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Theater-Regie auf den Spuren Belascos

MADAMA BUTTERFLY
(Giachomo Puccini)

Besuch am
29. April 2016
(Premiere am 17. April 2016)

 

 

Theater Bonn

Jeder Regisseur einer Inszenierung dieser Tragödie um die Liebes- und Entsagungsprojektionen einer jungen Geisha im Nagasaki des Jahres 1900 dürfte das Problem kennen, eine Entscheidung zwischen zwei Polen treffen zu müssen. Ausschließliche milieuaffine Wiedergabe dieser Opernkolportage an der Schnittstelle von lyrischer L’art pour l’art und perfektem Kitsch? Oder Deutung, naheliegend durch politische Aufladung des Stoffes im Kontext des amerikanischen Militärfiaskos in Asien, markiert durch Pearl Habor oder den Vietnamkrieg? Giacomo Puccini selbst würde diese Frage heute wohl kaum berühren, wäre er via Zeitreise unter uns. Als er im April 1900 in einem Londoner Theater die von dem amerikanischen Autor David Belasco eingerichtete Bühnenfassung einer zwei Jahre zuvor erschienenen Kurzgeschichte über das Schicksals der Cio-Cio-San erlebt, ist er von den dramaturgischen Künsten des Autors und den weidlich ausgebreiteten Theatereffekten à la japonaise geradezu entzückt. Und das so intensiv, wie der Puccini-Biograph Howard Greenfeld schreibt, dass der das Bühnen-Englisch nicht verstehende Komponist nicht eigentlich das Schauspiel gesehen habe, „sondern die Musik gehört, die er dazu schreiben wollte“.

Der seit 1997 am Theater Bonn engagierte Spielleiter Mark Daniel Hirsch scheint mit seiner Inszenierung der Madama Butterfly an die Story der Verwandlung eines schöne Gefühle erzeugenden Schauermärchens in einen Hit des Verismo anknüpfen zu wollen. „Ich will die Geschichte so erzählen“, umschreibt er seinen Ansatz, „wie sie geschrieben wurde. Nur so kann man nach meiner Meinung mit Puccini umgehen.“ Entflammt der Komponist zu London seinerzeit angesichts eines Szenarios von Blumengärten, Reisfeldern, idyllischen Seen mit Fischerbooten und dem Fujiyama samt Schneebedeckung für die Stereotype Nippons, geht Hirsch jetzt in Bonn mit seinem Bühnenausstatter Helmut Stürmer und dem für die Kostüme verantwortlichen Dieter Hauber prinzipiell nicht weiter. Und erstickt jeden Ansatz des sogenannten Regie-Theaters im Keim.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Mobile Schiebewände ermöglichen unterschiedliche Ansichten und Formate des Hauses samt Gebetsschrein, in dem die Geisha lebt, die Heiratsvermittler Goro und Pinkerton, Leutnant der US-Marine, erwartet. Im Hintergrund sind das Meer und der Passagierdampfer des Glückssuchers vor dem Hafen zu sehen, mal – je nach Stimmung – verlockend weit oder drohend nah. Max Karbes einfühlsame Lichtregie sorgt für die emotionale Verdichtung ergreifender Momente – so in der Umkleideszene der Cio-Cio-San vor der Liebesnacht des Paares oder der Tötungszeremonie, mit der das Drama stilecht in japanischer Tradition endet. Insgesamt entsteht so eine eigentümliche, das Publikum packende Atmosphäre, in der das Glück nie ein wirkliches, geschweige dauerhaft stabiles ist, in der Verzicht und Tod von einer Würde geadelt werden, die dem Abgesandten aus dem fernen Amerika, der Moderne, von vornherein verschlossen zu sein scheint. Die Verfremdung des Ganzen erhöht Hirsch durch Verwendung von Stilmitteln des Kabuki-Theaters. Insbesondere ins Auge fällt dabei ein in totales Schwarz gewandeter stummer Bühnendiener, der im Personal des Librettos von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nicht vorgesehen ist.

Foto © Thilo Beu

Musikalisch ist die Aufführung auf hohem Puccini-Level. Das Team hat sich für eine zweiaktige Fassung der Komposition entschieden, was dem Drama in Dichte der Handlung und Verdichtung des ohnehin schon mächtigen musikalischen Ausdrucks gut bekommt. Das übrigens ungeachtet der Tatsache, dass eine solche Version bei der Uraufführung 1904 in Mailand für den Komponisten zum größten Debakel seines Lebens wurde, aus dem wiederum die heutzutage gemeinhin übliche dreiaktige Neufassung erwuchs. Die feierte seit ihrer Premiere noch im selben Jahr in Brescia Triumph um Triumph. Puccini ist in Madama Butterfly, mehr noch als in seinen weiteren Opern, ein Frauenversteher, besser Frauenverehrer. Er zeichnet die Exotik der Lebensverhältnisse der jungen Geisha und ihrer Dienerin Suzuki, wie insbesondere ihr Blumen-Duett im zweiten Akt ausweist, mit einer besonderen Inbrunst und sehr beachtlichen Einfühlsamkeit. Getragen von diesem Bonus, wird die Aufführung im Theater am Boeselagerhof zu einer sera di donne.

