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Clownesker Mummenschanz Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger
Sergej Prokofjews Die Liebe zu den drei Orangen ist
ein Feuerwerk, aus dem die Funken witzig, geistreich, liebenswert
rührend und immer wieder auch grotesk nur so sprühen – und
das ebenso aus dem Libretto wie aus der Partitur. Diese Oper spielt mit
den Eigenheiten und speziellen Mitteln des Theaters, musikalisch mit
stilistischer Vielfalt und szenisch mit allen möglichen und
unmöglichen Handlungen, bis hin zu Zuschauergruppen, die
streitend unterschiedliche Genres einfordern. Nicht zuletzt die Namen
der Akteure verweisen auf die Commedia dell’arte, die nicht nur als
Quelle diente, sondern durchaus auch aufs Korn genommen wird. Dabei
wird die zentrale Handlung fast nebensächlich, wichtiger sind die
einzelnen Szenen, auf die der Dichterkomponist virtuos die Ohren und
Blicke des Publikums lenkt.
Ani Yorentz (Ninetta, Prinzessin) und
Tobias Hächler (Prinz)
Hinter dem Spiel mit den
Mitteln des Theaters steckt aber auch die Frage nach dem Wirklichkeits-
und Wahrheitsanspruch, der Glaubwürdigkeit und der
Darstellungsmöglichkeiten, die die Bühne bietet. Theater ist
Theater, auch, wenn es sich noch so sehr bemüht realistisch zu
sein und Theater ist genauso Theater, wenn es sich selbst karikiert und
sich offen als künstlich, als Theatralik zeigt und dabei auch
nicht vor grotesken Überzeichnungen und haarsträubenden
Effekten zurückschreckt, um das Publikum zu verblüffen und zu
unterhalten. Diese Elemente sieht Regisseur Dominique Mentha
bei den Clowns der Zirkuswelt am intensivsten und verlegt die
Handlung für seine Neuinszenierung des Werkes am Staatstheater
Kassel mit dem einfachen Einheitsbühnenbild von Werner Hutterli
und den vielfältig-clownesken Kostümen von Anna Ardelius in
die Sägespan-Arena eines Zirkuszeltes.
Das funktioniert gut bei den quicklebendigen, lautwitzigen Szenen wie
den Ärzten, die als Weißkittel mit Schwarzkittelnasen wild
durcheinander diagnostizieren, wenn der Spaßmacher Truffaldino
aus einem Pappkarton gezaubert wird oder wenn bei den Bemühungen,
den Prinzen zum Lachen zu bringen, Clowns sich gegenseitig aufblasbare
Keulen auf die Köpfe schlagen. Köstlich, wie ein dressiertes
Zirkustier (das einzige hier), ist auch die kostümbildnerisch
herrlich gelungene Ratte und ihre Verwandlung hinter einer einfachen,
tragbaren Stoffbahn, die die Farben des Kartenspiels zeigt, mit dem der
gute Zauberer und die böse Zauberin um den Ausgang der Geschichte
gespielt haben. Die Prinzessinnen aus den Orangen sind Ballerinen, die
Wüste der Schrecken eines jeden Zirkus- und Theaterdirektors:
leere Stuhlreihen.
Wird es ernst und
gefühlsintensiv, wirkt das Zirkusgehabe allerdings fremd und
störend, denn Prokofjews Musik ist an diesen Stellen nicht
ironisch wie die wassersprühenden Tränen der Clowns,
sondern
in der stilistischen Vielfalt des ganzen Werkes für den Moment
ernst gemeint. Stellt man nun die ganze Geschichte in einen Zirkus,
nimmt man ihr einen Teil ihrer Vielfalt. Auch erscheint es eher
unwahrscheinlich, dass es Zirkusbesucher geben soll, die eine
Tragödie sehen wollen. Die Regieidee „Zirkus“ ist nun auch
wahrhaftig nicht neu und in allen möglichen Varianten ausgiebig
abgefrühstückt. Gerade in Kassel, wo während der
Sanierung des Theatergebäudes in den Jahren 2004 bis 2007 ein
Theaterzelt auf dem Friedrichsplatz als Ausweichspielstätte diente
und die reichlich genutzte Möglichkeit gab, auf die gleiche
Regieidee zu kommen. Und die These, dass die Zeit der Clowns irgendwie
vorbei ist, hat Lorenzo Fioroni mit seiner Inszenierung der Meistersinger von Nürnberg 2010
hier in Kassel ziemlich überzeugend vertreten.
