Wenn der Gockel mit der Henne

In voller Länge und auf historischen Instrumenten – die Neuproduktion von Domenico Cimarosas Opernkomödie «Il matrimonio segreto» an den Festwochen der Alten Musik ist musikalisch ein Hochgenuss.

Thomas Schacher, Innsbruck
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Cimarosas Il matrimonio segreto an den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. (Bild: Rubert Larl / Innsbrucker Festwochen)

Cimarosas Il matrimonio segreto an den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. (Bild: Rubert Larl / Innsbrucker Festwochen)

Eine Musikerpersönlichkeit ist es, die den Festwochen der Alten Musik ihren Stempel aufdrückt: der Dirigent und Cembalist Alessandro De Marchi. Seit 2010 leitet der Italiener das Festival in der Tiroler Landeshauptstadt als Intendant. Jedes Jahr überrascht er mit einem Opernleckerbissen, den er zusammen mit seiner Academia Montis Regalis auch gleich selber aufführt. Nachdem in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Produktionen von Scarlattis «La Dirindina», Händels «Almira» und Porporas «Il Germanico» über die Bühne des Landestheaters gegangen sind, wartet De Marchi heuer, zum Vierzig-Jahre-Jubiläum des Festivals, mit Domenico Cimarosas Opernkomödie «Il matrimonio segreto» auf. Beteiligt ist das international viel beschäftigte Regie- und Ausstatterduo Renaud Doucet und André Barbe. Und wenn es wieder einmal eines Beweises bedurft hätte, dass Musiktheater nicht «dramma con musica», sondern «dramma per musica» ist, so liefert ihn diese Produktion.

Ein Lieblingsprojekt

Dies liegt zuerst an der Komposition selber. Die 1792 am Wiener Burgtheater uraufgeführte Oper zeigt Cimarosa auf der Höhe seines Schaffens, kongenial mit dem ein Jahr zuvor verstorbenen Mozart. Gewisse Parallelen zwischen «Le nozze di Figaro» und «Il matrimonio segreto» sind denn auch offenkundig. Vor allem aber hat Cimarosa mit dieser Oper die Neapolitanische Schule auf einen Höhepunkt geführt. Alessandro De Marchi hat sich dem Werk mit Leib und Seele verschrieben. Er stellt es ohne Kürzung vor und schafft es, dass die Spannung während dreier Stunden nie nachlässt. Mit seinem Originalklang-Ensemble bewirkt er eine farbige Grundierung, die dennoch die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne nie zudeckt.

Spezielle Erwähnung verdient die Cembalistin Mariangiola Martello, die die Secco-Rezitative mit grossem Einfallsreichtum begleitet. Womit wir bei den Sängern wären. Da «Il matrimonio segreto» die einzige Barockoper ist, die sowohl einen Buffo-Bass als auch einen Buffo-Bariton verlangt, kann De Marchi seinen lange gehegten Wunsch realisieren und gleichzeitig mit seinen Lieblingssängern Donato Di Stefano und Renato Girolami zusammenarbeiten.

Di Stefano stellt den reichen Kaufmann Geronimo dar, der seine ältere Tochter Elisetta mit einem Adeligen verheiraten will. Girolami mimt Graf Robinson, der sich dummerweise in Carolina, die jüngere Tochter, verliebt. Von grösster Komik ist das Duett der beiden Männer im zweiten Akt, worin sie den Konflikt auf ihre Weise zu lösen suchen. Neben diesen beiden Urkomikern haben die Frauenrollen einen schweren Stand, obwohl auch sie ausgezeichnete musikalische Qualitäten besitzen. Die Schwedin Klara Ek gibt die zurückgesetzte Elisetta etwas eindimensional als beleidigte Leberwurst. Die junge Italienerin Giulia Semenzato als Carolina begegnet den Annäherungsversuchen des Grafen mit gekonnter Ambivalenz. Sehr gut ins Frauenteam passt die Mezzosopranistin Loriana Castellano als Fidalma, die verwitwete Schwester Geronimos. Sie ist kurzfristig für Vesselina Kasarova eingesprungen, die bei einem Entreissdiebstahl verletzt wurde. Stimmlich und schauspielerisch auf bescheidenerem Niveau agiert Jesús Álvarez als Sekretär Paolino. Immerhin trägt er zur Auflösung des Konflikts bei: Es kommt an den Tag, dass Carolina und er in aller Heimlichkeit geheiratet haben, so dass der Graf wohl oder übel mit Elisetta vorliebnehmen muss.

Wie im Hühnerhof

Und die Regie? Sie beruht auf einem an sich originellen Grundeinfall, der dann aber über drei Stunden derart penetrant durchgezogen wird, dass seine Wirkung verpufft. Ausgehend von Fidalmas Schelte an die keifenden Nichten («Ihr führt euch auf wie im Hühnerstall»), deuten Doucet und Barbe das Geschehen als Tierfabel. Elisetta, Carolina und Fidalma stellen Hennen dar, die mit den Füssen am Boden scharren und gelegentlich ein Ei legen. Paolino ist das Junior-Hähnchen, Geronimo der Obergockel, Graf Robinson ein Paradiesvogel mit Schottenrock. Die Bühne stellt das Innere einer Scheune dar, wahrgenommen aus der Perspektive des Federviehs. Links geht es hoch zum Hühnerstall, rechts zum Legekorb auf einem überdimensionierten Lehnstuhl. Am Boden in der Mitte tummeln sich Hühner und Gockel an Futternapf und Wassertrog. Trotz der einfältigen Deutung muss man der Personenführung des Regisseurs höchstes Lob spenden: Die Figuren benehmen sich so lebendig wie in einem Sprechtheater, und die szenischen Einfälle überschlagen sich. Während die Protagonisten beim Schlusssextett an der Rampe stehen, vollführen die Bediensteten im Legekorb eine Kissenschlacht, bei der die Federn nur so durch die Luft stieben.