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Revolutionäre Inbrunst. Siyabulela Ntale als Gutenberg mit dem Opernchor des Theaters Erfurt.

© Martin Schutt/dpa

"Gutenberg"-Oper in Erfurt: Magie der Buchstaben

Uraufführung in Erfurt: Volker David Kirchners Oper „Gutenberg“ huldigt dem Gott aller Drucker - samt einem Epilog mit Steve Jobs.

Zwei Männer streiten sich: „Sie haben den Buchstaben das Laufen gelernt!“, schreit der eine. Er ist Propst, Vertreter der kirchlichen Macht, und er spricht von der sogenannten B42, der Bibel, die Johannes Gutenberg um 1452 erstmals mit beweglichen Lettern hat drucken lassen. Was diese Erfindung bedeutet, weiß der Propst sehr wohl: Vorbei ist es mit der jahrelangen Abschreibarbeit und der mönchischen Versenkung, die dafür nötig war. Und da kommt gleich der nächste Vorwurf: „Sie haben aus der Heiligen Schrift ein Geschäft gemacht!“ Gutenberg hat dem wenig entgegenzusetzen. Er ruft zwar: „Sie gehört den Menschen! Allen!“ Aber auf der Bühne sehen wir einen lethargischen, vom ewigen Rangeln müden Mann, keinen Kämpfer für die massenhafte Verbreitung von Wissen oder sonst wie genialen Menschen.

Mit „Gutenberg“, seinem zwölften Bühnenstück, hat der Komponist und gebürtige Mainzer Volker David Kirchner eine Oper über den mit Abstand berühmtesten Sohn seiner Heimatstadt geschrieben, das Theater Erfurt hat sie jetzt uraufgeführt: eine knappe Stunde mit neun kurzen, schlaglichtartigen Szenen aus dem Leben des Buchdruck-Erfinders. Entstanden ist das Stück bereits 2011, im Jahr des Todes von Apple-Gründer Steve Jobs. Der tritt hier auch tatsächlich auf, in einer Art Epilog im Himmel, wo er sich mit dem Buchdrucker unterhält.

Mobile Lettern treffen auf Mobiltelefone, das wirft natürlich spannende Fragen auf: Was würden sich die beiden Visionäre zu sagen haben? Wie würden sie die Tatsache kommentieren, dass auch Terroristen die neue Cybertechnik immer effektiver nutzen? Verkürzt sich mit der immer rasanteren Informationsvermittlung auch die Halbwertszeit von Weltveränderern, von 600 Jahren bei Gutenberg auf vielleicht 20 Jahre bei Jobs?

Das Problem von Kirchners Stück: Es streift diese Themen nur. Im Grunde sehen wir ein konventionelles Biopic, Gutenberg über Kreuz mit der Kirche und dem Stadtrat, auf der Flucht vor den Truppen des Kurfürsten von Nassau, während der Erscheinung einer Marienvision. Ein Leben, wie es damals Tausende geführt haben. Interessant ist es nur auf der Folie der Medienrevolution, die dieser Mann ausgelöst hat, die hier aber viel zu kurz kommt. Und Siyabulela Ntlale tut wenig, um wenigstens darstellerisch das Profil der Hauptfigur zu schärfen: So dickwanstig, wie dieser Gutenberg über die Bühne schlurft, nimmt man ihm zwar den Phlegmatiker ab, nicht aber die Verzweiflung eines Umtriebigen, der sich im Kampf mit den Obrigkeiten aufgerieben hat. Ob es wirklich so war, wissen wir nicht, aus Gutenbergs Leben ist wenig belegt, von der Quellenlage her bleibt er ein Phantom – und berührt sich damit auf eigentümliche Weise mit Steve Jobs.

Ein Mann, dem Untergang geweiht

Kirchner, der auch sein eigener Librettist ist, hat sich entschieden, ihn als Gebrochenen, dem Untergang Geweihten darzustellen. Ein legitimer Zugriff, der gleichwohl mit dem historischen Gutenberg wenig zu tun haben dürfte. Moderne Sätze wie „In Wahrheit bangt ihr doch nur um euer Herrschaftswissen“ können der Denkwelt des 15. Jahrhunderts nur aufgepfropft sein.

