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Der Traumgörge

Oper in zwei Akten und einem Nachspiel
Text von Leo Feld nach den Romanzen Der arme Peter von Heinrich Heine
und dem Märchen Vom unsichtbaren Königreiche von Richard von Volkmann-Leander
Musik von Alexander Zemlinsky

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 45 Minuten (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 16. April  2016

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Traumhaft

Von Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg

Ein Dreivierteljahrhundert musste Alexander Zemlinskys dritte Oper auf ihre Uraufführung warten. Unter Gustav Mahlers Direktion sollte das 1906 vollendete Werk an der Wiener Hofoper zur Uraufführung kommen und war für die Saison 1907/1908 bereits aufführungsreif geprobt, als Mahler seinen Posten aus den bekannten Gründen aufgab. Sein Nachfolger hatte kein Interesse daran, die Uraufführung des Werkes weiterzuverfolgen und so verschwand Der Traumgörge in einen langen Dornröschenschlaf. Erst in den 70er Jahren wurde er daraus erweckt und mit der Uraufführung 1980 in Nürnberg endgültig wachgeküsst. Die hochromantische, leidenschaftliche, sinnliche, farbenreiche und ausdrucksstarke Musik erinnert zuweilen ebenso an Wagner und Mahler wie an Humperdinck, wirkt dabei aber nicht plagiativ, sondern von ihnen inspiriert und nimmt auch Klänge voraus, die man heute mit Richard Strauss assoziiert. Die Geschichte vereint vielerlei Elemente des Fin de siècle, insbesondere der gerade aufgekommenen Psychoanalyse und Traumdeutung Freuds mit Gratwanderungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Die zunächst erwiderte, dann jedoch unglückliche Liebe des Komponisten zu Alma Schindler – der späteren Frau Gustav Mahlers, Walter Gropius’ und Franz Werfels sowie Gefährtin diverser anderer Künstler – ist ein sehr persönliches Element, das Zemlinsky in diese Oper einfließen ließ.

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Dorothea Maria Marx (Prinzessin), Robert Künzli (Görge)

Der weltfremde, verträumte Pfarrerssohn Görge lebt ganz in und mit den Büchern, die ihm sein Vater hinterlassen hat. Grete, seine Verlobte, mag ihn durchaus gern, kann aber mit seinen Geschichten und Träumereien nichts anfangen. Sie fühlt sich eher zum draufgängerischen Hans hingezogen. Doch Grete ist Görge mitsamt der Mühle vermacht worden. Kurz vor Beginn der Verlobungsfeier schläft Görge am Bach ein und träumt von einer Prinzessin, mit der er aus der realen Welt fliehen und in die Märchenwelt eingehen möchte. Die Verlobungsfeier lässt der gerade eben noch rechtzeitig aufgewachte, aber nicht erwachte junge Mann platzen und verlässt das Dorf, um die Märchen lebendig werden zu lassen. Drei Jahre später. Görge lebt als an seinen Wünschen und Träumen gescheiterter und verarmter Mann in einem Dorf, das sich einer Revolution von Bauern und Arbeitern anschließen und den gebildeten Görge dafür gewinnen möchte. Zunächst sieht er darin die Chance seines Lebens, jemand ganz Großes zu werden, erkennt aber bald die unredlichen Absichten der Plünderer. Nachdem sich böse Gerüchte und Verleumdungen breit gemacht haben, flieht er mit seiner neuen Freundin Gertraud, einer als Hexe verschrieenen Frau, mit der er sich – Außenseiter mit Außenseiterin – angefreundet hat, während die Dorfbewohner ihr Haus abbrennen. Görge kehrt mit Gertraud in sein Heimatdorf zurück, sie heiraten und bewirtschaften sehr erfolgreich die geerbte Mühle, was nicht nur ihnen, sondern auch den Dorfbewohnern zu einigem Wohlstand verhilft – auch Hans und Grete, die inzwischen ein Paar geworden sind. Görge ist scheinbar in der Realität angekommen, zumindest ist er ein anerkanntes und bedeutendes Mitglied der Dorfgemeinschaft. Aber er sieht sein Leben als Lebendigwerden seiner Träume und in Gertraud hat er die Märchenprinzessin erkannt, die ihm einst im Traum erschienen ist. Durch sie ist er „zum Leben gesundet“ und will und kann mit ihr zusammen „den Märchen lauschen“, „träumen und schweigen“, „träumen und spielen“.

Trotz der begeisterten Aufnahme bei der Uraufführung konnte sich diese Oper leider keinen Platz auf den Spielplänen sichern. Aus konzertanten Aufführungen in Frankfurt und Köln sind zwei Gesamtaufnahmen hervorgegangen, aber szenisch wurde Der Traumgörge nach der Uraufführung bisher nur 1989 in Bremen und in der Spielzeit 2006/2007 an der Deutschen Oper Berlin gespielt. Nun hat die Staatsoper Hannover dem Werk und dem Publikum  - ausgesprochen erfolgreich, um es gleich vorweg zu sagen – eine neue Chance gegeben zusammenzukommen, unterstützt durch eine sehr ansprechend gestaltete Zemlinsky-Ausstellung im Opernfoyer.

