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Rossini Opera Festival

Pesaro
08.08.2016 - 20.08.2016


Ciro in Babilonia

Dramma con cori per musica in
Libretto von Francesco Aventi
Musik von Gioachino Rossini

In italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3 h 10' (eine Pause)

Kooperation mit dem Museo Nazionale del Cinema in Turin

Wiederaufnahme-Premiere im Teatro Rossini in Pesaro am 10. August 2016 (Produktion von 2012)
(rezensierte Aufführung: 16.08.2016)


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Rossini Opera Festival

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Biblische Geschichte als monumentales Stummfilmdrama

Von Thomas Molke / Fotos vom Rossini Opera Festival

Der große Erfolg beim Rossini Opera Festival 2012 mit Rossinis erster ernsten Oper Ciro in Babilonia (siehe auch unsere Rezension) mag ein Grund gewesen sein, warum man sich entschieden hat, die Produktion in diesem Jahr erneut auf den Spielplan zu setzen. Ob es dabei aber geschickt ist, das gleiche Regie-Team in demselben Jahr mit einer Neuinszenierung von Il turco in Italia zu beauftragen, ist fraglich, da man einerseits das Erfolgskonzept von Ciro weder kopieren will noch kann, andererseits es dem Team aber nicht gelingt, etwas vergleichbar Faszinierendes zu konzipieren. So ist der Wiederaufnahme des Ciro szenisch der Vorzug zur Neuproduktion des Turco zu geben. Dabei konnte Il turco in der damaligen Zeit nach der etwas kühl aufgenommenen Premiere in Mailand einen wesentlich größeren Erfolg verbuchen als Ciro. Rossini selbst bezeichnete sogar viele Jahre später in den von dem Musikpädagogen Ferdinand Hiller veröffentlichten Plaudereien mit Rossini letzteren als ein "Fiasko", obwohl er direkt nach der Premiere in einem Brief an seine Mutter den großen Erfolg gelobt hatte. Kritik am Ciro wurde vor allem am Libretto wegen der langen Rezitative und des Aufbaus der einzelnen Nummern geäußert. Der zweite Akt ist mit dem Auftritt des Propheten Daniel (Daniello) zum einen inhaltlich überfrachtet und zum anderen länger als der erste Teil, was eine weitere dramaturgische Schwäche darstellt. Vielleicht lag es daran, dass der Librettist Francesco Aventi,der zwar ein gebildeter und belesener Mann war, eher für eine militärische als eine literarische Karriere geeignet war, so dass er auf diesem Gebiet wie ein Amateur agierte.

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Ciro (Ewa Podleś) will seine Frau Amira aus der Gefangenschaft des babylonischen Königs Baldassare befreien.

Die Handlung geht zurück auf das frevelhafte Gastmahl des babylonischen Königs Baldassare (Belsazar), von dem im fünften Kapitel des Propheten Daniel im alten Testament berichtet wird, und wird verknüpft mit der bei Herodot und Xenophon berichteten Eroberung Babylons durch den persischen König Ciro (Kyros II.). Um die Geschichte noch opernwirksamer zu machen, werden zwei Liebesgeschichten eingeflochten. So entführt Baldassare aus dem Lager der vor den Toren lagernden Persern Ciros Ehefrau Amira, seinen Sohn Cambise und die Dienerin Argene und verliebt sich in Amira, die allerdings seine Avancen selbst unter Androhung des Todes zurückweist. Der babylonische General Arbace liebt Argene und beschließt daher, die Gefangenen zu befreien. Zu diesem Zweck schleust er Ciro getarnt als Botschafter in den Palast. Baldassare durchschaut jedoch den Schwindel und lässt Ciro in den Kerker sperren. Als beim folgenden Gastmahl unter Donner und Blitz ein geheimnisvoller Spruch von unbekannter Hand an die Wand geschrieben wird, weissagt der Prophet Daniello (Daniel) Baldassares baldigen Tod. Dieser versucht, ihn abzuwenden, indem er plant, Ciro mit Frau und Kind zu opfern. Doch dazu kommt es nicht mehr. Den Truppen der Perser gelingt es, in die Stadt einzudringen und Ciro zu befreien. Baldassare wird zum Tode verurteilt, Ciro ist wieder glücklich mit Frau und Kind vereint, und Arbace darf auf Argenes Liebe hoffen.

