Auf einem Kriegsschiff begegnen sich Tristan (Stuart Skelton) und Isolde (Eva-Maria Westbroek). In der Mitte die verzweifelnde Brangäne (Sarah Connolly). Ritterhaus
Kultur
Strahlendes Licht in dunkler Nacht: „Tristan und Isolde“ mit den Berliner Philharmonikern
  • Sandra Pfäfflin

Das Orchester ist der Star. Simon Rattle und seine Berliner Philharmoniker inszenieren Wagner. So vehement und eindringlich, so subtil und deutend, dass man manchmal versucht ist, die Augen zu schließen, sich ganz dem Orchesterklang hinzugeben, die manchmal kitschigen, manchmal nervigen Videoprojektionen einfach auszublenden.

Wagners „Tristan und Isolde“ also zur Eröffnung der Osterfestspiele in Baden-Baden, jene „seelische gewordene Handlung“, die konkrete Bilder nur schwer zu fassen vermögen, in der der Tag nur träumend zu ertragen, die Nacht zum Quell der Wahrheit wird. Und so taucht Regisseur Mariusz Trelinski alles ins Dunkel, lässt nur das grün flackernde Nordlicht die Liebesqual erleuchten.

Rückblenden in die Kindheit

Die Stimmung ist düster, depressiv, macht in jeder Sekunde klar: Tristan und Isolde sind Spielball der Macht, sind Liebende ohne eigenen Willen, die sich nie wirklich begegnen, die ihr Schicksal als Individuum zu bewältigen haben. Selbst in Momenten höchster Liebesraserei lassen Vergangenheit und nahender Tod keine Entscheidungsfreiheit. Trelinski lässt den beiden Protagonisten eine sanfte Personenführung angedeihen, eine bei der selbst große Gesten, ja selbst der Tod fast nebensächlich daherkommen. Denn eigentlich ist dieser Ausgang von Beginn an beschlossene Sache. Das suggerieren zumindest die Videoeinspielungen (Bartek Macias), die Tristan als Kind zeigen, als verlassenen Waisenjungen in von Schneeflocken umwirbelter Einsamkeit.

Kann so jemand wahrhaft lieben? Kämpfen vielleicht. Und töten. Kaltblütig den gefangenen Morold erschießen. Isolde mit einem Kriegsschiff nach Cornwall bringen. In gefilmter stürmischer See als Sinnbild des Seelenlebens. Alles nachvollziehbar, aber letztlich auch unnötig. Auch ohne doppelten Video-Boden, ohne den direkten Blick der Livekamera in die Gesichter, ohne filmische Rückblenden lässt es sich von Liebes- und Todessehnsucht erzählen. Denn dafür sorgt Wagners Musik. Und ganz und gar unnötig ist es, die Liebeslust mit flatternden Möven zu verzieren, Tristans Tod mit seinem niedergebrannten Elternhaus zu garnieren. Im wabernden Nebel das kurze Liebesglück versinken zu lassen. Oder mittels bei jedem Vorspiel auf den Gaze-Vorhang projizierten Radarschirm unheilschwanger zu unken.

Trelinski lässt alle drei Aufzüge im Kriegsschiff-Bühnenbild von Boris Kudlicka spielen: Räume voller Kälte und Düsternis, in denen eigentlich keine Liebesglut entflammen kann. Wären da nicht die wunderbaren Stimmen von Eva-Maria Westbroek und Stuart Skelton. Der Australier, manchem noch von seinem Engagement am Badischen Staatstheater erinnerlich, feiert sein Rollendebüt. Und wird dem Tristan vollauf gerecht. Gerade die lyrischen Momente gestaltet er eindringlich, verfügt über eine stimmliche Kraft, die ihn bis fast ans Ende der knapp fünfstündigen Aufführung trägt. Doch seine Konzentration liegt auf dem Gesang, weniger dem Spiel. Dies vereint Eva-Maria Westbroek kongenial. Sie ist eine stets präsente Isolde mit großer Stimme, warmer Tiefe und meist klangschöner Höhe. Sarah Connolly ist eine sichere Brangäne, Stephen Milling gibt routiniert den König Marke, während Michael Nagy in seinem Rollendebüt als kraftvoll souveräner Kurneval überrascht.

Doch wie es sich für einen Star gehört, macht das Orchester den Solisten den roten Teppich strittig. Manchmal zu aufbrausend, verdrängt Rattle die Sänger. Zu sehr hat der das gestalterische Element, die musikalische Überraschung auf seiner Seite. Denn immer wieder gewinnt er dem „Tristan“ neue Seiten ab, mal mit ganz rauen Streichern, mal mit höchst sanften Bläsern. Und das mit einer Konzentration und Kraft, die das Premierenpublikum mit jubelndem Beifall honoriert.

Themen

Kultur