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Tobias Schabel (Mathes), Stefan Adam (Kaspar), Chor, Statisterie

Regisseur Johannes von Matuschka spielt sehr geschickt mit Traum und Realität, Rationalem und Irrationalem und lässt Traumsequenzen und reale Szenen mit- und ineinander verschwimmen. Den ersten Akt scheint Görge vollständig zu träumen. Auf der Bühne steht ein quadratischer Raum mit transparenten Wänden aus schwarzer Gaze. Eine Ecke ragt in die Mitte der Bühne, die Seiten begrenzen ebensolche Wände (Bühnenbild: David Hohmann).  Das erzeugt einerseits eine geometrisch reizvolle Wirkung und bildet andererseits verschiedene Spielräume und Realitäts- bzw. Traumebenen. Skurille Traumfiguren umstehen das in der Mitte stehende Bett, in dem Görge schläft. Eine Katze, die Grete zurück ins Haus jagt, wird zum szenischen Leitmotiv des Abends. Die inszenierte Katzenerzählung, die Dorfbevölkerung in Schwarz und die Doppelung der Grete wirken ebenso irreal wie der tanzende Hans mit Gewehr, der zum angstgeträumten Konkurrenten wird. Der Bach, den Görge bittet, ihm zu erzählen, was er in seinem Lauf alles erlebt hat, ist das ohne Matratze zum flachen Becken gewordene Stahlbett, dessen Wasser sich reizvoll in Görges Gesicht und an der Wand spiegelt. Der Auftritt der Mutter, die in diesem Wasser ertrinkt, darf wohl in der  psychoanalytischen Traumdeutung nicht fehlen, stellt sich aber nicht als zwingend notwendig dar. Wundervoll erscheint dagegen die Erscheinung der Märchenfee mit langen roten Haaren und einem üppig wallenden blauen Mantel mit langer Schleppe. (Eine wundervolle Szene musikalischer Expressivität – geradezu rauschhaft). Von dunklen Traummächten wird sie von Görge getrennt, um dann mitsamt dem mittleren Raum in den Schnürboden zu entschweben. Die etwas spielopernhafte Szene zwischen Müller/Pastor würde als ganz reale Szene den Regiegedanken stören und ist vielleicht deshalb gestrichen worden.

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Carmen Fuggiss (Marei), Edward Mout (Wirt), Corinna Jeske (Wirtin), Latchezar Pravtchev (Züngl), Tobias Schabel (Mathes), Kelly God (Gertraud), Robert Künzli (Görge), Chor

Die Dorfbevölkerung im zweiten Akt ist eine geradezu animalisch wilde, brutale Gesellschaft, kostümiert in einem Querschnitt von Ländern und Völkern, wie aus dem Fundus zusammengesucht (Kostüme: Amit Epstein). Die Seitenwände sind mit schwarzer Folie abgehängt. Auf der Bühne stehen drei Bierzeltgarnituren. Eine realistische Personenregie der groben Gesellschaft bildet einen harten Kontrast zum ersten Akt. Wobei auch dies eine Form von Traum sein kann (im Traum kann ja nun mal alles passieren). Gertraud – mit den rot gefärbten Haaren der Märchenfee, die bei ihr allerdings schon langsam auswachsen – ist die Fleisch gewordene Sinnlichkeit und schon allein daher den anderen suspekt. Görge erlebt mit ihr die Solidarität der Außenseiter, aber auch die ersten echten Gefühle realer Zuneigung und körperlicher Zärtlichkeit – eine betörend schöne Szene. Ganz besonders stimmungsvoll beleuchtet, zeigt sich die Szene, in der Gertraud und Görge ein Pfingstfeuer zu erkennen glauben, das dann aber zu dem Feuer wird, mit dem man Gertrauds Haus anzündet. Geschlagen, vielleicht auch geschändet, kann Görge sie retten, während die wildgewordenen Dorfbewohner in die Starre eines lebenden Bildes verfallen.

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Christopher Tonkin (Hans), Solen Mainguené (Grete), Robert Künzli (Görge), Chor

