Und Marilyn ist auch dabei

Die Oper «Terra Nova» blickt am Musiktheater Linz in eine sehr bunte Zukunft. Der Komponist Moritz Eggert lässt sich mit einer virtuosen Tour de Force durch verschiedenste Musikstile voll darauf ein.

Daniel Ender, Linz
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Raumschiff oder Bordell? «Terra Nova oder Das weisse Leben» mit Anaïs Lueken, Lutz Zeidler und Mitgliedern des Linzer Tanzensembles. (Bild: Ursula Kaufmann / Musiktheater Linz )

Raumschiff oder Bordell? «Terra Nova oder Das weisse Leben» mit Anaïs Lueken, Lutz Zeidler und Mitgliedern des Linzer Tanzensembles. (Bild: Ursula Kaufmann / Musiktheater Linz )

Seit drei Jahren steht das neue, gross dimensionierte Musiktheater am Rand des Linzer Volksgartens, mitten im bunten Leben verschiedener Kulturen, das der oberösterreichischen Landeshauptstadt ein wenig vom Flair einer Metropole verleiht. Seit das Landestheater 2013 hier seine neue Spielstätte erhielt, wird ein Anspruch formuliert, der weit über die Provinz hinausreicht. Zum Abschied hat Intendant Rainer Mennicken nun nochmals ein Zeichen gesetzt und sowohl zeitgenössisches Musiktheater als auch aktuelle inhaltliche Relevanz angemeldet: Nicht weniger als die drohende Unbewohnbarkeit des Blauen Planeten ist der Ausgangspunkt von «Terra Nova oder Das weisse Leben».

Schienen für den Gotthardtunnel

Der Dichter Franzobel hat das Textbuch gemeinsam mit Mennicken geschrieben. Aus einer «abgelebten Welt in absehbarer Zukunft» lässt der Präsident der Weltregierung eine Expedition aufbrechen, um neuen Lebensraum für die Menschheit zu erkunden, nachdem drei Meteoriten als Boten ferner Galaxien eingeschlagen haben. Zum einen Science-Fiction-Topos tritt ein zweiter: Zugleich mit den Himmelskörpern ist weisser Staub auf die Erde gelangt, der die Menschen verändert. Ausserirdische übernehmen ihre Körper und verkünden schliesslich «das Ende von Arbeit und Industrie» – eine lustige Volte gerade in Linz, der Stadt, deren Vorzeigeunternehmen Voest Alpine gerade die Weichen und Schienen für den neuen Gotthardtunnel geliefert hat.

Bis dahin werden die Menschen als blinde Verfechter des Fortschritts vorgeführt, die sogar die Basis ihrer eigenen Existenz opfern. Dabei gibt es Anspielungen zuhauf: Die Raumfahrer heissen Armstrong, Titov und Dreier, die Geliebte des Präsidenten hört auf den Namen Marilyn und sieht auch so aus, und als eindeutiges Zitat fliegt sogar eine Figur mit dem Namen Der Kleine Prinz samt Rose über die Bühne. In der Regie von Carlus Padrissa sorgt die Drehbühne im grossteils leeren Raum für ständige Bewegtheit, während sich eine abstrakte Konstruktion abwechselnd in das Raumschiff oder auch in ein Bordell verwandelt (Bühnenbild: Roland Olbeter) und es rund um die Handlung auch tänzerisch meist mehr oder weniger stimmig wuselt (Choreografie: Mei Hong Lin).

Tour de Force

Die Produktion ist nämlich – wie bereits die Uraufführung der Philip-Glass-Oper «Spuren der Verirrten», mit der das Linzer Musiktheater vor drei Jahren eingeweiht wurde und aus der sich die merkwürdigen Hasen-Figuren in die gegenwärtige Produktion verirrt haben – als Leistungsschau konzipiert, in der alle Sparten des Hauses zu ihrem Recht kommen. Das macht die Sache schillernd, effektvoll – und manchmal auch ein wenig oberflächlich. Der Komponist Moritz Eggert hat sich allerdings voll und ganz auf das Spiel eingelassen und eine Tour de Force abgeliefert, die das Bruckner-Orchester Linz unter der Leitung von Dennis Russell Davies tadellos meistert. Das Ganze hat freilich mehr den Anstrich einer Revue als einer stringenten musiktheatralen Setzung.

So, wie das Personal den verschiedensten Genres entstammt – neben dem heldischen Tenor für die Rolle des Präsidenten (Jacques le Roux) und dem Koloratursopran für seine Ex-Frau Lara (Mari Moriya) singt seine Geliebte, besagte Marilyn, mit Musical-Stimmchen (Anaïs Lueken) –, hat Eggert auch eine Odyssee durch unterschiedlichste Musikstile geliefert, die virtuos zwischen den Sphären changiert. Leitmotivik im filmmusikalisch pauschalisierten Wagner-Stil erleichtert die Orientierung, raffinierte Klanglandschaften, die mannigfache Techniken der Neuen Musik nutzen, sorgen ebenso für Abwechslung wie vielfache populärmusikalische Muster und ein Feuerwerk aus Zitaten, unter denen der Soundtrack von Stanley Kubricks «2001 – Odyssee im Weltraum» eine Art bunten Faden bildet. Sollte das fiktive Ende von Arbeit und Industrie etwa auch die Abschaffung der Kunst und des Komponisten bedeuten?