Bilder von nicht enden wollendem Leid: die Masse der Gefangenen auf dem Weg aus der Dunkelheit und zu Michael König (als Florestan), der in der Inszenierung von Achim Freyer effektvoll leidet.

Foto: APA/MONIKA RITTERSHAUS
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Wien – Nach Stéphane Lissner, der nun dabei ist, als Pariser Opernchef jene anspruchsvollen Opernideen umzusetzen, auf die er – als Musikverantwortlicher der Festwochen – zu oft verzichtet hatte, kam also Markus Hinterhäuser. Als Intendant hob er das Niveau weit über den Opernalltag (etwa Glucks Orfeo ed Euridice, inszeniert von Romeo Castellucci). Und auch Achim Freyer wurde dabei bereichernder Teil der anspruchsvollen Dramaturgie – Sciarrinos Luci mie traditrici setzte er so subtil wie rätselprall um.

Die finale Musiktheaterpremiere der diesjährigen Wiener Festwochen, nach denen Hinterhäuser sich der Planung der Salzburger Festspiele ab 2017 widmen wird, fiel Freyer jedoch eher zufällig zu. Regiekollege Dmitri Tcherniakov wurde von der Festwochenintendanz sehr spät gebeten, nicht zu inszenieren, und Freyer als Retter engagiert.

Auch Regieroutiniers vermögen wohl aber kaum die Nachteile einer nicht üppig vorhandenen Vorbereitungszeit gänzlich aus der Welt zu schaffen. Was die wahren Gründe auch sein mögen, bei Ludwig van Beethovens Fidelio entschloss sich Freyer jedenfalls, an sich eine unerschöpfliche Quelle an fantasievollen optischen Ideen, einen gar seltsamen Weltenkäfig einzurichten.

Gebügelte Beine

Im bunten Maskenspiel, das sich auf dem mehrstöckigen Gerüst abspielt, wirken die Figuren wie ferngesteuerte Puppen. Sie sind plakative Träger von Empfindungen, die in gestischen Ritualen konserviert werden, für Entwicklungen allerdings keinerlei Freiraum lassen.

Freyers überbordender Symbolkosmos scheint sich einmal gewissermaßen selbst einen Käfig gebaut zu haben. Zwar führt die Schablonisierung und Verpuppung der Charaktere mitunter zu heiteren Pointen. Wenn etwa Marzelline (die solide Ileana Tonca trägt die eigene Puppe quasi als Kleid) beginnt, ihre Beine zu bügeln, dringt skurriles Leben in den düsteren Freyer-Kosmos. Abgesehen von kleinen szenischen Pointen dominiert jedoch eine Orgie der Repetition und Einsamkeit, während unten, nahe dem Orchester, der Oberkörper des zwischen zwei Seilen aufgespannten Florestan von ewigem Schmerz kündet. Dies Symbol bleibt allgegenwärtig. Und auch zum Finale, wenn es um Rettung geht und die Gefangenen wie aus Erdlöchern kriechen und sich um Florestan sammeln, bleibt der Eindruck einer szenischen Bleischwere. Mit Projektionen und Pantomime mündet alles schließlich in einen surrealen Exzess der Symbole und Assoziationen. Ein finaler Rettungsversuch durch Überfrachtung.

Schlank und gehaltvoll

Auch die vokale Seite des Abends bleibt oft unter Festwochenniveau: Christiane Libor (als Leonore) bewältigte Dramatisches mit Durchschlagskraft, Feinheiten gingen mit Intonationsproblemen einher. Michael König (als Florestan) überzeugte indes mit kultivierter Linienführung; etwas ungehobelt wirkte hingegen Jewgeni Nikitin (Don Pizarro), respektabel Julien Behr (Jaquino) und Georg Nigl (Don Fernando). Gut der Schoenberg-Chor.

Dirigent Marc Minkowski und seine Musiciens de Louvre gaben sich pointiert und facettenreich, es klang gleichermaßen schlank wie gehaltvoll, wobei die Koordination mit den Sängern Verbesserungen offenlässt. Applaus für alle, auch für Freyer, dem die wenigen Buhs nicht die Laune verdarben. Die österreichischen EM-Kicker mögen sich ihn zum Vorbild nehmen – wie auch der kommende Festwochenintendant Tomas Zierhofer-Kin den nun nach Salzburg ziehenden Hinterhäuser. Er tut es aber offenbar schon. Zierhofer-Kin plant (so die Wiener Zeitung) 2017 eine Parsifal-Oper von Bernhard Lang. Regisseur sei Aufregungskünstler Jonathan Meese! (Ljubiša Tošić, 15.6.2016)