Etwas heutiger angelegt als sonst – "Hänsel und Gretel".

Foto: Kammeroper

Wien – Die Kammeroper hat unter der Leitung von Sebastian F. Schwarz mit fantasievollen und detailschön umgesetzten Inszenierungen erfreut. Nun scheidet der künstlerische Betriebsdirektor des Theaters an der Wien Richtung Glyndebourne, quasi als Good-Bye hat Christiane Lutz Humperdincks Hänsel und Gretel in Szene gesetzt. Hat die Deutsche in der letzten Spielzeit Händels Rinaldo in einen Hitchcock-Krimi verwandelt, versetzte Lutz Hänsel und Gretel von einer Märchenwelt ins gegenwartsnahe Wien.

Peter, der Vater Hänsels und Gretels, arbeitet nicht als Besenbinder, sondern als Staubsaugervertreter; finanziell chronisch klamm ist er aber auch. Um sich diesbezüglich zu verbessern, hat er mit Freunden einen unterirdischen Stollen von seinem Büro zum Tresorraum einer nahen Bankfiliale gegraben. Diesen Geheimgang entdecken und erkunden Hänsel und Gretel, er wird zu ihrem dunklen Wald. Statt in einer Waldlichtung erholen sie sich in einer Luxusboutique, und statt eines Lebkuchenhauses erwartet sie ein Tresorraum mit reichlich Gold und Geld (Bühne & Video: Christian Tabakoff).

Räuberische Neudeutung

Die Armut bleibt der zentrale Motor der unglücklichen Geschehnisse; Geldnot und Geldgier der Eltern rücken jedoch mehr in den Fokus. Doch Lutz‘ Neudeutung raubt der Geschichte mehr, als sie ihr bringt: nämlich allen märchenhaften Zauber. Wenn man als Zuschauer statt des Sandmannes einen Grubenmann und anstelle eines Knusperhauses einen kahlen Tresorraum zu betrachten hat, so ist das vor allem für Kinderaugen so unverständlich wie enttäuschend.

Doch die Musik, die bezaubert: Das Orchester interpretiert unter Vinzenz Praxmarer die Fassung von Helga Pogatschar, und die ist wundervoll. Akkordeon, Hackbrett, Blockflöten, Harmonium und andere Instrumente schaffen eine wärmende Atmosphäre. Beim Ensemble gefällt allen voran Viktorija Bakan als natürliche Gretel, Natalia Kawalek ist eine flott gestylte Gertrud und Tobias Greenhalgh ein mächtiger Peter. Jake Arditti gibt den Hänsel zu drastisch, Thomas David Birch stößt als Knusperhexe an die Grenzen seines Stimmumfangs und seines Deutsch. (Stefan Ender, 17.5.2016)