Fahl-blasses Licht fällt auf eine gigantische freischwebende Treppe, ein hauchdünner Gaze-Vorhang weht sanft im Wind und nur ein großes Art déco-Bett erinnert daran, dass es hier um die große Liebe gehen soll. Die Bayerische Staatsoper inszeniert Verdis Un ballo in maschera in stummfilmhafter Eleganz und setzt dabei auf durchweg überraschende Akzente.

Am Pult steht der frühere Generalmusikdirektor Zubin Mehta, der nicht nur zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder in München dirigiert, sondern auch zum ersten Mal überhaupt einen szenischen Maskenball. Und das mit fast 80 Jahren! Wie ein Hauch gleiten die Noten über das Parkett und fegen fast alle Bedenken hinfort, dass an diesem Abend nicht das musikalische Niveau im Mittelpunkt stehen soll. Sein Dirigat ist bedacht, eher zurückhaltend, aber nicht frei von knalligen Akzenten, später auch mit maßvollen Operettenklängen, aber insbesondere mit sanfter Magie und viel Feinsinn.

Wer sich mehr Musiktheater und Verdi-Pomp erhofft hat, wurde wohl enttäuscht. Auf ganzer Linie zeigt Mehta viel Gespür für die komplexe Dramatik des Stückes und leitet sein Orchester differenziert, aber in großen Teilen auch zurückhaltend und gleichklingend an. Im Zentrum dieser Inszenierung des Maskenballs stehen eindeutig die Stimmen.

Der Gouverneur wurde mit Piotr Beczała besetzt – ein echter Glückstreffer. Der Tenor baut auf glasklare Klänge und zeigt bis zum letzten Takt hinweg kontrollierte Grandezza. Lyrisch, aber nicht sentimental, wirft er als Riccardo emphatische Schlaglichter auf die musikalische Zwitterstellung der Verdi-Oper. Dem steht Anja Harteros als umkämpfte Amelia in nichts nach. Ähnlich klar erklingt ihr zauberhafter Sopran, dem nur im ersten Akt ein wenig Unsicherheit anzumerken ist; nach der Pause allerdings reizt sie die überwältigenden Möglichkeiten ihres wechselfreudigen Organs voll aus. Perfekt ausgeformt sind ihre Bögen, klar artikuliert ihre Phrasen, doch die schönsten Momente ergeben sich im Duett mit Beczala.

Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle der von George Petean gespielte Renato bleiben. Er differenziert seine Partie mit feinfühligen Schattierungen aus und setzt die volle Kraft seines beeindruckenden Baritons nur akzentuierend ein. Auch Sofia Fomina in der Hosenrolle als Oscar kann überzeugen: Mit lockeren, fast humoristischen Koloraturen gibt die Sopranistin den szenischen Gegenpol zur Ulrica. Diese wird von Okka von der Damerau als profunde, aber auch verführerische Zauberin gespielt, die mit intensiven und durchweg ausgeglichenen Tiefen brilliert.

Leider schafft es die Inszenierung von Johannes Erath nicht, diese gesangliche Hochleistung angemessen in Szene zu setzen. Wohl nicht zu kitschig sollte dieser Maskenball sein, aber auch nicht zu viel Avantgarde, bekömmlich, aber auch nicht am brisanten Kern des einst von den italienischen Behörden bis fast zur Unkenntlichkeit zensierten Werk vorbei. Das Resultat ist nüchtern, aber auch schnell langweilig. Gespiegelt ist die große Marmortreppe, ein zweites Bett hängt von der Decke herab, immer wieder treten Doubles der Hauptdarsteller in Aktion und selbst der Chor findet sich in Videoprojekten doppelt wieder. Gut zwei Stunden bleiben, darüber nachzusinnen, was mit dem Einheitsbühnenbild dargestellt werden soll. Die Abwärtsspirale aus Lust und Vergnügungssucht, in die sich Riccardo bereitwillig begibt? Oder doch die musikalische wie auch szenische Zweideutigkeit der Oper?

Konkrete Antworten werden nicht geliefert. Zurück bleibt die durchaus profunde Idee, dass Verdis Maskenball im Kern weder in Schweden, Italien noch in Boston anzusiedeln ist, sondern an einem abstrakten Ort der menschlichen Schwäche. Das diese Inszenierung in den '20er Jahren spielt, wirkt, trotz Gesine Völlms äußerst authentischen und durchweg formidablen Kostümen, so allerdings eher wie Regietheater-Kitsch als eine stringente dramaturgische Entscheidung. Schade, denn dieses Sängerfest hätte mehr verdient.

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