Yannick-Muriel Noah in der Titelpartie, vor der Aufführung als leicht indisponiert angekündigt, avanciert als Sängerin wie als Schauspielerin zu einer überzeugenden Erscheinung – jene Unterschiede trotz Kimono- und Schminkmaskerade fast zum Vergessen bringend, die natürlich in Relation zu der jungen, fragilen Frau bestehen, die im Stück von Belasco das Publikum zu Tränen rührt. Sie beherrscht die gesamte Palette dieser Figur vom bebenden Verlangen über das jähe Aufbegehren einer verletzten Seele bis hin zur verzweifelten Entsagung eines gequälten „Schmetterlings“ mit einer stets präsenten variantenreichen, artistisch wie technisch ausgereiften Sopranstimme, letztlich ungebrochen bis zum großen Finale. Die vokale Wärme, die diese Partie verlangt, wird insbesondere in ihrer Sehnsuchts- und Traumarie Un bel dì, vedremo levarsi un fol di fumo sull estremo zwingend manifest. So manifest, dass das Auditorium sich zu einem spontanen Jubel aufschwingt. Susanne Blattert agiert mit ihrem warm und bestens aufgelegten Mezzosopran an ihrer Seite stimmlich souverän und im Spiel empathisch. Ihr Melos macht ihr an die Götter gerichtetes Flehen um Hilfe und wirtschaftliche Rettung zu einem kleinen extraordinären Ereignis.

George Oniani ist mit höhensicherem, kräftigem, bisweilen gar strahlendem Tenor ein formidabler Pinkerton. Anders als im Original durchläuft er bei Hirsch eine Entwicklung weg vom Yankee-Hero hin zu einer (an-)geschlagenen Figur, was sich in der Kostümierung mit Krücke und im hinkenden Auftreten manifestiert. Eine Anspielung – vielleicht die einzige und dann noch gegen den Strich der Inszenierung – auf den Niedergang der einstigen Supermacht in den letzten Jahrzehnten. Giorgos Kanaris gewinnt in der Rolle des US-Konsuls Sharpless das Publikum mit fein geführter, flexibler und nuancenreicher Baritonstimme. Die peripheren Besetzungen machen ihre Sache gut bis sehr gut – bei den Männern Johannes Mertes als Fürst Yamadori, Jonghoon You als Goro, Priit Volmer als Onkel Bonze, bei den Frauen Ji Young Mennekes als Mutter Cio-Cio-Sans und Kathrin Leidig im Part der Kate Pinkerton. Als besonders anrührend im ausverkauften Rund wird Carl Koch empfunden, der den Pinkerton-Filius gibt und in einer fast schon psychoanalytisch überhöhten Szene die weiße Uniformjacke seines Vaters überzieht und in ihr spielerisch agiert. Ein starkes Bild, das packt und zum Schweigen bringt.

Puccinis Machwerk im besten Sinne verlangt vom Orchester einen tiefen Sensus für breit angelegte lyrisch-sinfonische Klangteppiche wie die zahlreichen Anspielungen auf die fernöstliche Klangkultur, die in dieser Partitur mitunter kaum vernehmbar wie das Zitat der japanischen Kaiserhymne verwoben sind. Das Beethoven-Orchester Bonn unter Leitung seines Ersten Kapellmeisters Stephan Zilias wird dieser Anforderung mit Hingabe und Leidenschaft gerecht. Der von Marco Medved einstudierte Chor des Theaters Bonn singt und bewegt sich adäquat, verwandelt das Haus mit dem populären Summ-Chor im Übergang von der Abenddämmerung zur Nachtschwärze für einige Minuten in einen Raum der situativen Versenkung.

Oper wird hier zum Traum, was sie in ihren besten Momenten ja per se ist. Das bestätigt das Bonner Publikum – darunter viele junge Besucher – an diesem Abend mit großem Beifall für alle Akteure, allen voran die Noah angesichts auch einer physisch großen Leistung. Ein Traum, der die Kunst wohl besser legitimiert als manches kleinformatiges, interessengetriebenes Redescharmützel in der aktuellen Kulturpolitik der Bundesstadt. Nur rumsprechen müsste sich das mehr. Träume sind halt flüchtig und verletzlich wie die Seele einer jungen japanischen Frau um 1900, die einem Macho zum Spielzeug wird.

Ralf Siepmann