Salzburg: Zwischen Festspielglanz und Opernelend

SALZBURGER FESTSPIELE 2016: FOTOPROBE ´DON GIOVANNI´
SALZBURGER FESTSPIELE 2016: FOTOPROBE ´DON GIOVANNI´(c) APA/BARBARA GINDL
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In Sven-Eric Bechtolfs „Don Giovanni“ werden unabsichtlich Extreme ausgelotet: Die feinnervige Inszenierung muss in klobigen Dekors ablaufen, Dirigent Alain Altinoglu sorgt für brillanten Klang mit zum Teil untauglichen Sängern.

Ein derartiges Wechselbad der Gefühle beschert nicht bald eine Opernproduktion. Der zweite Teil von Sven-Eric Bechtolfs Da-Ponte-Trilogie kennt Höhen und Tiefen in schwindelerregend jäher Aufeinanderfolge. Vor allem im Hinblick auf die Leistungen der Sänger, die zum Teil exzellent, zum Teil weit unter dem bei Festspielen zu erwartenden Niveau sind. Was sich das Besetzungsbüro dabei gedacht haben mag, bleibt einer der – in dieser Hinsicht in Salzburg leider gar nicht so raren – Fälle für Mutmaßungen der Kulturchronisten.

Jedenfalls lässt sich bei diesem von hinten her aufgezäumten Opern-Dreisprung des Interimsintendanten konstatieren, dass nach „Così fan tutte“ ein weiteres Mal hinreißend Theater gespielt wird. Diesmal im zu Unrecht „Haus für Mozart“ genannten kleinen Festspielhaus, dessen Akustik vielleicht so wenig für Mozart geeignet ist wie noch nie. Das Hammerklavier, das Maestro Alain Altinoglu höchstselbst während der Seccorezitative bedient, ist im hinteren Teil des Parketts nur wie aus einer Schuhschachtel kommend zu vernehmen, dabei agiert der Dirigent auch als Pianist offenbar reaktionsschnell und mit Sinn für Pointensetzung.

Höchste Primadonnennot

Der herrscht auch auf der Szene. Nur hin und wieder geht die Spiellaune mit dem Regisseur – und seinen animierten Darstellern – dabei durch. Don Juan muss beispielsweise so donjuanesk sein, dass er während eines Liebesduetts schon der nächsten Angebeteten nachstellen muss. Solche Übertreibungen hätte Ildebrando D'Arcangelo gar nicht nötig, denn er ist ein ungemein viriler, kraftvoller, aber doch zu geschmeidiger Linienführung begabter Belcantist.

Das berühmte „La ci darem“ mit der zwischen den eigenen widerstreitenden Gefühlen hin- und hergerissenen Zerlina von Valentina Navorniţa, aber auch das Ständchen singt er mit Noblesse und Charme, dem die Zerlina auch vokal entsprechend vielsagend zu entgegnen weiß.

Von den beiden anderen Damen lässt sich dergleichen nicht behaupten. Weder die Donna Anna (Carmela Remigio) noch die Elvira (Layla Claire) entsprechend annähernd den Anforderungen an Festspielbesetzungen in diesen Primadonnenpartien, scharfe Töne, unbeherrschte Koloraturen, schlichte Überforderung vor allem in den beiden großen Arien im Ausklang des zweiten Akts – die Bilanz ist geradezu erschreckend.

Ein Don Ottavio mit scharfem, ganz und gar nicht zu lyrischer Klanggebung begabten Tenor dazu, Paolo Fanale – das ergibt unter anderem im ersten Finale eines der wohl unattraktivsten Maskenterzette der Salzburger Festspielgeschichte.

Dem stehen virtuose Gesangsleistungen gegenüber, vom Titelhelden, der auch die rasante Champagnerarie souverän und ohne Atemnot bewältigt, aber auch von seinem Diener Leporello, den Luca Pisaroni mit allem Witz und dem gebotenen Schuss Zynismus ausstattet.

Auch er brillant in seiner Paradenummer, der Registerarie, auch sie – wie Giovannis Bravour-Stück – rhythmisch perfekt und im Einklang mit den von Altinoglu zu virtuosem Spiel und glasklarer Artikulation angestachelten Philharmonikern. Ein dermaßen vielgestaltiger, abwechslungsreicher, hier schmeichelweich phrasierter, da messerscharf attackierender „Don Givoanni“ ist in der jüngeren Festspielgeschichte kaum je musiziert worden.

Mochte die Ouvertüre noch ein wenig unstet wirken, die heiklen Tempo-Balanceakte in den großen Finalblöcken gelingen Altinoglu in kühnem Schwung, die jungen Musikanten der philharmonischen Sommerakademie fügen sich auch dort, wo Mozart das metrische Verwirrspiel auf die Spitze treibt, makellos ein, die Ensemblesätze sind mit den Sängern offenkundig akribisch einstudiert; da sitzt jedes Aperçu, ganz so wie in der Bechtolf'schen Bewegungsregie.

Umso schwerer wiegen (vokal) die Besetzungsdefizite. Umso ärgerlicher, dass diese Produktion in einem klobigen Hotelbühnenbild (Rolf Glittenberg) stattfinden muss, das eine geschmacklose Allerweltsatmosphäre für ein geradezu mythisch-hintergründiges Stück europäischer Kulturgeschichte schafft. Nicht, dass sich die Handlung nicht auch in einem Hotel abspielen könnte, nur: Warum dürfen es nicht, wie im Libretto vorgeschrieben, nächtliche spanische Gärten sein, hell erleuchtete Festsäle und düstere Kammern? Und wenn schon: Warum muss es eine derartige Protzarchitektur sein (hat Don Juan etwas mit Franco zu tun)?

Philharmonische Energetik

Wie auch immer: Die philharmonische Energetik treibt die Aufführung stetig vorwärts, trägt und begleitet im besten Wortsinn die Sänger, auch den ordentlichen Masetto (Jurij Samoilov), sogar den eher zögerlich als respektgebietend tönenden Komtur (Alain Coulombe) – und spornt in idealem musikdramatischen Dialog Giovanni, Leporello und Zerlina zu lebendigen, spritzigen, auch ruhig-seelenvoll strömenden Leistungen an.

Dieser mitreißende Opernpuls sorgt des Öfteren auch für Applaus nach ziemlich ungenügenden Gesangsleistungen; dass das diesbezügliche ständige Auf und Ab nicht die Stimmung und den dramatischen Fluss beeinträchtigte, darf dem Orchester, dem Philharmonia-Chor und vor allem dem Dirigenten auf das Konto gebucht werden.

Reprisen: 7., 9., 13., 18. und 21. August

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2016)

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