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Ein Bild aus glücklichen Tagen: Ciro (Ewa Podleś) und Amira (Pretty Yende)

Dass trotz der genannten dramaturgischen Schwächen im Stück keine Längen entstehen, ist vor allem dem durchdachten Regiekonzept des Inszenierungsteams um Davide Livermore zuzuschreiben. Livermore inszeniert die Geschichte als monumentalen Stummfilm aus den Anfangsjahren des Kinos, in denen historische Streifen mit aufwendigen Kostümen und Kulissen Hochkonjunktur hatten. In diesem Kontext wirken die detailreich gestalteten Kostüme von Gianluca Falaschi keineswegs museal, sondern sind erforderlich, um die Illusion des Films aufrechtzuerhalten und das Publikum regelrecht in den Bann der Geschichte zu ziehen. Dies geschieht auch mit Teilen des Chors und Statisten, die zur Ouvertüre in schicken Abendgarderoben längst vergangener Zeiten die Bühne wie eine Art Kinosaal betreten und zunächst an der Bühnenrampe sitzend auf eine riesige Leinwand schauen. Erst ist es nur ein kleiner Junge, der die Grenze zur Fiktion überschreitet und als Ciros Sohn Cambise Teil der Handlung wird, während seine Mutter im Verlauf des Stückes immer wieder verzweifelt versucht, ihren Sohn zurückzubekommen. Nach und nach vermengen sich aber auch die anderen Zuschauer mit den Figuren des Stückes und werden Teil der Geschichte. So wird zwischenzeitlich eine Projektion des Zuschauerraums des Theaters zur Spielfläche, um aufzuzeigen, dass das Publikum inmitten des Geschehens steht.

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Baldassare (Antonino Siragusa, 2. von links) will Ciro (Ewa Podleś, links) zum Tode verurteilen (auf der rechten Seite: Amira (Pretty Yende) und Zambri (Oleg Tsybulko)).

Nicolas Bovey gestaltet die Bühne mit antik anmutenden, verschiebbaren Podesten, auf denen die Figuren auf die Bühne und wieder herunter gefahren werden können. Die Kulissen werden dabei von D-Wok als Videoprojektionen an die Wand geworfen. So entstehen beispielsweise fantasievolle Bilder eines Palastes oder die Einsamkeit einer weiten Wüste. Ständig flimmernde Streifen, eingeblendete Zwischentexte und Großaufnahmen von Ciro, Amira und Baldassare erinnern in ihrer Machart an die Stummfilmzeit, in der das fehlende gesprochene Wort durch übertrieben expressive Mimik und Gestik kompensiert werden musste. Auch dies wirkt im Rahmen des Gesamtkonzeptes nicht karikierend, sondern korrespondiert mit der Musik und dem gesungenen Text. So zeigt eine Großaufnahme von Ciro, während Arbace ihm mitteilt, wie er ihn in die Stadt schleusen will, einen Bezug zu dem von Arbace besungenen Plan. An anderen Stellen kommt es immer dann zum "Filmriss", wenn die Figuren aufgrund der Situation so durcheinander sind, dass sie keinen klaren Gedanken fassen können. Besonders gelungen wirkt auch das Schlussbild, in dem auf ein hochkant stehendes Bühnenelement ein antiker Streitwagen projiziert wird, auf dem Ciro mit seiner Frau siegreich in Babylon einzuziehen scheint.

Während das Flackern der Bilder stets an einen alten Stummfilm erinnert, werden bei der Kerkerszene im zweiten Akt die Möglichkeiten der modernen Computer-Animation eindrucksvoll vor Augen geführt. Aus dem Wüstensand entwickelt sich Stein für Stein der Kerker, in dem Ciro gefangen gehalten wird, während dieser an Ketten ein großes Podest auf die Bühne zieht. An der rechten Seite ist ein Fenster angebracht, durch das in einer geschickten Lichtgestaltung der Mond regelrecht hineinzuleuchten scheint. Hier träumen sich Ciro und Amira in eine bessere Zukunft. Ob dabei der Bogen des Kitsches überspannt wird, wenn Amira in einer Projektion auf einer Mondsichel durch einen Sternenhimmel schwebt und Ciro auf der linken Seite in der Luft hängt, ist Geschmacksache. Bewegend gelingen die Projektion der Hand, die das geheimnisvolle "Mane Thecel Phares" an die Wand schreibt, und der folgende Auftritt des Propheten Daniello, der Baldassare mit den Weiten der Wüste im Hintergrund dessen baldigen Untergang prophezeit. Livermore lässt kurz vor dem Finale dann zwei in einem großen Drachenmaul geopferte Mädchen in schwarzen Skelett-Kostümen wieder auftreten und Baldassare in die Tiefe stürzen.

