Der bunte Haufen nimmt Abschied

Nach zwölf Jahren feiert Dominique Mentha seinen Abschied vom Luzerner Theater mit Rossinis Europa-Satire – eine Hommage an den Geist des Ensembles und die abenteuerlustige gemeinsame Zeit.

Tobias Gerber
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Bevor sich die Wege trennen, gehen wir nochmals gemeinsam auf Reisen: «Il Viaggio a Reims» in Luzern. (Bild: Tanja Dorendorf / T+T)

Bevor sich die Wege trennen, gehen wir nochmals gemeinsam auf Reisen: «Il Viaggio a Reims» in Luzern. (Bild: Tanja Dorendorf / T+T)

Was für ein Durcheinander! In Gioachino Rossinis letzter italienischer Oper den Durchblick zu behalten, ist gar nicht einfach. In der Fülle von insgesamt achtzehn Rollen sind jedenfalls die einzelnen markant gezeichneten Charaktere sehr viel schneller greifbar als ihre gründlich verknoteten Beziehungen untereinander. Auf der Durchreise versammelt sich in einem Kurhotel in der französischen Provinz eine bunte, exaltierte Gesellschaft, angereist aus allen Ecken Europas. Doch Pferdemangel verhindert die geplante Weiterreise zur Krönung Karls X. nach Reims, so dass man sich – wohl oder übel – als Schicksalsgemeinschaft an dem Ort einzurichten versucht. Dabei sind es nicht nur die ausgeprägten kulturellen Eigenarten, die ein harmonisches Zusammensein erschweren; auch im Zwischenmenschlichen wogen bald die Leidenschaften, und die amourösen Verquickungen zeigen sich – zumal sie die Zweisamkeit gern überschreiten – herzlich unübersichtlich.

Wir üben den Stillstand

Als Herausforderung für die Regie kommt hinzu, dass Rossinis virtuose Gesangsnummern entschieden mit der aufgeregten und kurzatmigen Szenendramaturgie kontrastieren. Dominique Menthas Abschiedsinszenierung weckt denn auch zweierlei Gefühle. Zum einen besticht das Stück in Luzern tatsächlich nicht durch besondere dramaturgische Dichte. Die Dynamik, die ein von allen Seiten einströmender Chor voller kruder Clowns und die quirlige Maddalena Marie-Luise Dressens gleich zu Beginn erzeugen, ebbt schon in der ersten Arie der Madame Cortese wieder ab. Das liegt keineswegs an der souveränen Leistung von Teodora Gheorghiu, die ihre Partie im ganzen Stück fein ausgestaltet, sondern daran, dass die ganze Personnage unter dem Eindruck ihres hellen Soprans plötzlich den Stillstand übt und nur noch zuzuhören scheint.

Hommage an das Ensemble

Doch da ist eine zweite Ebene, die am Ende mehr wiegt: Mentha schafft in seiner Inszenierung für die Mitglieder seines Ensembles – heutige wie ehemalige – noch einmal Raum für einen grossen Auftritt auf dieser ihrer Bühne. Das ist eine starke Geste gegenüber seinen Luzerner Mitstreitern, die in der umkomponierten Schlussszene gipfelt. Hier bieten die Protagonisten bei Rossini ursprünglich Lieder aus ihren Herkunftsländern dar; stattdessen hat Howard Arman, der Musikdirektor des Theaters und musikalische Leiter der «Viaggio»-Produktion, das Finale neu gestaltet: mit Liedern aus der Heimat jedes Einzelnen der Luzerner Sänger. Und auch wenn diese Szene vor der Schlussarie Corrinas (von Jutta Maria Böhnert warm und klangvoll gesungen) ein bisschen lang gerät: Spielerisch und wie nebenbei hat sich Rossinis bunt gemischte Europäer-Schar hier in das beliebte Luzerner Ensemble zurückverwandelt, das mit seinem Publikum Abschied feiert.

Howard Arman prägt die Produktion entscheidend mit, und zwar nicht nur mit der Neugestaltung des Finales und als Dirigent des Luzerner Sinfonieorchesters. Er hat auch die Original-Instrumentierung bearbeitet und das Orchester dabei zu einer Art Zirkuskapelle umgedeutet. Deren Musik ist frech und gewitzt, manchmal schrill und scheppernd, immer spritzig – mit diesen Klängen im Ohr bleibt die Erinnerung an eine eigenwillige Inszenierung.