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Wotans Alptraum - oder: Wie alles wird, weiß er
Von Joachim Lange / Fotos von Falk von Traubenberg
Ein Mysterium des Opernbetriebes: Der Nibelungen-Ring geht immer. Das schwergewichtigste Opernwerk des 19. Jahrhunderts . Für das man einiges an Durchhaltevermögen braucht. Und eine Idee. Wer den Ring wagt, egal wo, hat damit Erfolg beim Publikum. Trotz allen Geredes vom Untergang der Hochkultur oder Verschweigen seiner Resultate. Wenn es um was geht und die Opernhäuser beweisen können, wozu sie immer noch in der Lage sind, funktioniert es! Das Staatstheater Karlsruhe hat jetzt mit einem Ring-Projekt begonnen, das im Oktober 2017 vollendet sein wird und komplette Aufführungszyklen für Ostern und Pfingsten 2018 vorgesehen hat. In einer Phase, wo die Einschläge der (in diesem Falle grün-roten) Mittelkürzungen immer näher kommen und Unterschriftenlisten für den Erhalt des Bestehenden ausliegen. In Karlsruhe wird es nach Stuttgart, Essen und Riga wieder einen Ring mit vier verschiedenen Regieteams geben.
Was Vor- und Nachteile hat. Regisseur David Hermann hat die Chance, das Ganze zu erzählen, die er als Rheingold-Regisseur ja eigentlich gar nicht hat, beherzt und pfiffig ergriffen: Er hat gleich die ganze Ring-Story an einem (noch dazu dem kürzesten) Abend präsentiert. Also zur Musik des Vorabends pantomimisch Schlüsselszenen aus Walküre, Siegfried und Götterdämmerung mitgeliefert. Jo Schramm hat eine Wand aus erstarrter Lava auf die Drehbühne gesetzt. Hier gibt es zum Anfang mit den ersten Tönen vom Rheingrund gleich das Ende. Man sieht, wie Erda den Rheintöchtern den Ring zurückgibt. Dann bewegt sich die Insel, auf der sich die Rheintöchter räkeln, langsam in die Höhe zu schweben, während unter ihnen das Wasser des Rheins plätschert wie aus einer Dusche im Erlebnisbad. Das wird es dann tatsächlich für Alberich, als er den geschwätzigen Goldbewacherinnen ihren Schatz entreißt. Auf der Rückseite dieser natürlichen Wand suchen Unternehmer Wotan und sein Clan daheim in ihrem Bungalow (mit Büroteil und Kopierer) gerade einen Ausweg aus ihrer Immobilienspekulation mit dem windig finanzierten Burgenbau. Donner und Froh wirken hier wie die verwöhnten Teenager-Söhne des Unternehmerehepaares. Unten: Wotan macht Geschäfte mit den Riesen; oben: Die Vision vom Tod Siegmunds
Diese Art von Vergegenwärtigung ist hinlänglich erprobt. Aber: Diesmal blickt Wotan tiefer. Doch anders als sein Schöpfer Richard Wagner, der in jedem Ring-Teil immer die Vorgeschichte erzählt, hat dieser Wotan Visionen über das, was kommt, die ihn immer wieder wie aus heiterem Himmel heimsuchen und verunsichern. Er sieht, was aus dem Fluch des Goldes für Katastrophen noch folgen werden, also wie ihm Siegmund und Sieglinde aus dem Ruder laufen - als Tagtraum im eigenen Haus, von dem die anderen nichts mitbekommen. Da sucht ein junger Blondschopf auf der Flucht Obdach und trifft auf eine Frau, die ihm ähnelt. Man erlebt mit, was es heißt, wenn Fricka etwas nicht passt. Sieht, wie Wotan den neugeborenen Siegfried im Schoß der toten Sieglinde auf dem Weg nach Nibelheim findet; wie er den Herzschlag in der blutverschmierten Brust des Drachentöters hört, wenn wir nur die Hämmer der Schmiede hören. Man erlebt mit, wie die rebellierende Brünnhilde auf den Felsen gebannt wird, und überhaupt, wie der Fluch, den ihm Alberich ins Gesicht schleudert, durch Hagens Mord an Siegfried wahr wird. Dieser Wotan sieht im ersten Ringraub und im ersten