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 Szene aus der „Entführung aus dem Serail“-Aufführung in Akko. Am Schiffsbug George Iskandar als Bassa Selim.

© Yossi Zwecker

Oper in Tel Aviv: Erst die Normalität, dann der Friede

Begegnung der Kulturen: Wie die Oper Tel Aviv versucht, auch Araber für ihre Musiktheater-Aufführungen zu gewinnen.

Diesen Ort hat es bis vor einigen Jahrzehnten gar nicht gegeben. Der Innenhof, scheinbar für die Ewigkeit gebaut, auf allen Seiten von mächtigen, spitzbogendurchzogenen Mauern eingefasst, war komplett mit Sand verfüllt, unsichtbar gemacht, vergessen. So wie die gesamte Kreuzfahrerfestung des Johanniterordens in Akko, deren Mittelpunkt dieser Hof bildet. Ein osmanischer Gouverneur, Ahmad Pascha Al-Jazzar, ließ das Ensemble Ende des 18. Jahrhunderts zuschütten und darauf eine neue Stadt erbauen, mit einem Gefängnis genau über dem Innenhof. In dem saß übrigens ab 1868 auch Baha'ullah, Religionsstifter der Bahai, deren heiligste Stätten in Akko und im nahen Haifa liegen.

Erst in den sechziger Jahren begann man mit Ausgrabungen, schaffte riesige Mengen an Sand und Schutt fort, legte Saal um Saal, mehrere Kreuzgewölbe, die Krypta der ehemaligen Kirche und den Innenhof frei. In dem wir jetzt sitzen und Mozarts „Entführung aus dem Serail“ lauschen, der Geschichte des muslimischen Herrschers Bassa (italienisch für „Pascha“) Selim, der seinen christlichen Gefangenen aus Großmut die Freiheit schenkt. Ein musikalischer Kampf der Kulturen, inszeniert an einem Ort, an dem der Ost-West-Konflikt einstmals sehr real war.

Frieden? In Israel ist schon viel gewonnen, wenn man von Ruhe sprechen kann

Es ist ziemlich klar, von welchem Pascha man sich lieber zum Abendessen einladen lassen würde. Auch wenn Christoph Friedrich Bretzner, auf dessen Dichtung sich Mozarts Singspiel stützt, die Geschichte frei erfunden hat und mit westlich-verklärtem Blick einen eigenen romantischen Orient konstruiert, hat die Figur des Bassa Selim dem notorisch konfliktzerfressenen Nahen Osten doch etwas zu sagen. Denn immerhin tritt hier einer freiwillig einen Schritt zurück, der das nicht müsste, weil er die Macht hat. Bassa Selim ist ein Mann mit Visionen, und die sind in dieser Region, als Gegengewicht zur knallhart kalkulierenden Tagespolitik, bitter nötig.

Ein Politiker wie Jitzchak Rabin hatte Visionen, während das politische Programm des aktuellen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach neun Jahren an der Regierung auf das Wort „Machterhalt“ zusammengeschnurrt ist. Daniel Cohen, seit 2015 Kapellmeister an der Deutschen Oper Berlin, leitet das Jerusalem Camerata Orchestra. „Mit diesem Auftritt sprechen wir auch eine Sprache des Friedens“, sagt er. Der arabische Sender Al Dschasira hat über die Premiere berichtet, immerhin.

Friede, ein großes Wort, zu groß für den Nahen Osten. In Israel ist schon viel gewonnen, wenn man von Ruhe sprechen kann, oder noch besser: von Normalität. Zu der auch das gehört, was die Israeli Opera macht. Seit einigen Jahren verlässt sie die schützende Blase von Tel Aviv, bringt Oper in entfernte Ecken des Landes. An die antike Festung Masada am Toten Meer, zum Beispiel. Und eben in die Kreuzfahrerfestung von Akko. Klar, damit soll auch der Tourismus angekurbelt werden, nicht nur der internationale. Auch innerhalb Israels ist Akkos rein arabische Altstadt keine Top-Destination, obwohl das Mittelmeer nirgendwo so malerisch gegen die Steine einer jahrhundertealten Stadtmauer brandet wie hier, obwohl hier eines der besten Fischrestaurants Israels beheimatet ist.

Witz und schöne Bilder sind das Credo dieser Inszenierung

Aber in einem Land ohne nennenswerte Operntradition, in dem sich die Jugendlichen vor allem für den Musikstil Mizrahi (hebräisch für „östlich“, die in Deutschland bekannteste Vertreterin ist Dana International) begeistern, muss sich ein Opernhaus ständig neu erfinden. Umso mehr, seit Netanjahu vergangenes Jahr Miri Regev zur Kulturministerin gemacht hat. Die hat marokkanische, also sephardische Wurzeln und will der „Aschkenasim“-Kultur die Mittel kürzen, also dem Jerusalem Film Festival oder eben der Israeli Opera. Neulich musste ihr ein Mitarbeiter während eines Interviews schnell die wichtigsten Filme von Quentin Tarantino ins Ohr flüstern.