Jaclyn Bermudez (Nicoletta), Johannes An
(Truffaldino), Marta Herman (Linetta, vorn)
Kurz gesagt: Die Idee funktioniert nur oberflächlich und nicht
wirklich. Das Bemühen komisch zu sein wird stellenweise sogar
etwas lästig und langweilig. Und es enttäuscht, wenn man den
feinen Witz der Musik mit eher plump-albernem Tun bebildert sieht. Das
ist dann doch etwas zu kurz gedacht. Als prägnantes Beispiel sei
der Auftritt der Köchin genannt: Zunächst wird ein
überdimensionaler Kochlöffel durch den Vorhang der
„Bühne auf der Bühne“ geschoben. Wenn die als
übermäßig dick ausstaffierte Dame erscheint, rückt
sie erst einmal ihren gewaltigen Busen, die Wäsche im Schritt und
die Frisur zurecht. Mit versteinerter Mimik wirkt die ganze Szene
marionettenhaft, vielleicht auch pantomimisch angehaucht, aber nicht
wirklich komisch – auch nicht, wenn sie im
tiefsten Bass zu singen
beginnt. Fast auf den Tag genau vor 12 Jahren war diese Szene in der
Premiere der Vorgänger-Produktion als ein Kabinettstückchen
allererster Güte zu sehen: Dieter Hönigs Auftritt mit
Brioche-Frisur und Stöckelschuhen ist in Kassel geradezu
legendär und wirft einen sehr langen Schatten. In der jetzigen
Produktion ist er, wie eine glückliche Erinnerung, wieder dabei
und zeigt mit seinen kurzen Auftritten als Herold/Nummern-“Girl“ was
echte Bühnenpräsenz ist.
Das zu erreichen ist bei dem
ganzen Mummenschanz für die Darsteller eine besondere
Herausforderung – müssen sie doch eher als Marionetten oder
Abziehbilder agieren. Sängerisch bleiben ihnen dennoch
Gestaltungsmöglichkeiten, zumal ihnen von GMD Patrik Ringborg das
geforderte musikalische Feuerwerk in allen Varianten geradezu
mustergültig als Klangteppich, nein, sogar als Klanggebäude
mit dem bestens disponierten Staatsorchester als Grundlage geliefert
wird. Allen voran beeindruckt Tobias Hächler mit warm-lyrischen
Tönen und seidigem Glanz als Prinz. Hee Saup Yoon lässt
sowohl als König als auch als Köchin seinen klangvollen
Bass strömen. Dass er zuweilen etwas schwerfällig klingt ist
Programm. Inna Kalinina ist eine auch stimmlich bezaubernde Zauberin
Fata Morgana neben der es Marc-Olivier Oetterli als ihr nicht ganz so
stimmstarker Widersacher nicht leicht hat. Ulrike Schneider singt und
spielt höchst überzeugend die verführerisch wirken
wollende Intrigantin Clarisse. Johannes An ist ein auch stimmlich
quicklebendiger Truffaldino, Maren Engelhardt eine fast schon zu
schön singende Smeraldina. Ani Yorentz, Jaclyn Bermudez und Marta
Herman verleihen den Prinzessinnen-Ballerinen auch stimmlich Anmut und
Liebreiz. Der von Marco Zeiser Celesti einstudierte Chor klingt
präzise, klangvoll und homogen und setzt der Produktion
musikalisch das i-Tüpfelchen auf. Wieder einmal Zirkus… Eine Regieidee, die dem Stück obendrein nicht in allen seinen Facetten gerecht wird und auch nur momentweise komisch und geistreich ist. Musikalisch aber eine quicklebendige Aufführung voller Elan mit einigen beeindruckenden gesanglichen Leistungen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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