Mord schon die jeweils folgenden. Das Leben eines sehenden Gottes als purer Alptraum. Der wenig zu lachen hat. Außer vielleicht, wenn Loge nach seinen vergeblichen Versuchen, in dem kleinen Kaminofen im Büro ein Feuer zu entfachen, dann plötzlich doch wie Mephisto in die Studierstube aus dem Feuer springt. Diese Bezüge funktionieren bei Hermann ziemlich genau, haben szenischen Witz. Und aus dem Verdacht, dass Freia wohl gar nicht so widerwillig als Pfand mit den Riesen geht, sondern das eher als Chance zum Ausbruch sieht, macht er eine Lovestory mit Fasolt. Loge erklärt der Göttersippe die Welt
Die hoffen beide, dass es mit dem Ersatz durch Albrichs Gold nichts wird. Sie bleibt denn auch zusammengebrochen über der Leiche des vom eigenen Bruder Erschlagenen zurück, während ihre Sippe auf den Felsen kraxelt. Dieser Einzug nach Walhall ist ein grandioses Bild - während sie am Ende ihrer Kraft klettern und sich die Götterburg einreden, stehen sie in Wahrheit schon über der verbrannten Erde, am Rande eines Abgrunds. Die Glut aus dem Erdinneren zerstört jedes Leben. Was David Hermann hier durchspielt, ist eine verblüffende Idee, die meistens funktioniert. Man könnte im Detail einwenden, dass man konsequenter die Perspektive Wotans hätte einnehmen können. Manchmal läuft die Zukunft einfach weiter, während er mit seiner Gegenwart beschäftigt ist, manchmal hat man den Eindruck, dass Loge weiß, was Wotan sieht - aber im Ganzen hält die erzählerische Spannung. (Vorausgesetzt natürlich, der Zuschauer kennt die ganze Geschichte. Ring-Neulinge sollte man vorwarnen.) Über die Welt, wie sie ist, wissen wir danach dann zwar auch nicht viel mehr. Wohl aber darüber, dass Wagners Ring die Welt, wie sie war, ist und sein wird, im Blick hat. Auf dem Vulkan.(Den Einzug der Götter in Walhall stellt man sich eigentlich anders vor.)
So lässt dieses Rheingold viel Raum für die nachfolgenden Regieteams um die Regisseure Yuval Sharon (Walküre), Thorleifur Öre Arnarsson (Siegfried) und Tobias Kratzer (Götterdämmerung), um die notwendige ambitionierten Interpretationen nachzuliefern. Musikalisch langte Justin Brown am Pult der Badischen Staatskapelle beherzt zu, und die Sänger ziehen mit. Aus dem durchweg überzeugend agierenden Protagonistenensemble beeindrucken besonders die überaus eloquenten Rheintöchter Uliana Alexyuk (Woglinde), Stefanie Schaefer (Wellgunde) und Katharine Tier (Floßhilde), mit ihrer kraftvollen Präzision Stefanie Roswitha Christina Müller als Fricka, aber auch die wendige Freia Agnieszka Tomaszewska. Und natürlich Ariana Lucas bei ihrem kurzen, aber allemal effektvollen Auftritt als warnende Erde. Bei den Herren geht der überzeugend spielende Renatus Meszar als Wotan vokal bis an seine Grenzen. Während Matthias Wohlgrecht als wendiger Loge und Jaco Venter als Alberich die Vorlagen ihrer Rollen zu glänzen weidlich nutzen. Auch der Rest stimmt, so dass am Ende der mit ein paar Buhs für die Regie gewürzte Jubel für diesen unterhaltsamen Ringauftakt für Fortgeschrittene alle traf.
Dem Theater in Karlsruhe ist zum Saisonende ein bejubelter Ring-Auftakt mit einem Rheingold gelungen, das auch für sich allein besteht. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Dramaturgie
Solisten
Wotan
Donner
Froh
Loge
Alberich
Mime
Fasolt
Fafner
Fricka
Freia
Erda
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
Schauspieler
Siegmund/ Siegfried
Sieglinde/ Gutrune
Brünnhilde
Hunding/ Hagen
Gunther
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