Zwischen Treppe und Bett

Mit Anja Harteros und Piotr Beczala bietet die Bayerische Staatsoper für Verdis «Maskenball» grossartige Sänger auf. Doch die Regie verliert sich in Andeutungen und verkennt den Zündstoff des Stückes.

Marco Frei, München
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Ein dekorativer Ort für vielerlei Begegnungen: Giuseppe Verdis «Un Ballo in Maschera» an der Bayerischen Staatsoper in München. (Bild: Wilfried Hösl)

Ein dekorativer Ort für vielerlei Begegnungen: Giuseppe Verdis «Un Ballo in Maschera» an der Bayerischen Staatsoper in München. (Bild: Wilfried Hösl)

Wo sich Inszenierungen ein modernes Gewand geben, ohne den Opernstoff entsprechend zeitgemäss zu befragen, regiert schnell der Kitsch des Regietheaters: Die Mittel der Bühne erstarren zu Exponaten eines «Regiemuseums», in dem mehr bebildert und dekoriert als konzis gedeutet wird. In diese Falle tappt nun auch Johannes Erath, der mit Verdis «Maskenball» seine erste Regiearbeit an der Bayerischen Staatsoper vorlegt. Ein grosses Bett und eine noch grössere Treppe: Darauf lässt sich die Neuinszenierung dieses Dreiakters von 1859 reduzieren. Auf dieser Einheitsbühne von Heike Scheele changiert das Bühnengeschehen merkwürdig zwischen opulenter Ausstattung und halbszenischem Kammerspiel. Hier spielt sich die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Amelia (Anja Harteros), ihrem Liebhaber Riccardo (Piotr Beczala) und ihrem Gatten Renato (George Petean) ab, freilich ohne den gesellschaftskritischen Hintergrund auszuleuchten.

Dabei bilden Geschichte und Politik in Verdis Opern oft einen Subtext, der die Aussage wesentlich trägt. Im «Maskenball» geht es um nichts Geringeres als einen Königsmord, der nur wegen der Zensur kaschiert wurde: Der kunstaffine, liberale Schwedenkönig Gustav III. verwandelte sich deshalb in den Bostoner Gouverneur Riccardo. Viel dreht sich hier um Macht und Machtmissbrauch, um rein persönliche Motive des Handelns, die dem Volk schaden. Es ist jedoch nicht Riccardo, der seine Position missbraucht, sondern dessen Berater Renato, der Gatte Amelias – und Attentäter beim finalen Maskenball.

In München wird dieser Kontext allenfalls in den Kostümen von Gesine Völlm angedeutet. Sie atmen die Zeit der 1920er Jahre, womit zugleich das Attentat von Sarajevo ins Gedächtnis rückt, der Auslöser des Ersten Weltkriegs. Dieser Deutung kann man sich anschliessen – oder auch nicht, weil in Eraths Regie kaum etwas stringent durchgeführt wird. Manches erinnert an Stefan Herheim, aber wohl nur, weil Scheele und Völlm häufig mit Herheim zusammengearbeitet haben.

Immerhin wird das Liebesgeflecht zwischen den Personen solide dargestellt, wobei Erath mit Rückblenden und Ausblicken arbeitet. Gleich zu Beginn sieht man auf einem Gazevorhang den finalen Maskenball. Auch Amelias Kind huscht im ersten Akt durch die Szene: Als Renato zunächst seine Gattin umbringen möchte und nicht Riccardo, wird sie ihn anflehen, ihren Sohn noch einmal sehen zu dürfen. In dem scheinbar gespiegelten Bett, das vom Theaterhimmel baumelt, liegt bald die Leiche Riccardos, als weitere böse Vorahnung. Renato ist dagegen auch als Puppe präsent, die abwechselnd vor allem von Amelia und Riccardo gehalten wird. Soll wohl heissen: In seiner Eifersucht ist Renato ein Getriebener, gesteuert und fremdbestimmt.

Der interessanteste Einfall der Regie ist indes die Darstellung des Pagen Oscar (Sofia Fomina), eine Hosenrolle, die Verdi bewusst androgyn charakterisierte. Womöglich spielte er damit auf die Bisexualität des Schwedenkönigs Gustav an, der tatsächlich ein Verhältnis mit seinem Diener hatte. Erath skizziert sogar einen zweiten Liebes-Dreier: Auf dem finalen Maskenball wirft Oscar sich Renato um den Hals, um Riccardo zu verraten – aus Eifersucht auf Amelia. Die Wahrsagerin Ulrica (Okka von der Damerau) sieht das Drama kommen; wie ein Kassandra-Schatten bestimmt sie die Szene und erntet doch nur Spott – bis es zu spät ist. Sonst aber wirkt vieles in dieser Inszenierung statisch und ungelenk, und dieser Mangel an flexibler Agilität setzte sich leider im Dirigat von Zubin Mehta fort.

Für den früheren Generalmusikdirektor des Hauses, der entsprechend umjubelt wurde, war es – man mochte es kaum glauben – der erste szenische «Maskenball». Mehta, der im April seinen 80. Geburtstag begeht, ergründete mit dem Bayerischen Staatsorchester zwar transparent viele Details der Partitur, gleichwohl blieb die Ausgestaltung der Tempi und die dramaturgische Binnenstruktur monoton und getragen – obwohl Verdi doch im «Maskenball» gerade mit abrupten Wechseln zwischen einem verdüsterten «Macbeth»-Kolorit und leichtfüssiger Ausgelassenheit arbeitet. Diese collagehaft tragikomischen Kontraste, die Verdi als Vordenker der Polystilistik des 20. Jahrhunderts erscheinen lassen, gerieten zu unscharf. Anja Harteros leistete ein wenig Abhilfe, da sie in Sekundenschnelle zwischen lyrischer Innigkeit und dramatischer Spannung zu wechseln vermochte. Es war ihre erste Amelia, und mit Piotr Beczala als Riccardo bildete sie ein hinreissendes Paar; überdies glänzte Sofia Fomina als Oscar. Doch ein Sängerfest reicht beim «Maskenball» nicht.