seiner Entdeckung die Kindheit entdeckt, eine Utopie, wo noch niemand war. Kalitzke interpretiert so auch den Schluss, der Jules Verne und H. P. Lovecraft zu unterschiedlichen Fortsetzungen von Edgar Allen Poes Roman angeregt hat. In der Oper endet Pym an der "Weißen Wand", dargestellt als Kind auf einem Eisfeld, gesungen von Namwon Huh. Die elektronischen Einspielungen, die freilich insgesamt ausschließlich aus Instrumentalfarben bestehen, sind in diesem Finale besonders effektvoll eingesetzt.

Das fünfte Werk

Mit Elias Grandy als Dirigent kann der Komponist durchaus zufrieden sein. Dass Johannes Kalitzke selbst immer wieder dirigiert und auch insofern ein gewitzter Routinier für zeitgenössische Musik ist, das ist seiner neuen Ozeanoper – es ist dies sein fünftes Werk für die Bühne – deutlich anzuhören. (Bernhard Doppler, 22.2.2016)