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"Meistersinger von Nürnberg": Braucht es fürs Casting noch die alten Regeln?

Eva sucht den Superstar. Und da kommt er auch schon. Jonas Kaufmann ist der neue Münchner Meistersinger.

"Meistersinger von Nürnberg": Braucht es fürs Casting noch die alten Regeln?
"Meistersinger von Nürnberg": Braucht es fürs Casting noch die alten Regeln?
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"Meistersinger von Nürnberg": Braucht es fürs Casting noch die alten Regeln?

Hans Sachs lebt subproletarisch. Seine Schusterstube ist ein mobiler Kleintransporter, den er wie ein Straßenhändler vor der Kulisse einer tristen Vorstadtsiedlung aufschlägt. Dafür hat es Veit Pogner weit gebracht. Der Goldschmied, der seine Tochter Eva dem neuen Meistersinger zur Frau geben will, um die alternde Zunft zu retten, mutiert jetzt an der Bayerischen Staatsoper in München zum Medientycoon, der die Preislied-Show zum Casting-Ereignis aufmöbelt. Evchen sucht den Superstar, denn auf den hat sie schon selbst ein Auge geworfen. Lässig schlendert er mit Gitarrenkoffer und Reisetasche herein und schert sich nicht um Regeln. Die verknöcherten Kunstrichter können mit seinem neuen Gesang nichts anfangen.

Der damit verbundenen Debatte gewinnt Regisseur David Bösch, seit seinem Sieg beim Young Directors Project der Salzburger Festspiele vor zehn Jahren so etwas wie der ewige Jungregisseur der Theater- und auch Opernwelt, viele fein beobachtete Details in Personenführung und -charakterisierung ab. Er serviert sie mit lockerer Hand und - das will bei diesem Stück auch etwas heißen - erfrischend ideologiefrei, damit freilich auch etwas oberflächlich.

Böschs Regie mit den konsequent dazupassenden Bildideen seines Ausstatters Patrick Bannwart schaut man gerne und mit einigem Vergnügen an. Sie tut dem Stück nirgends Gewalt an, erzählt es sozusagen systemimmanent klar. Man verfolgt den Ansatz umso lieber, weil die Musik einen feingliedrig eloquenten Charme entfaltet, eine wundersame rhetorische Leichtigkeit, einen frischen Drive, wie man ihn selten sonst erlebt.

Verantwortlich dafür ist wieder einmal der Wundermann am Pult: Kirill Petrenko. Vom ersten majestätischen C-Dur-Strahl der Ouvertüre weg bringt Petrenko in seine ersten "Meistersinger" einen straffen, aber nirgends überspannten Zug ins Geschehen. Nie drängt er, lässt alles sich aufs Schönste und Logische entfalten, was vor allem heißt: Er gestaltet den Klang aus dem Wort. Dieses ist in der so oft absurden, aber immer wieder auch melancholisch verschatteten Komik des Stücks von essenzieller Bedeutung, und das Münchner "Meistersinger"-Ensemble liefert jetzt ein Muster an Textdeutlichkeit, wie man es sich besser nicht wünschen kann.

Freilich: Solche Distinktion ist nur möglich, wenn die Musik diesen Gestus aufgreift. Petrenko gelingen da im Großen wie im Räderwerk des Kleinen unglaubliche Dinge. Allein wie er des Lehrbuben David elendslange Auflistung der Meistersinger-Weisen mit den nötigen musikalischen Farbtupfern gleichzeitig klangverbildlicht und mit feinsten Sticheleien ironisch aufspießt, ist ein Meisterstück eigener Art. Man könnte ein Buch füllen mit den Details, die Petrenko in der Partitur aufspürt und mit lockerer, beschwingter und hinreißend entspannter Haltung vorträgt. Das Bayerische Staatsorchester setzt das mit einer Präzision, Elastizität und einem spielerischen Gusto um, dass man aus dem Staunen und dem Freuen gar nicht mehr herauskommt. So viel Meistersinger-Ohrenkitzel war noch nie.

Auf dieser Basis scheint es den Sängern ein Leichtes, sich mühelos zu entfalten. Jonas Kaufmann ist in Hochform, legt einen leicht metallisch angespitzten Walther von Stolzing mit Nonchalance hin und hat fürs Preislied noch alle liedhafte, anstrengungslose Wendigkeit. Wer sänge ihm das heute nach? Vielleicht etwas eindimensional in den Farben, aber als Typ, der dabei ist, mit der Welt abzuschließen, singt Wolfgang Koch einen respektablen Sachs, Markus Eiche ist der fernab jeder billigen Karikatur zum Schmerzensmann im Glitzerkostüm gewordene Beckmesser, Christof Fischesser der imposante, mehr als nur balsamisch tönende Pogner, Benjamin Bruns ein herausragender David und Sara Jakubiak eine selbstbewusste Eva. Nach knapp sechs Stunden hat man das Gefühl: Diese "Meistersinger" sind noch so frisch, dass das Spiel sofort von vorn beginnen könnte. Das Premierenpublikum am Montag tobte: Jubel und die obligaten Buhs für die Regie.

Oper: "Die Meistersinger von Nürnberg", Bayerische Staatsoper, 22., 26., 29. 5., 4. 6., 28., 31. 7. (Live-Stream auf www.staatsoper.de/TV)

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