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Donnerstag aus 'Licht'

Oper in drei Akten, einem Gruß und einem Abschied für 15 musikalische Darsteller, Chor, Orchester und Tonbänder
Musik, Libretto, Tanz, Aktionen und Gesten von Karlheinz Stockhausen

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 6h (zwei Pausen)

Premiere im Theater Basel am 25. Juni 2016


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Theater Basel
(Homepage)

Das Licht aus dem Schuhkarton

Von Roberto Becker / Fotos von Sandra Then

Donnerstag aus Licht ist auf dem Weg von Mailand (Uraufführung 1981, streikbedingt ohne dritten Akt) und London (1985) jetzt, 2016, in Basel angekommen. Zu dieser Erstaufführung im deutschsprachigen Raum gehört ihr Kontext. Denn mit Karlheinz Stockhausen (1928 bis 2007) erlebte der Gesamtkunstwerker auf der Opernbühne seine Wiederauferstehung und letzte exzessive Blüte. Als in den Erbfolgekriegen um das Festspielhaus von Bayreuth die Idee aufkam, den Kanon der dort gespielten Werke durch eine Aufführung von Stockhausens sieben Licht-Opern aufzubrechen, feixten sich die Feuilletonisten eins, während die Wagner-Gemeinde ein Schreck durchfuhr. Immerhin hatte Gerard Mortier seinen Namen für diesen großen Joke geliehen, wohlwissend, dass er das zwar können, aber nie würde umsetzen müssen. Stockhausen hätte das durchaus als normal und seinem Range angemessen gefunden. Vielleicht hätte er drauf bestanden, dass die Königs- resp. Kanzlerinnenloge auf dem Grünen Hügel für die Abgesandten vom Sirius zu reservieren. Mit deren Erscheinen hätte man ja beim 29-Stunden Marathon des Es-werde-Licht aller von Stockhausen durchkomponierten Wochentage mindestens rechnen müssen.

Szenenfoto

Herabgesunkene Erinnerungen: Die Geburtstagstorten der Kindheit

Wer sich freilich die Kraftakte bei der Aufführung einzelner Wochentage vor Augen führte - in Deutschland wagte das Udo Zimmermann in Leipzig 1993 mit dem Dienstag, drei Jahre später noch einmal mit dem Freitag und 2011 Uwe Erik Laufenberg mit dem Sonntag in den Kölner Messehallen - war sicher, dass das nichts wird. Udo Zimmermann hatte es sich für seine Zeit als Festspielintendant in Hellerau bei Dresden vorgenommen, den gesamten Zyklus aufzuführen, entfachte aber nicht mal ein Fünkchen. Allen übrigen Intendanten der Operngroßmacht Deutschland begnügten sich mit dem Nibelungen-Ring von Wagner, wenn sie denn der Hafer stach. Der braucht zwar auch Riesenkräfte, ist aber eben auch ein Garant für Erfolg und Publikumszuspruch. Wer Licht will, riskiert hingegen eine veritable Pleite.

Szenenfoto

Der junge Michael und die Mutter in der Psychiatrie

Aber Wochentageweise geht auch dieser Ring des 20. Jahrhunderts. Basel in der Schweiz ist dafür kein schlechter Ort. Das Haus passt, die Technik ist neu, die Finanzen ausreichend. Zudem verspürten der Schweizer Dirigent Titus Engel und die Regisseurin Lydia Steier genug Abenteuerlust, um sich auf Stockhausens Formelmusik und seine akribischen szenischen Vorschriften einzulassen und beides vom imaginären Museum der Moderne auf eine reale Opernbühne zu transformieren. Klar, dass dennoch die "bescheidene" Botschaft Stockhausens vermittelt wird, dass der Held des Stückes namens Michael (also er selbst) Mensch geworden sei, um Himmelsmusik den Menschen und Menschenmusik den Himmlischen zu bringen. Bescheidenheit im Nietzschemaß. Aber wer aus einer musikalischen Superformel 29 Stunden Musik entwickelt, kann wohl nicht anders.

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Michael als Prophet seines Kultes

Der gesamte Licht-Zyklus entstand in den Jahren von 1978 bis 2002. Der Donnerstag war der Auftakt. Er umfasst einen "Michaels-Gruß", drei Akte und einen "Abschied". Alles ist aus Versatzstücken der Realität oder der eigenen biographischen Erinnerung entwickelt, dann aber quasireligiös überhöht. Für die direkte Verbindung zum 2007 verstorbenen Meister steht Kathinka Pasveer, die seit Anfang der 80er Jahre eng mit ihm zusammenarbeitete. Sie sorgt für die Klangregie, die bei der Kombination von live erzeugter Musik und eingespielten Teilen konstitutiv dazu gehört. Den Gruß gibt es im Foyer des Opernhauses. Die Musiker sind auf 70er Jahre gestylt, schlendern demonstrativ rauchend und einem Drink in der Hand durchs Publikum und formieren sich zu einer Combo. Die dann überraschend einladend musiziert. Hier schaffen es Regisseurin und Dirigent eine freundliche Ironie einfließen zu lassen, die sich dann in den drei Akten im Großen Saal fortsetzt. Im ersten Akt geht es um Michaels Jugend, für die Stockhauses eigene den Stoff liefert. Bis hin zu Erinnerungen an den militärisch auftretenden eigenen Vater und den gewaltsamen Tod der Mutter durch den Euthanasie-Wahnsinn der Nazis. Der Rückgriff auf eine angedeutete Vergasung in dem hausartigen Glaszylinder, der die Drehbühne beherrscht, ist in diesem Falle also keineswegs blasphemisch.