Kirchners Lehrer an der Musikhochschule Köln war in den 60er Jahren Bernd Alois Zimmermann, und auch den Mitteln, mit denen Krzysztof Penderecki heute moderne sakrale Musik schreibt, fühlt er sich nah. Man hört beide Einflüsse. Seine Partitur ist stärker als die dramaturgische Gesamtanlage, vor allem die ständig präsenten Sekundreibungen, mit denen das Stück schon im Solofagott eröffnet, schaffen eine Atmosphäre der Beklemmung und Unruhe (musikalische Leitung: Samuel Bächli). In den überzeugendsten Szenen der Inszenierung von Martina Veh treten die Sänger – so Julian Freibott als Propst, den Kirchner konsequent „Probst“ schreibt – hinter eine Leinwand, auf der sie plötzlich als von Fettfilm animierte Figuren im historischen Gewand wieder auftauchen. Die Szene bekommt dadurch eine geschichtliche Tiefe, die sie sonst nicht hat, und zugleich eine spielerische Leichtigkeit. Hier kann Gutenberg Lettern an die Wand werfen, einem kleinen Jungen zeigen, wie „Amen“ zu „Namen" wird. „Buchstaben sind magisch“, erklärt er. Da schimmert es immer wieder kurz auf, das doch eigentlich fundamentale Thema von Wissen und seiner Vermittlung. Warum verschenkt es der Komponist im Rest des Abends?

Auch wirkt die Gutenberg-Jobs Begegnung angehängt, nicht aus dem Stück entwickelt. Gutenberg, wohl als Alter Ego des Komponisten, gibt sich cyberkritisch. „Ist die Welt besser geworden, klüger?“, fragt er und wandelt damit fast auf den Wegen seines Widersachers, des Propstes, wenn der schreit: „Der freie Geist, das Wissen werden in Wirrnis und Selbstvernichtung enden, und Ihr habt den Weg bereitet!“ Jobs (im obligatorischen schwarzen Rolli: Markus Pohl) bleibt unverbesserlicher Idealist: Die Menschen werden lernen, die Technik sinnvoll zu nutzen. Alles nur eine Frage der Zeit.

Über die Unzulänglichkeiten des Abends war man sich in Erfurt offenbar im Klaren – und hat Kirchners Oper eine einstündige Gedankenexkursion unter dem Titel „Digitale Revolution“ vorangestellt. Sie hat nur einen Zweck: die im Stück verborgenen Anregungen zu vertiefen, Fäden ein bisschen länger zu verfolgen. Was ist Privatheit im Internetzeitalter, was würden Sie ins Jenseits mitnehmen? Ein Handy inklusive Ladegerät, ein Auto (vollgetankt), ein Schweizer Taschenmesser, eine Reiseversicherung?

„Große Fragen verlangen große Musik“, schreibt Regisseurin Martina Veh und kontrastiert Laserscans, projizierte Nuller- und Einserfluten und Selfiesticks mit Auszügen aus Bachs Johannespassion und h-Moll-Messe. Der Chor leistet Schwerstarbeit, man hört es ihm leider auch ein bisschen an, und während erörtert wird, was das Internet mit dem Ich, dem „i“ von „iPhone“ macht, verhandelt die Musik – „Et in unum Deum“ – komplizierteste theologische Fragen nach dem Wesen Christi, über die sich antike Gelehrte jahrhundertelang stritten. Das rumpelt manchmal gehörig, ist aber in seinem Anregungswert nicht zu unterschätzen – und passt zum Gründonnerstag. Schade, dass der Abend sich in zwei derart disparate Teile aufspreizt. Beide Dimensionen in einem Stück zu vereinen, das wäre die Herausforderung gewesen.

Theater Erfurt, wieder am 3., 8., 17. und 22. April sowie 8. Mai

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