Boris Godunow in Wiesbaden :
Aus flüchtigen Mönchen werden manchmal lernfähige Machtpolitiker

Lesezeit: 4 Min.
Boris Godunow (Shavleg Armasi) tritt sogar die Ikonen mit Füßen
Christian Sedelmayer inszeniert Mussorgskis „Boris Godunow“ in Wiesbaden als Sinnbild Europas, das in Anarchie versinkt. Von Zsolt Hamar wird der Abend mit kammermusikalischer Finesse begleitet.

Modest Mussorgskis Oper „Boris Godunow“ handelt vom Machtkampf in einem strukturschwachen Staat - einmal, in der Urfassung, als Herrscherdrama und alternativ, in der umgearbeiteten und um den Polen-Akt erweiterten Fassung von 1874, als Tragödie des Volkes. In jüngster Zeit bevorzugen deutsche Bühnen den Ur-Boris, teils wegen seiner moderaten Länge, teils wegen Mussorgskis eher sarkastischen Polen-Bildes. Doch das Hessische Staatstheater in Wiesbaden entschied sich in seiner gemeinsam mit dem Staatstheater Darmstadt herausgebrachten Produktion für das zweite Original, das der Patriot Mussorgski selbst als realistisches „Musikalisches Volksdrama“ bezeichnet, und worin er die Anarchieneigungen von Emanzipationsbewegungen höchst kritisch unter die Lupe nimmt. Dank einer Regie, die den Gegensatz zwischen dem wilden Russland und dem zivilisierten Polen zu einem universalen weitet, und einer kammermusikalisch luziden Ensembleleistung unter der Leitung des scheidenden Generalmusikdirektors Zsolt Hamar gelingt ein großartiger Abend.

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