Michael wird hier vom Tenor Peter Tantsits gesungen, an seiner Seite der fabelhafte Trompeter Paul Hübner und Tänzerin Emmanuelle Grach als Alteregos. Auch die beiden anderen Hauptpersonen sind in mehrfacher Gestalt auf der Bühne. Eva verkörpern Sopranistin Anu Komsi, Bassetthornspielerin Merve Kazokoglu und Tänzerin Evelyn Angela Gugolz. Luzifer schließlich, der dritte im Bunde, ist auf den Bassisten Michael Leibundgut, den Posaunisten Stephen Menotti und Tänzer Eric Lamb verteilt. Im zweiten Akt hat das Orchester den Hauptpart. Bei "Michaels Reise um die Erde" geht es von Köln u.a. nach Indien und Bali. Szenisch ist die Reise mehr eine Wahnvorstellung, die Reisegesellschaft sieht jedenfalls nach Psychiatrie aus. Musikalisch ist der Akt nach dem etwas bedächtig wabernden ersten der interessanteste, bei dem eine erstaunlich beredte Spannung den Raum beherrscht. Hier profilieren sich die Instrumentalsolisten ebenso wie die Klangregie. Im dritten Akt schließlich ist Rolf Romei eine Art Sektenführer, den die Regie effektvoll in Szene setzt, ohne so zu tun, als würde hier mehr als Pictogramm-Philosophie betrieben oder ziemlich schlicht intellektuell gepantscht. "Michaels Heimkehr" bringt auch die oben schon zitierte Selbstüberhebung des musikalischen Heilsbringers. Wobei immerhin ein schwarzer und weißer Teufel aus der Rosa Torte hopsen und eine Showeinlage liefern. Ironie als Rettungsring.

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Der Trompeter ist immer ein bespiegeltes alter ego des Helden

In Basel bekommen sie immerhin das Kunststück fertig, all das Verquaste und Abgehobene an Stockhausens Donnerstag zu zeigen, aber dennoch nicht zu denunzieren. Es gelingt jene Hinterfragung aus der Distanz jenseits des inneren Kreises der Jünger, die einzig so ein Werk vor sich selbst retten kann. Wenn dann der Abschied von den höchsten Punkten ringsum auf den Theatervorplatz geblasen wird, die Straßenbahnen dazwischen rattern und sich die Jungendlichen auf dem Platz nicht stören lassen, entsteht für Minuten der Eindruck, dass es vielleicht doch etwas Außergewöhnliches gewesen sein könnte, was man da über vielen Stunden ausgehalten und bestaunt hat.

FAZIT

Das Theater Basel hat mit einer gewaltigen Kunstanstrengung Karl-Heinz Stockhausens Donnerstag aus Licht für den deutschsprachigen Raum erschlossen, diese außergewöhnliche Kreation wie eine "normale" Oper und nicht wie ein pseudoreligiöses Bekenntnis behandelt und so wohl vor sich selbst gerettet.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Titus Engel

Musikalische Eindstudierung
Klangregie
Kathinka Pasveer

Regie
Lydia Steier

Bühne
Barbara Ehnes

Kostüme
Ursula Kudrna

Video
Chris Kondek

Video Mitarbeit
Tabea Rothfuchs

Licht
Olaf Freese

Chor
Henryk Polus

Dramaturgie
Pavel B. Jiracek



Chor des Theaters Basel

Studierende der Hochschule für Musik
FHNW/Musik-Akademie Basel

Statisterie des Theater Basel

Sinfonieorchester Basel


Solisten

Michael-Tenor 1
Peter Tantsits

Michael-Tenor 2
Rolf Romei

Michael-Trompete
Paul Hübner

Michael Tänzerin
Emmanuelle Grach

Eva-Sopran
Anu Komsi

Eva-Bassetthorn
Merve Kazoko?lu

Eva-Tänzerin
Ecelyn Angela Gugolz

Luzifer-Bass
Michael Leibundgut

Luzifer-Posaune
Stephen Menotti

Luzifer-Tänzer
Eric Lamb

Begleiterin Michaels im Examen
Ansi Verwey

Clowneskes Schwalbenpaar
Person 1 (Klarinette)
Innhyuck Cho

Clowneskes Schwalbenpaar
Person 2 (Klarinette/ Bassetthorn)
Markus Forrer

Zwei Knaben
Person 1 (Sopransaxophon)
Emile Chabrol

Zwei Knaben
Person 2 (Sopransaxophon)
Romain Chaumont



Weitere Informationen
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Theater Basel
(Homepage)



Da capo al Fine

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