Als russische Olympionikin würde sie bei Dopingkontrollen gnadenlos durchfallen: vollgepumpt mit der Droge Musik! Aber schließlich sind wir nicht in Rio, sondern in Salzburg. Und außerdem heißt sie ja nicht Ana Bolika, sondern Anna Netrebko.


Beim heurigen Salzburg-Festspiel zeigt der 44-jährige Weltstar einmal mehr, was es heißt, Oper im Blut zu haben. Da pocht es künstlerisch unvergleichlich, und die Herzen der Zuhörer gehen weit auf. Selbst wenn es sich nur um konzertante Aufführungen handelt.


Netrebkos Leidenschaft gilt derzeit „Manon Lescaut“, der dramatischen Oper von Giacomo Puccini aus 1893. „Ich glaube, ich habe ein Gespür für diese Musik“, untertrieb die Ausnahmesängerin im Mai bei der Cover-Präsentation ihres in einem Monat erscheinenden Doppelalbums „Verismo“, auf dem sie viele Puccini-Zuckerl und da speziell solche aus „Manon“ verteilt. Und die Unschuld vom Lande spielt der Weltstar nun also auch im Großen Festspielhaus in drei (ausverkauften) Vorstellungen.

Die naive Manon soll ins Kloster, da fliegen ihr von zwei Seiten Amors Pfeile zu: vom entflammten Studenten Des Grieux, der nichts besitzt außer ein großes Herz, und dem nicht nur dem Namen nach alten Lustmolch Geronte, der mit Schmuck und Ansehen lockt. Hin- und hergerissen zwischen beiden Buhlen erkennt die 18-Jährige letztlich, dass Geld allein nicht glücklich macht. Für ihre Untreue wird sie von Geronte, zu dem sie nach Paris gezogen ist, als Hure diffamiert und nach New Orleans verbannt, wohin auch Des Grieux mitgeht. Auf beider Flucht durch die Wüste stirbt sie entkräftet . . .


Das Einzige, das bei der Premiere nicht passte, war die mit 36.000 Swarovski-Kristallen besetzte Bustierrobe aus Tüll – Anna Netrebko schon, allerdings nicht dem einfachen Mädchen Manon. Aber sonst stimmte fast alles an dieser konzertanten Produktion. Die russisch-österreichische Sopranistin legte auch ohne Bühnenbild und Regie großes Gefühlstheater hin: Glut und Innigkeit, keckes Spiel und tiefer Ausdruck, einmal Seide, einmal Brokat in der Kehle.


Neben ihr imponierte Yusif Eyvazov als Des Grieux. Der aserbaidschanische Tenor packte bei seinem Salzburg-Debüt herrlichen Schmelz aus, sodass sein nicht immer gerundeter Stimmansatz und nachlassende Kräfte nicht weiter störten. Und dass das Bühnenpaar auch ein echtes Paar ist, war in der feurigen Puccini-Romanze kein Schaden. Auch das restliche Ensemble zeigte sich festspielwürdig. Der akkurate Marco Armiliato am Pult trieb das Münchner Rundfunkorchester und den Wiener Staatsopernchor zu frischer Italianitá, selbst wenn man sich zwischendurch mehr Facetten und weniger Phon gewünscht hätte.

Die Präsidentin der Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler (links) im Gespräch mit Anna Netrebko und Yusif Eyvazov
Die Präsidentin der Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler (links) im Gespräch mit Anna Netrebko und Yusif Eyvazov © APA/FRANZ NEUMAYR

Seit ihrem triumphalen Debüt 2002 als Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“ ist Anna Netrebko die unumstrittene Königin von Salzburg. Längst auch abseits der Bühne: Die Sängerin plaudert während ihres Salzburg-Aufenthalts, bei dem sie auch diesmal im nahen Schloss Fuschl einquartiert ist, mit Fiakern, Portieren, Fußgängern. Schlendert mit ihrer Familie aus Krasnodar leger durch die Altstadt. Immer ihren achtjährigen Sohn Tiago an ihrer Seite und natürlich Yusif Eyvazov, von dem böse Zungen behaupten, er sei dem Äußeren nach der Harald Glööckler der Klassik. Als Des Grieux hat er eindrucksvoll bewiesen, worauf es in Wahrheit ankommt.


Übrigens: Wer die erste Nachtkritik in Salzburg hören will, sollte den Newsroom Würstelstand aufsuchen: „Schau, so viel Leut’ auf der Bühne!“, zeigte ein Anzugträger bei „Stocker’s Würstelzug“ auf dem Alten Markt stolz sein Handyfoto von der „Manon“ herum und schwärmte bei „Frankfurter, siaß“ vom Abend: „Nur 15 Euro, Säulensitz, und die Netrebko – a’fåch super!“

CD-TIPP: Anna Netrebko: „Verismo“. DG. Arien von Puccini, Giordano und Cilea. Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Antonio Pappano (erhältlich ab 2. 9.)
CD-TIPP: Anna Netrebko: „Verismo“. DG. Arien von Puccini, Giordano und Cilea. Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Antonio Pappano (erhältlich ab 2. 9.) © KK