Bartoli singt Musical: Leider nur somehow

honorarfrei
Die Opernsängerin Cecilia Bartoli debütierte in Leonard Bernsteins "West Side Story" als Maria. Das hätte sie lieber lassen sollen.

Bartoli zählt (in ihrem Fach) zu den besten und intensivsten Sängerinnen – und generell zu den klügsten. Sie versucht auch diesmal, bei Leonard Bernsteins "West Side Story" im Rahmen der Salzburger Pfingstfestspiele, alles richtig zu machen. Um zu kaschieren, was alles falsch ist. Das kann sich nicht ausgehen. Zu vieles ist falsch an dieser Produktion. Die Besetzung. Der ganze Ansatz. Der Ort. Selbst die Fassung.

Mädchentraum

Bartoli, die diesem Festival als künstlerische Leiterin und Protagonistin regelmäßig Erfolge beschert, erfüllt sich diesmal den Traum, auf der Bühne die Maria zu singen. Philip WM. McKinley hat sein Regiekonzept ganz auf sie abgestimmt: Bartoli ist, weil sie das blutjunge Mädchen freilich nicht mehr glaubhaft gestalten kann, eine etwas reifere Maria, die sich an ihre Liebesgeschichte mit Tony in den 1950er Jahren erinnert. Wie ein Geist, unbemerkt von allen anderen, irrlichtert sie durch den Abend, ist dauerpräsent und wirft sich am Ende vor den Zug, um mit ihrem Geliebten im Tod vereint zu sein. Die amtierende Maria ist die fabelhafte Schauspielerin Michelle Veintimilla, die mit ihren Kollegen auf der Bühne interagiert und sämtliche Sprechpassagen gestaltet. Wann immer es zu singen gilt, übernimmt die Bartoli.

Fremdkörper

Nur gibt es leider nicht wahnsinnig viel zu singen. Oder zum Glück: Denn wie Bartoli diesfalls singt, passt nicht zum Rest der Produktion. Ihre Stimme ist zu schwer, das Tremolo zu stark, sie bleibt auch diesbezüglich ein Fremdkörper. "Somewhere" gestaltet sie noch einigermaßen berührend, "I feel pretty" setzt sie in den Sand. Und bei den Duetten mit Tony, der mit Norman Reinhardt zwar auch opernmäßig, aber viel passender lyrisch besetzt ist, steht Bartoli meterweit von ihm entfernt. Dadurch entstehen nie intime Momente.

Die Beste des Abends ist (abgesehen von Bartolis Alter Ego) Karen Olivo als Anita, die die dankbarste Partie hat. Sie singt und tanzt im besten Musical-Stil. Auch George Akram (Bernardo) und Dan Burton (Riff) agieren, als handle es sich um eine sehr gute Broadway-Produktion.

Die Vermischung der unterschiedlichen Stile funktioniert jedenfalls nicht. Auch der Ort ist für die "West Side Story" nicht ideal.

Bühnenbildner George Tsypin baute zwar eine riesiges, seitlich verschiebbares Gerüst in die Felsenreitschule, das verschiedene Räume schafft und durch Graffiti-Vorhänge New Yorker Atmosphäre simuliert. Das einzigartige Theater wird aber durch diese Verbauung kaum genützt. Andererseits ist auch der Showfaktor nicht hoch genug, weil man hier technisch limitiert ist. Es gibt gleichermaßen zu viel und zu wenig. Wenn zu "I wanna be in America" gerade einmal zehn Tänzerinnen auf der Breitwandbühne zu sehen sind, wirkt das mager. Tsypins Arbeit für die "West Side Story" vor 13 Jahren in Bregenz war viel spektakulärer.

Längen

Der Abend wirkt mit mehr als drei Stunden und amerikanischen Textpassagen (ohne Übertitel) wie Chewing Gum. Die Choreographien (Liam Steel) sind präzise und lassen durchaus an Jerome Robbins denken. Das Dirigat von Gustavo Dudamel am Pult des Simón Bolivar Orchestra ist wie die Bartoli sehr opernhaft, es swingt und rockt zu wenig. Zumindest dröhnt nicht annähernd so stark wie jüngst bei "Turandot" in Wien.

Aber nochmals sei betont: Es wird alles unternommen, um Problemzonen zu verbergen. Es gibt schöne Bilder, viel Bewegung, Energie, ein Schauerlebnis. Unterm Strich jedoch zu wenig Substanz in einer musikalischen Hybrid-Fassung. Und Bartoli ist bei diesem Salzburger Musical-Versuch von einer Idealbesetzung so weit entfernt wie der Gaisberg von Harlem.

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