Oper Graz: Die Griechen, immer unverstanden

Die Regie scheiterte an einer pseudo-aktualisierten szenischen Darstellung der "Griechischen Passion" Bohuslav Martinůs. Musikalisch aber konnte man Maßstäbe setzen.

1848, in der heißesten Phase des griechischen Bürgerkriegs also, veröffentlichte Nikos Katzantzakis seinen Roman „Christus wird wieder gekreuzigt“, besser bekannt unter dem Titel „Griechische Passion“: In eine dörflich-griechische Enklave im osmanischen Kleinasien platzt eine Gruppe ebenfalls orthodoxer Griechen mitten in die Vorbereitungen zum nächsten österlichen Passionsspiel mit der Bitte um Asyl. Der Dynamik einer Familienaufstellung folgend verwischen sich die Grenzen zwischen Spiel und Realität zusehends, bis schließlich Manolis, der auserkorene Christusdarsteller, als Sündenbock „geopfert“ wird. Nicht ohne zuvor einen positiven Gesinnungswandel in der Dorfgemeinschaft in Bezug auf ihre schutzflehenden Landsleute herbeigeführt zu haben.

Es liegt auf der Hand, dass hier aktuelle Bezüge zur Flüchtlingsproblematik nur sehr schwer zu finden sind, spielt sich der tödliche Konflikt doch u. a. zwischen zwei agrarischen, zutiefst vom byzantinisch-orthodoxen Christentum geprägten Dorfgemeinschaften ab (beide leben ja selbst im Exil) und nicht inmitten einer aufgeklärt-säkularen Gesellschaft wie der unseren. Regisseur Lorenzo Fioroni aber folgt mustergültig den eingebürgerten sozialkritischen Prämissen des „ewig Heutigen“, wie Peter Handke dies jüngst treffend formulierte, und so gerät die Inszenierung erwartungsgemäß zur branchenüblichen „schonungslosen Abrechnung“ mit unserer Gesellschaft. So verpufft die biblische Wucht der ersten Begegnung der beiden Gruppen (grandios der Grazer Opernchor) durch eine Doppelbespielung mittels einer riesigen Bühnenleinwand vollends, die Kostüme der Schutzflehenden erinnern an eine Sternsingergruppe, deren geistlicher Anführer Fotis (ein nuanciertes Rollenporträt von Markus Butter) weniger an Moses erinnert als an das Konterfei des Benediktinerparters Anselm Grün.

Mit Gösser-Bierkiste am Lagerfeuer

Bei der nostalgischen Ministrantenlager-Szene am Lagerfeuer darf freilich eine Gösser-Bierkiste nicht fehlen, die in den Publikumsraum stürmende Polizei soll wohl vor der Willkür eines Überwachungsstaates warnen. Warum die Dorfbewohner (Wilfried Zelinka brilliert vor allem schauspielerisch als Priester Grigoris) der Ermordung von Manolios/Christus (auf hohem vokalem Niveau Rolf Romei) mit aufgesetzten Schweindlmasken beiwohnen, bleibt durchaus rätselhaft.

Auch, warum Dirk Kaftan am Pult seines klangschön und hellwach musizierenden Grazer Philharmonischen Orchesters sich für Bohuslav Martinůs Mitte der 1950er-Jahre komponierte „Urfassung“ für London entschied, die gegenüber der „Züricher Fassung“ weit weniger rund ist. Dennoch gelang es, den musikalischen Spannungsbogen zu halten. Vor allem wegen Dshamilja Kaiser als Katerina darf man von einer musikalisch überregional maßstabsetzenden Aufführung sprechen: Sie begnügte sich nicht damit, ihren „fürstlichen Mezzo“ in sämtliche Schattierungen überlegt aufzufächern, sondern gestaltete darüber hinaus ein berührendes Rollenporträt ohne plakative Klischees nach der Vorlage „von der Hure zur Heiligen“. Aktualität, kann man konstatieren, stellt sich eben am verlässlichsten mit souveräner Professionalität und humanem Atem ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.