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Tanz der Stunden als
Marionetten-Totentanz Von Thomas Molke / Fotos von Thilo Beu und Pedro Malinowski
Das Volk (Chor und Ballett) feiert Alvise (Dong-Won Seo, Mitte) und seine Frau Laura (Nadine Weissmann, Mitte) für Brot und Spiele. Die Geschichte spielt in Venedig im 17. Jahrhundert und handelt von unerfüllter Liebe, Intrigen, Verleumdung und Rache. La Gioconda lebt als Sängerin mit ihrer blinden Mutter, La Cieca, in Venedig und wird von Barnaba, einem Mitglied des Rates und Spitzel des Systems, begehrt. Doch sie liebt den Fürsten Enzo Grimaldo, der einst aus Venedig verbannt worden ist und sich nun als Seefahrer tarnt. Enzos Herz wiederum schlägt immer noch für seine ehemalige Geliebte Laura, die mittlerweile mit dem hohen Regierungsbeamten Alvise Badoèro verheiratet ist. Barnaba bietet Enzo seine Hilfe für ein heimliches Treffen mit Laura an, um zum einen Giocondas Eifersucht zu schüren und zum anderen Alvise die Untreue seiner Frau zu offenbaren. Gioconda ist von Enzos Gefühlen für Laura schwer verletzt und will zunächst die heimliche Flucht der beiden vereiteln. Dann erkennt sie allerdings in Laura die Retterin ihrer Mutter und hilft ihr zu fliehen, bevor ihr Gatte Alvise sie auf dem Schiff entdecken kann. Enzo versenkt das Schiff und kann sich rechtzeitig an Land retten. Alvise konfrontiert seine Frau mit dem Fluchtversuch und verlangt von ihr, sich durch Gift selbst zu töten. Doch Gioconda vertauscht das Fläschchen mit einem starken Schlafmittel und raubt anschließend den vermeintlichen Leichnam. Da Enzo mittlerweile verhaftet worden ist, bietet Gioconda Barnaba an, sich ihm hinzugeben, wenn er Enzo befreit. Enzo erscheint bei Gioconda und will sie zunächst töten, als er Lauras Leichnam bei ihr findet. Doch dann erwacht Laura, und beide fliehen. Barnaba erscheint, um seinen Lohn in Empfang zu nehmen, aber Gioconda ersticht sich vor seinen Augen. Wutentbrannt schleudert Barnaba ihr entgegen, dass er ihre blinde Mutter in der Lagune ertränkt habe. Barnaba (Piotr Prochera) bedrängt Gioconda (Petra Schmidt). Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka, die neben der Inszenierung auch für das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich zeichnen, haben sich entschieden, das Stück mit Blick auf die politische Perspektive in den Sozialismus der 70er Jahre im Ostblock zu verlegen, was sich zum einen in den extrem scheußlichen Farben der Kostüme und zum anderen in hässlichen mit billigem braunen Holzimitat beklebten Bühnenwänden ausdrückt. Während sich rechts und links Giocondas Wohnung mit einem schäbigen Wohnzimmer auf der rechten und einer braunen spartanisch eingerichteten Küche auf der linken Bühnenseite befindet, ermöglicht die Drehbühne, das Bild in der Mitte zwischen einem Versammlungsplatz und einem Gerichtssaal wechseln zu lassen. Die Übergänge zu Giocondas Wohnung verlaufen dabei bei dem Gerichtssaal fließend. Wenn der Chor zu Beginn des ersten Aktes Brot und Spiele feiert, treten vier Tänzerinnen und Tänzer des Ballett im Revier auf und bewegen sich mit riesigen roten Fahnen gewollt dilettantisch zum jubelnden Gesang des Chors. Das "Löwenmaul" des Dogenpalastes, ein Briefkasten, in dem Menschen im 17. Jahrhundert als Staatsfeinde denunziert werden konnten, besteht in der Inszenierung aus einer ganzen Reihe durchnummerierter Kästen, deren Inhalt von einem großen Spitzel-Apparat ausgewertet wird. Entsetzt muss Gioconda (Petra Schmidt, rechts) feststellen, dass Laura (Nadine Weissmann, Mitte) und Enzo (Derek Taylor) sich noch lieben. Nicht ganz klar wird, welches Verhältnis in der Inszenierung Gioconda eigentlich zu ihrer Mutter hat. Wenn La Cieca während der Ouvertüre mit einer blutverschmierten Binde sich den Weg zum Sessel getastet hat und die dann auftretende Gioconda berührt, schreckt diese nämlich zunächst zurück, so dass man das Gefühl hat, Gioconda sei die Pflege ihrer Mutter recht lästig. Die Massen, die Barnaba anschließend gegen Giocondas Mutter aufhetzt, zerren diese dann vor Gericht, wo Laura nicht als Bittstellerin sondern als Anwältin in schwarzer Robe die Interessen der Angeklagten vor dem Richter, ihrem Mann Alvise, vertritt und die Freilassung der Cieca erwirkt. Dass die Mutter später noch einmal im Gerichtssaal auftritt und - wie Szemerédy und Parditka im Programmheft