Gounods "Faust" punktet nur dank der Sänger

Piotr Beczala als Faust
Wo aber war des Pudels Kern?

Warum, wozu, weshalb? Diese – zugegeben auch plakativen – Fragen sollte man sich schon stellen, wenn man einen neuen "Faust" auf die Bühne des Großen Festspielhauses hievt.

Denn nicht nur Goethes Drama "Faust 1" handelt von den elementaren Dingen des (Mensch-)Seins. Auch der Komponist Charles Gounod böte in seiner Oper genügend Ansätze für ein hintersinniges, auch erotisch aufgeladenes, eventuell psychologisch motiviertes Spiel um die Urfragen der humanen Existenz.

Nichts davon aber ist bei den Salzburger Festspielen zu sehen, die im Jahr 2016 scheinbar vor allem auf solides, biederes Behübschungstheater (man denke nur an die eher platte, deutungsfreie Bilderorgie bei Strauss’ "Liebe der Danae") setzen. Und auch das, was Regisseur, Ausstatter und Kostümbildner Reinhard von der Thannen bei Gounods Goethe-Adaption hinstellt, ist vor allem eines: gefälliges, optisch mehr oder minder beeindruckendes Biedermeier-Theater.

Mäuse tanzen

Dass der gebürtige Österreicher ganz vom Bühnenbild kommt (er war und ist oft kongenialer Partner des Regie-Giganten Hans Neuenfels), merkt man sofort. Ein überdimensioniertes Auge der Marke "James Bond" oder (kleiner gedacht) eines ORF-Logos beherrscht die meist in nobles Schwarz-Weiß getauchte Breitwand-Szenerie. Ein riesiges Skelett, herunterfahrende Orgelpfeifen sowie zwei Show-Treppen sind die bestimmenden Requisiten.

"Faust" als Musical? Warum auch nicht! Nur: Von der Thannen verzichtet völlig auf jede Personenführung, verortet das Geschehen im zeitlichen Nirgendwo zwischen Goethe, Gounod und Minnie Maus – Letzteres ist dank des Balletts (Choreografie: Giorgio Madia) immerhin eine schöne Reminiszenz an den schon legendären Bayreuther "Ratten"- "Lohengrin" von Hans Neuenfels. Hier sind es eben die Mäuse, die tanzen.

Offene Fragen

Das ist alles nett anzusehen, die Massenszenen funktionieren, optisch geht das ebenso gut wie ins Leere. Zwingende Fragen aber bleiben: Wie ist das mit Faust und Gretchen? Was treibt Mephisto, was Faust an? Welche Rollen spielen scheinbare "Nebenfiguren" wie Valentin, Marthe oder Siebel? Spießbürgertum gegen Teufelspakt? Hier bleibt der Regisseur leider fast alle Antworten schuldig.

Gleiches gilt auch für den Dirigenten Alejo Pérez, der am Pult der Wiener Philharmoniker (sehr gut der Philharmonia Chor Wien) wenig Emphase oder gar Leidenschaft einbringt. Man spielt Gounod, mehr als vier Stunden lang recht sicher vom Blatt, souverän und mit einer absolut erlaubten Prise Süßlichkeit. Nicht mehr, jedoch auch nicht weniger.

Vokale Antworten

Also liegt es an den Sängern, diese Neuproduktion in den Rang des Außergewöhnlichen zu heben. Vor allem einem gelingt das mühelos: Piotr Beczala ist ein Faust von Weltformat! Der Tenor verfügt über die schönsten Lyrismen, perfekt gesetzte, nie gestemmte Höhen, ein einzigartiges Stimm-Material – dieses Timbre, diese vokale Kultur lässt auch die eher dümmliche ("Piraten der Karibik"?) Perücke vergessen.

Als Gretchen (bei Gounod: Marguerite) besticht die auch optisch ideale Sopranistin Maria Agresta nach verhaltenem Beginn mit ihrer fein geführten, sehr samtenen Stimme; Ildar Abdrazakov orgelt einen zwischen allen Registern schwankenden Mephisto mit der nötigen, bedingt gefährlichen Routine.

Alexey Markov – vom Premierenpublikum unfassbar heftig bejubelt – singt die undankbare Partie des Valentin mit Stimmgewalt sehr gut; szenisch hat er wenig Chancen zur Profilierung. Marie-Ange Todorovitch als Marthe nützt diese in ihren kurzen Szenen sehr gut; Paolo Rumetz ist ein ebenfalls sehr würdiger Wagner. Bleibt Tara Erraught als massiv aufgewerteter, jedoch stimmlich nicht so präsenter Siebel.

Ein "Faust" also, der mit Bravos und Buhs für den Regisseur quittiert wurde, der zeigt: Die Salzburger Festspiele befinden sich in einer Phase des (harmlosen) Übergangs. 2017 mit Markus Hinterhäuser am Ruder wird das dann etwas anders werden.

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