Im Innenhof von Akko ist die feuchtschwüle levantinische Hitze, die sich tagsüber wie ein nasser Waschlappen auf die Haut legt, ein wenig der Kühle des Abends gewichen. Die „Entführung aus dem Serail“ so zu deuten wie Calixto Bieito, der die „Martern aller Arten“ an der Komischen Oper Berlin radikal ernst nahm, traut sich diese Inszenierung dann doch nicht. Regisseurin Shirit Lee Weiss legt vor allem Wert auf den Witz, mit dem Mozart die Grausamkeiten der Story abmildert – und auf schöne Bilder. Der Bug einer schicken Yacht schiebt sich schräg von rechts auf die Bühne. Das mittelalterliche Mauerwerk wird zur Leinwand für Videoprojektionen, in denen Menschen ins Meer springen, untertauchen, nach Luft schnappen. Wasser als Symbol für Leidenschaft und Lebensfreude, aber auch für Angst und Bedrohung. Und als Referenz an den Genius Loci, an Akko, dessen Altstadt wie ein Zahn in die Bucht von Haifa hineinragt.

Die Oper wird, dramaturgisch genau abgestimmt, in jenem Moment unterbrochen, in dem George Iskandar als Bassa Selim auftritt. Denn jetzt schallen die arabischen Rufe des Muezzins von der nahegelegenen Al-Jazzar-Moschee herüber, die über der Krypta der Kreuzfahrerkirche errichtet wurde und nebenbei die größte Israels außerhalb Jerusalems ist. Während alle Sänger (darunter Nathan Haller als Belmonte, Gustav Andreassen als Osmin oder Gan-ya Ben-gur Akselrod als Konstanze) in den Rezitativen Hebräisch reden, ist Bassa der einzige, der Arabisch spricht, auch dies Teil des Regiekonzepts. Der Clash der Kulturen schlägt sich auch sprachlich nieder.

Der Schauspieler George Iskander gehört zu einer besonderen Gruppe: Den "Palästinenser 48"

Ein paar Tage später in Jaffa, einem Stadtteil von Tel Aviv, ebenfalls ein hauptsächlich von Arabern bewohnter Ort. Es passt, sich hier mit George Iskandar zu treffen. Denn der 37-Jährige ist selbst Araber. Und Christ. Und Palästinenser. Einen israelischen Pass hat er auch. Schillernde Identitäten, wie sie im Nahen Osten völlig normal sind. „Palästinenser 48“ nennt sich die Bevölkerungsgruppe, der er angehört, sagt er. Und meint damit jene Palästinenser, die bei der Staatsgründung Israels 1948 nicht auf ihre arabischen Führer hörten, die ihnen rieten, das Land zu verlassen und eine baldige Rückkehr versprachen. Sondern die blieben. Wie seine Eltern in Haifa. Er spricht offen von israelischer „Besatzung“ und von latentem Rassismus, etwa wenn er im Zug arabisch redet und die Blicke spürt, den Verdacht. Aber dann brennen sich seine dunklen, feurigen Augen wieder tief ins Gegenüber, und er sagt: „Ich erlaube mir selbst nicht, ein Fremder zu sein. Solange ich mit mir selbst in Verbindung stehe, bin ich das auch nicht.“

Iskandar ist kein Sänger, der Bassa Selim ist ja eine der wenigen reinen Sprechrollen im Opernrepertoire. Er ist Schauspieler, ausgebildet an der Beit Zvi-Schule in Haifa. Seit 2009 tritt er regelmäßig in Berlin auf, in „Dritte Generation“ an der Schaubühne, in der Regie von Yael Ronen. Es geht um die dritte Generation von Deutschen, Israelis und Palästinensern nach dem Krieg. Die Deutschen sagen hier Dinge wie: „Die Vergangenheit haben wir doch längst überwunden.“ Iskandar spielt einen palästinensischen Selbstmordattentäter, erst stolz, dann tieftraurig.

Yael Ronen arbeitet hier viel mit Humor, Satire, Überzeichnung. George Iskandar hat überhaupt wenig Berührungsängste mit dem Thema Terrorismus. In dem Film „Sabena“ (2015) verkörpert er Ali Taha Abu Snina, der 1972 mit weiteren Mitgliedern des „Schwarzen September“ eine Maschine der belgischen Sabena entführte, um palästinensische Gefangene freizupressen. Bei der Stürmung des Flugzeugs war übrigens auch Benjamin Netanjahu beteiligt.

Kein Terrorist, sondern ein Freiheitskämpfer sei Abu Snina gewesen, meint Iskandar: „Ich zeichne ihn nicht als Monster, sondern als menschliches Wesen.“ Im Projekt „A new way“ moderiert er Gespräche zwischen jungen Arabern und Israelis, dem palästinensischen Sender Musawa aus Nazareth gibt er Interviews zur Opernproduktion in Akko. Kleine Schritte, gelebter Friede. Sein Credo: Vergiss die Religion, vergiss die Politik. Sieh den Menschen. Warum lässt der Bassa Selim seine Gefangenen ziehen? Weil er den Europäern zeigen will: Wir sind wie ihr, wir haben ein Herz. Und nur von dort, aus dem Inneren, kann irgendwann so etwas wie eine Lösung des Nahostkonflikts kommen. Sagt George Iskandar. Und greift sich mit der Hand an den Brustkorb. Ein bisschen pathetisch, aber überzeugend.

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