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf Festspiel-Niveau. Isabella Gaudi verfügt als Argene über einen warmen, voll tönenden Mezzo, den sie leider nur kurz in ihrer Arie des zweiten Aktes, "Hi disprezza gl' infelici", einsetzen kann, wenn sie voller Furcht der geplanten Hinrichtung Ciros entgegensieht. Dass die Partie so klein gehalten ist, soll an der Uraufführungsbesetzung gelegen haben, die laut einer Anekdote Rossinis eine so beschränkte Stimme gehabt habe, dass die ganze Arie auf einen Ton komponiert worden sei. Von Gaudi hätte man gerne ein wenig mehr gehört. Da wäre es schön gewesen, wenn es noch ein Duett mit Argenes Geliebtem Arbace gegeben hätte. Dieser wird nämlich von Alessandro Luciano mit baritonal gefärbtem Tenor glanzvoll ausgestattet. Dimitri Pkhaladze gefällt in der recht kleinen Rolle des Propheten Daniello mit markantem und bedrohlich wirkendem Bass. Auch Oleg Tsybulko stattet den königstreuen Prinzen Zambri mit profunden Tiefen aus.

Antonino Siragusa überzeugt als Bösewicht Baldassare mit höhensicherem und beweglichem Tenor und verleiht dem babylonischen König in seiner Arie "Qual crudel, qual trista sorte", wenn er verzweifelt überlegt, wie er dem fatalen Orakelspruch entgehen könne, beinahe schon bemitleidenswerte Züge. Pretta Yende begeistert als Amira mit sauberen Koloraturen und macht die Leiden der entführten Frau absolut glaubhaft. Einen musikalischen Glanzpunkt stellt ihre Arie im zweiten Akt, "Deh! per me non v'affligete", dar, in der Amira um das Leben ihres Gatten Ciro bangt. Ein weiterer Höhepunkt des Abends ist erneut Ewa Podleś in der Titelpartie, die sie bereits vor vier Jahren in Pesaro interpretiert hat. Mit ihrer außergewöhnlichen Stimme verfügt sie über ein gewaltiges Register, das zum einen in unglaubliche Tiefen hinabreicht, zum anderen aber auch dramatische Ausbrüche in die Höhen zulässt. Mit welcher Beweglichkeit sie zwischen Höhen und Tiefen changiert, löst beim Publikum regelrechte Begeisterungsstürme aus, so dass nach ihrer Auftrittskavatine "Ahi! come il mio dolore", in der sie den Verlust der geliebten Amira beklagt, der Jubel des Publikums schier nicht enden will, so dass Podleś schließlich ein wenig aus ihrer Rolle tritt und sich leicht verneigt. Sehr eindringlich gelingt ihr auch das Duett mit Yende in der Kerkerszene des zweiten Aktes. Nach ihrem jubelnden Schlussgesang hält es das Publikum kaum noch auf den Sitzen. Der von Andrea Faidutti einstudierte Chor und das Orchester des Teatro Comunale di Bologna unter der Leitung von Jader Bignamini runden den Abend hervorragend ab, so dass es auch am Ende frenetischen Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Diese Wiederaufnahme kann als szenischer Höhepunkt des diesjährigen Festivals betrachtet werden und versöhnt ein wenig mit Davide Livermores missglücktem Konzept bei Il turco in Italia. Podleś ist eine Idealbesetzung für die Titelpartie, und auch die anderen Solisten sorgen für musikalischen Hochgenuss.

Weitere Rezensionen zu dem Rossini Opera Festival 2016



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jader Bignamini

Regie
Davide Livermore

Videodesign
D-Wok

Bühne und Licht
Nicolas Bovey

Kostüme
Gianluca Falaschi

Chorleitung
Andrea Faidutti



Orchester und Chor des
Teatro Comunale di Bologna


Solisten

Baldassare
Antonino Siragusa

Ciro
Ewa Podle
ś

Amira
Pretty Yende

Argene
Isabella Gaudi

Zambri
Oleg Tsybulko

Arbace
Alessandro Luciano

Daniello
Dimitri Pkhaladze


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