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Cecilia Bartoli als (zu) späte Maria

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Cecilia Bartoli als Maria.
Cecilia Bartoli als Maria. © Salzburger Festspiele/ Silvia Lelli

Salzburg - Premiere der „West Side Story“ bei den Salzburger Pfingstfestspielen: Kritik zu der Musical -Inszenierung mit der überrumpelnd sympathischen Cecilia Bartoli in der Hauptrolle.

Jahrzehnte-, ach: Jahrhundertelang haben wir Operngänger trainiert. Überreife Brünnhilden, die ihren Rentner-Siegfried beschmachten, an der Rampe festgemeißelte Turandots, die kurz vor der Rollator-Existenz ihre tödlichen Rätsel gellen. Und natürlich die „Rosenkavalier“-Marschallin: Eigentlich, Komponist und Textdichter haben sich das so einfach vorgestellt, ist sie ja ein Twen – nur welche blutjunge Sopranistin soll das singen können? Oper ist und bleibt also, auch was den Zusammenhang von Rollen- und wahrem Alter betrifft, Illusion. Der modernen Schwester Musical hilft das nun gar nichts: Hier gilt's dem (durchs Kino kräftig genährten) Realismus.

Natürlich weiß das auch Cecilia Bartoli. Einmal als Maria „Somewhere“ oder „Tonight“ singen, das mag ein Jungmädchentraum sein, wie sie gesteht. Doch der Vokalstar, im Nebenjob erfolgreiche Künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele, feiert am 4. Juni 50. Geburtstag. Für die „West Side Story“, gerade mit Standing Ovations in der dortigen Felsenreitschule gefeiert, braucht es also einen Kniff. Und an dem krankt die Aufführung, deren Erfolg man dieser überrumpelnd sympathischen Sängerin doch so gern gegönnt hätte.

Es gibt also zwei Marias. Michelle Veintimilla ist das Mädchen aus dem Musicalbilderbuch. Jung, hübsch, leicht entflammbar und trotzdem selbstbewusst, was sie aber singend – bis auf eine einzige Phrase an der Leiche des gerade erschossenen Tony – nicht beglaubigen darf. Denn Cecilia Bartoli ist Maria II. Als ältere, durch Bandenschlachten gestählte und gereifte Frau, erinnert sie sich an ihre Jugend, lässt die Romeo-Julia-Story, die Leonard Bernstein und Stephen Sondheim zum noch immer perfektesten Stück der Musicalgeschichte umzimmerten, Revue passieren.

Im Konzeptbuch mag das eine Lösung für den Fall Bartoli sein.

Wie eine eingekaufte Broadway-Produktion

In Salzburg, auf der Riesenbühne, erlebt man anderes. Nämlich ein Wesen, das wie ein Star-Implantat durch eine eingekaufte, ins Monumentale aufgeblasene Broadway-Produktion geistert. Mal sitzt la Bartoli auf einem Treppenabsatz und schaut zu, leidet, vor allem wenn sie ihre große Liebe Tony aus einem früheren, noch nicht bewältigten Leben begleitet. Mal erklimmt sie das riesige Treppengerüst, das Bühnenbildner George Tsypin vor die Arkaden der Felsenreitschule gebaut hat, mal spielt sie das Spiegelbild von Maria I. Nahen die Hits, wird Maria II aktiv, dann singt sie, auch im Duett – obgleich Tony 15 Meter entfernt die stumme Maria I anschmachtet.

Wenn Cecilia Bartoli dabei vergisst, dass sie eine Opernstimme hat, wenn sie weltumarmende Atmosphäre verbreitet, ist sie am besten. Doch die hochkonzentrierte Vokalenergie mit dem schnellen Vibrato, die zu musterhaft gesungenen Phrasen, all das passt kaum ins Musical. Norman Reinhardt, in den Opernhäusern als aufstrebender lyrischer Tenor gern gebucht, ist da weiter. Auch wenn sein Tony anfangs den Charme eines Anlageberaters verströmt: Reinhardt wird immer freier, lockerer, jongliert mit Tönen und Text, sodass er sich schließlich mühelos in die Banden der Jets und Sharks integriert. Die sind allesamt aufgekratzte, nimmermüde tanzende und singende Kerle mit eigenwilligem Ostküsten-Akzent (es gibt keine Übertitel, dafür eine gut ausgesteuerte Mikro-Verstärkung), George Akram als Bernardo und Dan Burton als Riff entwickeln hier ein immer kollegiales Eigenleben.

Auf der Damenseite räumt Karen Olivo als Anita ab, auch weil die Maria-Aufsplittung kaum funktioniert. Olivo gebietet wie die Kolleginnen in kleineren Rollen über eine Vokalpalette von der Minnie-Mouse-Stimme bis zum angeschmutzten Powern, so wie es nicht nur das „I like to be in America“ eben braucht. Überhaupt scheint es, als seien die Salzburger mit dem großen Besetzungskäscher einmal durch Manhattan gezogen, um sich passende Solisten zu schnappen. Ergebnis ist eine Aufführung im Charme der Fünfziger, die professionell flutscht – in den hochtourigen Tanznummern (Choreografie: Liam Steel), im Messerkampf, auch in den flotten Szenenwechseln. Das riesige teilbare Treppengerüst mit den bunten Graffiti ermöglicht das, erst recht mit seinen Setzkasten-Elementen, in denen intimere Momente passieren.

Den Drive aus dem Graben liefert das Simón Bolívar Symphony Orchestra aus Venezuela, die das, was Mambo & Co. brauchen, quasi durch frühkindliche Prägung eingeatmet haben. Gustavo Dudamel, früher einmal hemmungslos aufdrehender Jung-Maestro, bleibt cooler Steuermann: Bernstein präzise, geschärft, aber immer so lässig, leicht verschliffen, wie es diese Musik braucht. Ein-, zweimal bricht in der Premiere durch, wie eine schlüssige Bartoli-Lösung ausgesehen hätte. Vor der Disco-Szene, wenn der Star plötzlich ausgelassen tanzt, in Spurenelementen beim Finale, wenn sich Maria II und Tony unterm Dachjuchhe vor bläulichem Wabern à la „Titanic“-Finale in einer jenseitigen, besseren Welt begegnen. Vor allem aber vorher, wenn beim „Somewhere“, dem besten Moment des Abends, die Aufführung ins Surreale driftet. Und trotzdem: Die Salzburger Experimentierlust von Cecilia Bartoli – im vergangenen Jahr Glucks Iphigenie, davor Bellinis Norma – ist einzigartig. Und dass sie das Musical festspielhoffähig gemacht hat, dort, wo noch vor ein paar Jahren die Orthodoxen sogar bei Puccini die umoperierten Nasen rümpften, das kann ihr keiner nehmen. Für Entwarnung hat der Star schließlich selbst gesorgt: 2017 gibt es nicht Lloyd Webbers „Phantom der Oper“, sondern Händels „Ariodante“.

Markus Thiel

Weitere Aufführungen:

20., 21., 23., 25., 27. und 29. August; Telefon 0043/ 662/ 8045-500.

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