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Premiere von Gounods "Faust": Vom Schweiße befreit

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"Faust" als Samstagabendshow: Clean und sorgsam arrangiert war die Premiere von Gounods "Faust" bei den Salzburger Festspielen, inszeniert von Reinhard von Thannen und dirigiert von Alejo Pérez.

Mit einem Band hat sie es seinerzeit erdrosselt. Dazu fand man an der Leiche blaue Flecken, auch Schnittwunden. Was das Originalgretchen noch alles mit seinem unehelichen Baby angestellt hat, das will man gar nicht so genau wissen, geschweige denn darstellen: Goethe hat den authentischen Fall bekanntlich zum Welttheater umgebogen und aufgepumpt. Noch fünf, sechs Schritte weiter, und von der Ursprungstragödie ist so viel übrig wie hier - ein Kistchen, das von Marguerite, so heißt die Arme bei Charles Gounod, gehalten, geherzt und mit in die Kirche genommen wird. Alles auf keimfrei gefeudelter Bühne im schicken, weiß bis zement-/ stein-/ mausgrauen Ambiente. Titelheld und dunkler Gegenpart tänzeln sich durch Arien und Duette, der Chor – ob mit erigiert vorgestreckten Gewehren oder als tierchenhaft verkleidete Phalanx – singt in streng formierter Choreografie. Der „Faust“ also nur Show?

Für die letzte Opernpremiere ihres Festspielsommers haben die Salzburger einen Routinier gebucht. Reinhard von der Thannen kannte man bislang nur im Doppelpack, als Bühnen- und Kostümbildner legendärer Regie-Abende von Hans Neuenfels. Von der Thannen ist unter anderem Bayreuths Rattenvater – und jetzt, ohne den knurrigen Querdenker, ziemlich allein gelassen. Wobei: Schlecht unterhalten fühlt man sich im Großen Festspielhaus nicht. Der Regieausstatter (der übrigens gleich seine Frau mit ins Team geholt hat) jongliert mit den Dimensionen des Riesenraumes, als habe er nie anderes getan. Alles ist in bester optischer Balance. Vor den weit geschwungenen Steg lassen sich wunderbar szenische Elemente wie Marguerites umgrüntes Bett hereinschieben oder Mephistos Wunderkasten: eine Klappgarderobe, die Personen nicht andere Identitäten gibt, sondern sie bloß verkleidet.

Käme jetzt Harald Juhnke, man würde sich nicht wundern

Mal gibt es Spektakuläres, wenn zum Kirchenbild riesige Orgelpfeifenpfeile nach unten fahren. Und man würde sich nicht wundern, kämen irgendwann aus der hinteren Öffnung, die wie das alte ARD- oder ORF-Logo aussieht, Peter Frankenfeld oder Harald Juhnke den Laufsteg heruntergeschlendert. Faust, die Samstagabendshow, ein Neu-Regisseur bewältigt offenbar sein altes „Musik ist Trumpf“-Trauma. Und alles ist so clean und sorgsam arrangiert, so vom Schweiße befreit, dass das Personal zu Spielfiguren reduziert wird und alle Probleme sich in einer glatt abschnurrenden Revue verlieren. Wer oder was dieser merkwürdige Gelehrte ist, welch schlimme Sache er mit einem nun nicht mehr unschuldigen Mädchen angestellt hat, woher der attraktive Kerl kommt, der als Typ aufgekratztes Bärchen den Entertainer gibt – keine Ahnung. Fest steht nur: Faust und Méphistophélès nähern sich optisch immer mehr an, wobei Ersterer das schlimmere Los gezogen hat. Piotr Beczala sieht mit seiner Siebzigerjahre-Matte aus wie eine Kreuzung aus Elvis Presley und Klaus Florian Vogt.

Stimmlich freilich trennen beide Welten. Ob Barockes wie neulich im Münchner Rameau oder Romantisches wie jetzt in Salzburg bei Gounod: Französisches will auch vokal erfühlt und bewältigt werden. Beczala führt vor, wie das geht. Mit einem in jede Richtung biegsamen Tenor, mit Eleganz in den Phrasierungen, mit unverkrampften, weit ausschwingenden Bögen, mit Grandezza dank kluger Mixturen auch in Extremlagen. Alles will diesem Ausnahmetenor derzeit gelingen. Und so locker singt er auch. Die anderen Kollegen bleiben dahinter zurück. Ildar Abdrazakov, den man im Bassfach eigentlich schätzen gelernt hat, verfügt als Méphistophélès über erstaunlich wenig Tiefenresonanz. Wo stimmlich der Dominator gefragt wäre, kommt entweder Knurriges oder Gedecktes, Monochromes.

Maria Agresta gibt das Gretchen

Auch Maria Agresta als Gretchen verschattet ihren Sopran, wo Direkteres, Offeneres, Helleres zu hören sein müsste. Das Timbre ist im Grunde attraktiv, alle Töne sind da, auch die raumgreifenden, triumphalen Spitzen. Und doch scheint es, als sei hier eine Desdemona oder Amelia im verkehrten Stück gelandet. Alexey Markov drückt seinen Valentin mit zu tiefem Stimmsitz in die hohe Lage. Erst bei Tara Erraught (Siébel) und Marie-Ange Todorovitch (Marthe) kann sich der Hörer wieder zurücklehnen und genießen. Was den Dirigenten betrifft, löst sich die Anspannung im zweiten, vor allem dritten Teil. Alejo Pérez greift anfangs beherzt in die Vollen. Einmal den blinkenden Benz der Wiener Philharmoniker steuern, wer will das nicht. Doch vor ihm, so klingt es zunächst, sitzen die Aushilfen vom Gebrauchtwagenmarkt.

Einsätze klappern, Philharmonia Chor Wien und Orchester sind nicht zusammen, überhaupt hapert es am Bühnenkontakt. Aber Pérez, obwohl er insgesamt zu laut bleibt, dirigiert sich frei und riskiert immer mehr Gestaltung. Es scheint, als ob sich Debütant und Wiener aneinander gewöhnen, in Salzburgs Platzhirschen erwacht irgendwann die Lust an Details und Differenzierungen. Dass die großen Szenen zu einschüchternden Klangmuskelspielen geraten, ist kein Malus: Gounod selbst, man denke nur an seine ausufernde Kirchenmusik, ließ ja gern alle Bescheidenheit fahren. Allgemeine Zustimmung für die Musikfraktion, Reinhard von der Thannen musste Buhs einstecken. Ein Abend wie der Blick in die Werkstatt einer Regie-Legende. Alle Zutaten vorhanden, allein der Meister zum Abschmecken und Arrangieren fehlt. Immerhin saß er im Publikum: Hans Neuenfels, bitte übernehmen Sie.

Weitere Aufführungen

am 14., 17., 20., 23., 26. und 29. August; Telefon 0043/ 662/ 8045-500; Aufzeichnung am 27. August., 20.15 Uhr, auf 3sat.

Markus Thiel

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