erklären - damit eine Assoziation zur blinden Justitia herstellen soll, erschließt sich inhaltlich eigentlich nicht. Auch auf den Tod der Mutter am Ende des Stückes wird verzichtet. Dafür stirbt Gioconda nach langem Todeskampf in ihren Armen. Anders als im Libretto lässt das Regie-Team Enzo vor seiner Flucht im vierten Akt Gioconda einen Dolchstoß versetzen, weil er glaubt, dass sie für Lauras Tod verantwortlich sei. So schleppt sich Gioconda anschließend dann schwer verletzt über die Bühne, um das Gift zu trinken, das Alvise ursprünglich für Laura geplant hatte, und gleichzeitig auch noch damit Barnaba zu töten, der sie verflucht und ebenfalls tot zu Boden sinkt, bevor der Chor erneut die Bedeutung von Brot und Spielen anpreist. Gioconda (Petra Schmidt, links) stirbt in den Armen ihrer blinden Mutter (Almuth Herbst, rechts). Das wohl berühmteste Musikstück der Oper, der "Tanz der Stunden", der den meisten Besuchern entweder aus einer traumhaften Bebilderung in Disneys Zeichentrickklassiker Fantasia oder durch den Werbe-Jingle der Firma Coppenrath & Wiese bekannt sein dürfte, inszenieren Szemerédy und Parditka als Marionetten-Totentanz, bei dem der Spitzel Barnaba die Fäden zieht. Der "Tanz der Stunden" ist dabei ein unaufhaltsames Verrinnen der Zeit, was sich zum einen in den Totenmasken ausdrückt, die die Tänzerinnen und Tänzer und der Chor dazu aufsetzen, und zum anderen am rasanten Drehen der Uhrzeiger im Gerichtssaal erkennbar wird. Vor diesem Musikstück hat Laura das vermeintliche Gift getrunken und befindet sich nun im Todeskampf. Barnaba gibt beim Tanz die Bewegungen vor und wirkt dann sichtlich amüsiert, wenn sich die Figuren in abgehackten Bewegungen wie Marionetten zur Musik weiter drehen. Auch wenn die Regie-Einfälle nicht bei allen Zuschauern auf Zustimmung stoßen, gibt es am Ende für das Regie-Team nur einen vereinzelten Buh-Ruf, der im allgemeinen Applaus untergeht.
Großen Jubel ernten die Solisten
und der Chor. Petra Schmidt stattet die Titelpartie darstellerisch und stimmlich
mit großer Dramatik aus. Die Spitzentöne gelingen ihr sauber, und der lang
andauernde Todeskampf, der im Libretto zwar eigentlich nicht so vorgesehen ist,
wird bewegend von Schmidt umgesetzt. Mit Almuth Herbst hat man eine
Idealbesetzung für die blinde Mutter am Haus. Mit warm-samtigem Mezzo gestaltet
sie das große musikalische Thema zu Beginn des ersten Aktes, das im weiteren
Verlauf immer wieder vom Orchester aufgegriffen wird und Giocondas Handeln
motiviert. Dong-Won Seo kann seinem Repertoire in Gelsenkirchen mit dem Alvise
einen weiteren Bösewicht hinzufügen und überzeugt erneut mit schwarzen Tiefen
und glaubhafter darstellerischer Kälte. Auch Piotr Prochera lotet die dunklen
Seiten des Spitzels Barnaba diabolisch aus. Mit kräftigem Bariton und
selbstgefälligem Spiel gestaltet er ihn als eigentlichen Drahtzieher des
Stückes, der selbst den fiesen Alvise in seiner Bosheit noch übertrifft. Nachdem
Derek Taylor schon als Cavaradossi am Musiktheater im Revier gastierte, kehrt er
nun als Enzo Grimaldo zurück und überzeugt mit strahlendem Tenor und sicheren
Höhen. Vor allem seine bewegende Interpretation der berühmten Arie "Cielo e mar"
aus dem zweiten Akt bleibt im Ohr. Die Partie der Laura ist mit Nadine Weissmann
als Gast ebenfalls hochkarätig besetzt. Weissmann begeistert mit ihrem Mezzo
durch eine samtweiche Mittellage und glänzt außerdem mit dramatischen Höhen. Der
von Christian Jeub einstudierte Opern- und Extrachor runden mit einer dramatisch
aufspielenden Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Rasmus Baumann
den Abend musikalisch hervorragend ab.
FAZIT Musikalisch erlebt man in
Gelsenkirchen erneut ein Fest der Stimmen. Das Regie-Team konzentriert sich -
vielleicht wegen der Unmöglichkeit einer realistischen Umsetzung des Librettos -
auf den politischen Aspekt des Stückes. Was dabei optisch und szenisch
herauskommt, ist Geschmacksache.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung, Bühne und Kostüme Choreographie Chor Licht Dramaturgie
Neue Philharmonie Westfalen Ballett im Revier Opern-
und Extrachor des Statisterie des Musiktheater im Revier
SolistenLa Gioconda La Cieca, ihre Mutter Enzo Grimaldo Alvise Badoèro Laura, seine Frau Barnaba, ein Spitzel Zuàne, ein Sportler Isèpo, ein Schreiber
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