Licht ist ein siebenteiliger Opernzyklus, je eine Oper pro Wochentag, aus dem die vierstündige Oper Donnerstag als erste komponiert wurde.Die Uraufführung fand 1981 an der Scala statt, danach folgte 1985 noch eine Aufführung an Covent Garden, seither lag das Werk brach. Vereinzelt wurde die Mutmaßung geäußert, dass der Inhalt (speziell für Deutschland) zu religiös geprägt sei. Nach diesem Abend denke ich allerdings, dass das nicht die ganze Wahrheit ist.

Der Abend begann mit einem instrumentalen Segment Gruß im Foyer des Theaters; die Aufmachung des kleinen Podiums und die Beleuchtung ließen ein Pop-Konzert erwarten. Ich erlebte den Gruß als Parodie auf Pop-Musik der späten 60er/70er Jahre: die Musiker waren entsprechend gekleidet (rot, schwarz, altrosa, beige, dunkelgrün) und frisiert, wirkten etwas verlebt. Sie bewegten sich ungezwungen auf das Podium, rauchend, trinkend. Die folgende Serie von fanfarenartigen Stücken, mit übertriebener, theatralischer Gestik dargeboten, erst durch Blechbläser, dann mit wachsender Besetzung, unter Zuzug von Perkussion und Klavier, empfand ich als dissonant, aber festlich, in Stockhausens Idiom natürlich, mit Anklängen an Minimal Art und Aleatorik, im letzten von drei Teilen mit deutlich der menschlichen Sprache entlehnter Ausdrucksgestik. Ein gelungener Übergang von der klischeehaften musikalischen Berieselung des Alltags zur nachfolgenden Kunstmusik.

Dafür hat Stockhausen die Details der Inszenierung bis in die Feinheiten, von Bühnenbild über Positionen der Akteure, Gesten etc. festgelegt. Lydia Steiers Regie will sich jedoch aus dem engen Korsett der Partitur befreien, ohne dabei Stockhausens Intentionen zu verletzen: Die drei zentralen Teile der Oper basieren alle auf einem ähnlichen Bühnenbild: ein auf den Kopf gestellter Kegelstumpf, semi-transparent, je nach Bedarf als Spiegel, als Projektionsfläche, und/oder den Blick auf symbolhaftes Geschehen in seinem Inneren freigebend. Darüber hängend eine zylindrische Projektionsfläche für Texte, abstrakte und bildliche Inhalte. Die erwähnte Struktur steht in der Mitte einer oft umlaufenden Drehbühne; die Handlung wird mehrschichtig dargestellt: im Zentrum teils symbolisch-schematische Szenen aus der Jugend des Protagonisten Michael, darum herum die eigentliche Handlung, wobei jeder Sänger mit einem auf der Bühne agierenden Instrumentalisten sowie mit einem Mimen/Tänzer begleitet wird.

Der erste Akt, Michaels Jugend, spielt bis auf die parallel agierenden Bühneninstrumentalisten ohne sichtbares Orchester. Hier verarbeitet Stockhausen Autobiographisches mit starken Anspielungen an die Geschehnisse in Nazideutschland und sein eigenes Elternhaus. Michael und sein Vater/Luzifer, der im Krieg fällt (Michael Leibundgut, mit ausgezeichnetem, rundem Bass) sind im Stil der Hitlerjugend aufgemacht, desgleichen die begleitenden Mimen und Instrumentalisten. Stimmlich wird dieser Akt von Michaels Mutter Eva dominiert, die später auch Michaels Geliebte und Idealbild Mond-Eva darstellt und nach einer Fehlgeburt euthanasiert wird. Stimmsicher, tragend und ausdrucksvoll sang Anu Komsi die mit Parallelen zu Stockhausens Mutter behaftete Rolle. Michael, gesungen von Rolf Romei mit sehr guter Diktion und tragfähiger Stimme, besteht eine Prüfung und wird in die „hohe Schule der Musik“ aufgenommen.

Die Handlung und ihre Darstellung sind an sich schlüssig und einleuchtend, es bleiben dennoch Fragen. Ich verstehe Stockhausens Bedürfnis, die Geschehnisse seiner Jugendzeit zu verarbeiten, und es bestand zur Zeit der Komposition (1977-1980) noch Nachholbedarf bei der Aufarbeitung der Geschehnisse des 2. Weltkriegs, aber bräuchten wir nicht eine Übersetzung dieser Aussagen in die heutige Bildsprache? Die Szenen im Irrenhaus erschienen zudem wie direkte Zitate aus Miloš Formans Film Einer flog über das Kuckucksnest (1975) – so direkt, dass es für mich abgegriffen wirkte. Im Weiteren ist der Handlungsstrang überladen mit Wiederholungen (Nachdeutungen), die statt leitmotivisch zu strukturieren den musikalischen Fluss über alle Maßen zerdehnen. Dadurch erscheint das Ausdrucksspektrum auch relativ eng, allenfalls durch den Klavierpart gegen Ende aufgelockert.

Im zweiten Akt, Michaels (rein instrumentaler) Reise um die Erde, ist die Bühne flankiert von zwei Gruppen von Instrumenten, koordiniert vom Dirigenten am vorderen Bühnenrand. Der Haupt-Handlungsstrang spielt wiederum im Szenario einer Nervenheilanstalt und die besagten Assoziationen sind hier noch weit stärker, stoßender. Der Verlauf der Weltreise erschließt sich vor allem über Projektionen über der Bühne und auf einen Bildschirm, für die Insassen der Anstalt. Musikalisch bietet dieser Akt schon von der Instrumentierung her eindeutig mehr als der erste und es stachen besonders die sprechenden Saxophone sowie das Segment mit den virtuosen Bass-Pizzicati hervor.

Für den dritten Akt (Michaels Heimkehr) hat sich der Orchestergraben für das volle Symphonieorchester geöffnet, das Bühnenbild nach hinten verlagert. Die „Heimkehr“ spielt im Himmel (mit Rückblicken auf die ersten zwei Akte) und ist entsprechend religiös geprägt, wobei man die Figur des Erzengels Michael auch als Jesus interpretieren kann. Musikalisch war dies für mich der reichhaltigste Teil der Oper, auf der Bühne mehr von Symbolik geprägt denn von konkreter Handlung. Was die eingangs angesprochenen Bedenken betrifft, so finde ich die religiösen Bezüge nicht stoßend – im Gegensatz zu meiner Kritik an den ersten zwei Akten.

Im Nachhinein dominieren die Impressionen des dritten Aktes und damit die Erinnerung an eine reichhaltige Komposition, ausgezeichnete Sänger und ebensolche Instrumentalisten im Orchester und auf der Bühne unter der souveränen Leitung von Titus Engel: vor allem im letzten Teil ein sehr gelungener Opernabend!

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