Eine KZ-Oper, die zudem auch noch am Symbol gewordenen Ort der Unmenschlichkeit des 20. Jahrhunderts spielt, das lässt aufhorchen aber auch befürchten. Aufhorchen in Bezug darauf, dass eine klingende Auseinandersetzung mit dem großen Verbrechen geschehen kann, andererseits aber auch befürchten, was wohl sich da auf der Bühne abspielen wird. Die Befürchtungen blieben unberechtigt, das Aufhorchen war mehr als lohnenswert.

Festwochenzeit in Wien bedeutet auch Gastspielzeit. Was da am Theater an der Wien zu sehen war, war eine Produktion der Oper Frankfurt (am Main), die die 1968 abgeschlossene Oper des Polen Mieczyslaw Weinberg, die 2010 ihre szenische Uraufführung erlebte in einer Inszenierung von Anselm Weber auf die Bühne bringt. Auf die Bühne bringen ist schon das richtige Stichwort: Weber tut nicht mehr aber auch nicht weniger. Er kommentiert nicht, er lamentiert nicht, er erzählt einfach eine Geschichte. Ihr Subtext ist die Zeitlichkeit der Geschehnisse, die vom Libretto gefordert wird. Manchem mag das zu wenig sein, aber hier passte es. Den Höhepunkt dieser 2015 produzierten Inszenierung ist das Bühnenbild von Katja Haß. Sie hat ein Schiff im Querschnitt auf die Bühne gebracht. Zweifellos ein Luxusliner (der Spielort der Rahmenhandlung) in dessen Bauch Auschwitz (Spielort der Haupthandlung) Platz findet. Mit den Kostümen von Bettina Walter und im Licht von Olaf Winter findet diese Zeitlichkeit ihre geschmackvolle Fortsetzung. Einzig die Videoeinblendungen, textlicher Natur, von Bibi Abel scheinen manchmal etwas zu viel zu sein, da sie nicht immer einen guten Kommentar zur Szene liefern. Erleichtern tun sie freilich viel, da die Oper fünfsprachig komponiert ist.

Wie lässt sich das musikalische Erlebnis treffend beschreiben? Ein Wort tritt da in den Raum, dass in seiner positivsten Wendung zu gebrauchen ist: Ekklektizismus. Die Verschiedenheit der Musikstile, die hier Anwendung finden, impliziert dies. Atonikales steht neben Volksmusik, Jazz neben Bach. Die Musik Weinbergs, eine wahre Entdeckung, schminkt nicht, sie klagt aber auch nicht an.

Viel zu ihrem großen Effekt trägt aber das trefflich besetzte Ensemble der Oper Frankfurt bei, das von Tanja Ariane Baumgartner (Lisa) und Sara Jakubiak (Marta) angeführt wird. Beide Sängerinnen, die eine Mezzosopran, die andere Sopran, tragen den „Zweikampf“ dieser Handlung gegeneinander und miteinander aus. Nicht nur dass beide die richtigen Töne treffen, nein, sie finden auch mühelos in ihre Rollen und machen, geführt durch Weber, den Abend zum Ereignis. Baumgartner schafft dies vor allem durch ihr differenziertes Durchleiden verschiedensten Seelenzustände, die sie auch stimmlich pointiert artikuliert. Jakubiaks Stärke liegt vor allen Dingen in dem Lyrizismus ihrer Partie befestigt. Marta hat einfach eine so schöne Musik, die ganz direkt anrührt und beispielsweise in ihrer großen Arie zu Beginn des 2. Bildes zu Tränen rühren vermag. Den Hauch Britten, der dieser Oper innewohnt, bringt sie im Schlussmonolog mit nie nachlassender Kraft zum leuchten.

Doch auch von den Männern an der Seite dieser beiden starken Frauen ist positives zu berichten. Peter Marsh gibt den Diplomaten Walter mit äußerst kultiviertem Spieltenor, der auf sein sonstiges Repertoire verweist. Zu den Glanzleistungen des Abends gehört aber Brian Mulligans Tadeusz. Leider ist Mulligans Stimme dabei für das akustisch kleine Theater an der Wien fasst etwas zu groß. Mulligan ist sicherlich eine Entdeckung, dem eine große Karriere als Bariton vorauszusagen ist. Mühelos erscheint es ihm zu fallen, seine Partie mit all dem auszustatten, was der Musiker Tadeusz braucht: Lyrizismus, aber auch Ausbrüche von großer Kraft.

Auch die anderen Gefängnisinsassinnen ließen aufhorchen. Den Schauspielpreis hat hier nicht zuletzt Barbara Zechmeister als Alte verdient. Selten hat man Wahnsinn so wohlkalkuliert auf einer Szene erlebt. Dazu noch die vielen hohen Töne souverän gesungen. Bravo!

Zum Chor in der Einstudierung durch Tilman Michael ist zu sagen, dass das Ensemble wohlartikuliert sang, aber zum Teil für den Raum des Theater an der Wien doch etwas zu laut war. Dies ist wohl aber nicht dem Chor anzulasten, sondern vielmehr dem Raum, der so viele Opernchorstimmen nicht so gut verträgt.

Für das Orchester unter der Leitung von Christoph Gedschold gilt ähnliches. Dennoch: hier wird auf hohem Niveau und mit viel Gespür für's Detail musiziert. Ein besonderes Lob gilt dem Paukisten, der bereits bei der Ouvertüre viel zu tun hatte.

In leichter Abwandlung darf für diesen Abend gelten, was dem Verfasser dieser Zeilen ein befreundeter Opersänger (zugegeben ein Weinberg-Spezialist) sagte: „Diese Oper sollte überall in Deutschland gespielt werden!“ Eine Hoffnung der zuzustimmen ist. Möge sie umgesetzt werden...

****1