Comic-Gags und ein Pirat in Polen

(c) VOLKSOPER WIEN/BARBARA PALFFY
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Millöckers "Bettelstudent" erfreut durch eine schöne Ensembleleistung. Regisseur Anatol Preissler übertreibt es mit Verweisen auf Film und Comic.

Haltung! Würde! Adel!“, verlangt Oberst Ollendorf in scharfem Ton von seinen Adjutanten. Dass er dergleichen von seinen sächsischen Offizieren erst einfordern muss, ist natürlich eine wohlplatzierte ironische Spitze des Regisseurs und Dialogdichters Anatol Preissler gegen die deutschen Herrscher Polens anno 1704. Da hinken und trippeln die fünf ehrpusseligen Popanze mit den wuchernden Haartrachten als komische Kriegsversehrte durch die Szenerie und erinnern an jene römischen Legionäre, die im Kampf gegen das berühmte gallische Dorf ihre Prügel bezogen haben. So weit, so gut. Der Gedanke an Asterix und Obelix ist allerdings nicht weit hergeholt. Denn wenn zwei weitere subalterne Komikerfiguren wie Piffke und Puffke – hier so etwas wie foltergeile, gestrandete Galeerenwärter – einander herzhafte Keulenschläge verabreichen, wird das aus dem Graben ständig mit Paukenschlag und Vogelpfeife untermalt: Zack! Bumm! Tschilp!

Operette als Zeichentrickfilm. Spätestens dann möchte man Ollendorfs Mahnung auch dem Regisseur zurufen.

Anatol Preissler hat also für die Volksoper Millöckers „Bettelstudenten“ nicht bloß neu auf die Bühne gebracht, sondern dafür auch eine eigene Textfassung verwendet. Das wirkt im ersten Akt leider so, als würde eine altgediente, repertoireerprobte Produktion um jeden Preis mit einigen ach so aktuellen Gags aufgepeppt, die prompt unorganisch anmuten. Dass Boris Eder als Gefängniswärter Enterich, im Original ein sächsisch singender Vetter des Frosch aus der „Fledermaus“, im Outfit des „Piraten der Karibik“-Kapitäns Jack Sparrow auftreten muss, ist nur so lange lustig, bis er sich fünf Minuten später in breitestem Dialekt ausdrücklich als Wiener Variante des fiktiven Freibeuters vorstellt – woraufhin das Orchester schnell auch noch ein Stück Soundtrack zitiert.

Zweckdienlicher Charme

Das schmerzt – ebenso wie weitere Einsprengsel („Psycho“, „Anatevka“). Dabei erzählt Preissler die Geschichte sonst meist geradlinig und unverbogen – in einem Bühnenbild von etwas behelfsmäßig-reduziertem, jedoch zweckdienlichem Charme (Karel Spanhak), in dem sich Figuren in historisch definierten Kostümen von Marrit van der Burgt tummeln. Eindruck machen da auch der tadellose Volksopern-Chor und das Staatsballett, dieses mit einem anfänglichen Tanz der Marmorstatuen vielleicht noch mehr als mit dem herkömmlichen Folklorismus der großen Mazurka, die hier übrigens von Leo Delibes' „Coppelia“ ausgeborgt wird (Choreografie: Marga Render).

Also: Noch ist Polen nicht verloren – und der Grund dafür liegt vor allem an der musikalischen Seite des Abends. Unter der sensiblen Leitung von Wolfram-Maria Märtig, der auch eine Potpourri-Ouvertüre arrangiert hat, blühen nämlich melodische Elegance und tänzerische Verve von Millöckers mit Erinnerungsmotiven arbeitender Partitur aus der goldenen Ära des Genres prächtig auf. Das Volksopern-Orchester darf wohldosiert schwelgen und schmiegt sich an ein geschlossen wirkendes, stilistisch einheitliches Ensemble an – keine Selbstverständlichkeit am Gürtel. Da ist zunächst Martin Winkler als Ollendorf, dessen karottenfarbige Mähne aussieht wie das von Moses geteilte Rote Meer: Er vereint das Buffoneske gekonnt mit dem Gefährlichen – und darf sein „Schwamm drüber!“-Couplet gar in Nestroy-Manier mit aktuellen Politanspielungen würzen. Hausdebütant Lucian Krasznec als Bettelstudent Symon ist wohl kein Höhenjäger, aber ein fescher junger Mann mit unforciert-ausgeglichenem Tenor, den die wahre Liebe dann mit Anja-Nina Bahrmann vereint – sie ist eine schon etwas reif tönende Comtesse Laura. Dazu Alexander Pinderak als zuletzt siegreicher polnischer Aufständischer Janicki/Opalinski, der nicht nur die Krakauer Zitadelle erobert, sondern auch die Bronislawa von Mara Malastir. Fast einhelliger Jubel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2016)

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