Das Nachspiel bietet dem Zuschauer die Projektionsfläche verschiedener Interpretationsmöglichkeiten. Vor einem schwarzen Rundhorizont fallen vom Schnürboden schneeartige kleine Papierschnitzel. Sind es die Bücher, die der in der realen Welt angekommene Görge nicht mehr braucht? Nein, so weit geht es nicht. Görge liest in einem Buch und lässt Gertraud mitlesen. Auf dem Bett liegt der blaue Mantel der Märchenfee, darunter die Katze. Die dankbaren Dorfbewohner kommen mit weißen Blumen und Grete macht Hans eine Szene, die Görge froh sein lassen kann, dass diese Zicke ihm erspart geblieben ist. Görge besingt Gertraud als Frau Holle, die Segen über das Land schüttet – womit sich der Niederschlag erklärt. Görge und Gertraud haben erfolgreich die Mühle übernommen, sind wohlhabend geworden und führen ein reales Leben. Doch hinter dieser Fassade leben sie wie in einer Wirklichkeit gewordenen Märchenwelt. Ist Gertraud die Märchenfee oder sieht Görge sie als diese an? Egal, sie leben ihren Traum mit Leidenschaft und in tiefer Liebe zueinander. Aber diese Harmonie war dem Regieteam wohl etwas suspekt. Sie lassen nicht nur die Traumfiguren des ersten Aktes wieder erscheinen, auch die Dorfgemeinschaft des zweiten Aktes tritt erneut auf, Kaspar lässt den viereckigen Raum wieder herabschweben und Mathes schlägt Gertraud brutal zusammen, die im transparenten Raum – dem Raum der Träume? – von Görge getrennt liegenbleibt. Alle anderen drängen sich in diesen Raum und der entsetzte Görge bricht verzweifelt davor zusammen. Seine Träume sind profan geworden, das gemeine Volk ist in sie eingedrungen, hat sie erdrückt, besudelt. Armer Görge. Oder war das alles, wirklich alles, doch nur Görges (Alb-)Traum?

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Robert Künzli (Görge), Kelly God (Gertraud)

Die szenische Umsetzung lässt der Musik ihren Raum und bringt doch eigene Ideen ein, die aber nicht stören, sondern ergänzen, Bemerkenswertes aufzeigen, Gedanken anregen. Das Rauschhafte der Musik wird adäquat mit sparsamen, aber eindrucksvollen Bildern kombiniert. Das Verschwimmen der Grenzen von Fiktion und Wirklichkeit zieht den Zuschauer mit dem Sog der Musik in einen Bann, dem man sich kaum entziehen kann – und auch nicht muss oder möchte. Die Interpretationsangebote und –spielräume fordern den Zuschauer, ohne ihn zu überfordern – und das alles mit ästhetischen Bildern (und ohne Projektionen). Was will man vom Musiktheater mehr?

Die Titelpartie ist mörderisch, sowohl in den Anforderungen als auch im Umfang. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum diese Oper so gut wie nie gespielt wird, denn nicht jedes Haus hat einen Tenor wie Robert Künzli im Ensemble. Görges Traumschilderungen sind traumhaft schön, der Freiheitsgesang im zweiten Akt schallt mächtig gewaltig. Kraftvoll strahlende Töne, nachdenklich sanfte Passagen und alles, was dazwischen liegt, bewältigt Künzli mit Bravour. Eine großartige Leistung. Kelly God steht ihm als Gertraud nicht nach. Ihr großer, beseelter Sopran mit warmem, aber klarem Timbre verfügt über tausend Farben und klingt da, wo es gefordert ist, ausgesprochen sinnlich und leidenschaftlich. Solen Mainguenés heller, mädchenhafter Sopran ist geradezu ideal für die Partie der Grete. Christopher Tonkin beeindruckt nicht nur mit noblem, kultiviertem Bariton, sondern auch mit seinen Tanzeinlagen. Dorothea Maria Marx singt geradezu betörend die Märchenprinzessin, Stefan Adam ist mit gewohnt stimmkräftigem Bariton ein listiger Kaspar. Nostalgisch angehauchte Wiedersehen gibt es mit Latchezar Pravtchev als Bänkelsänger Züngl und Carmen Fuggis als Marei. Der Chor klingt kraftvoll und ausgewogen und bewältigt seine Aufgabe mit beachtlichem Engagement. Ebenso das Orchester, das mit hör- und spürbarer Leidenschaft den Rausch entstehen lässt, den diese Musik immer wieder fordert. Bei Mark Rohde ist die Partitur in den besten Händen. Mit seinem Dirigat lässt er den Sog der Musik entstehen, baut große Bögen auf, berührt mit zartesten Klängen und leidenschaftlichen Ausbrüchen und zeigt insbesondere im zweiten Akt, dass diese Musik auch Biss hat.

FAZIT

Ein ganz großer Abend, musikalisch traumhaft schön und szenisch überzeugend,   gedankenanstoßend, aber nicht aufdringlich umgesetzt. Diese Oper ist ein echtes Juwel. Diese Produktion auch.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Mark Rohde

Inszenierung
Johannes von Matuschka

Bühne
David Hohmann

Kostüme
Amit Epstein

Licht
Elana Siberski

Chor
Dan Ratiu

Dramaturgie
Christopher Baumann

 

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Chor der
Staatsoper Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover

Solisten

Görge
Robert Künzli

Gertraud
Kelly God

Grete
Solen Mainguené

Hans
Christopher Tonkin

Prinzessin
Dorothea Maria Marx

Kaspar
Stefan Adam

Mathes
Tobias Schabel

Züngl
Latchezar Pravtchev

Marei
Carmen Fuggis

Wirt
Edward Mout

Wirtin
Corinna Jeske



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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