Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Paul Leclaire

Aktuelle Aufführungen

Auf dem Anstieg

CATONE IN UTICA
(Antonio Vivaldi)

Besuch am
9. September 2016
(Premiere)

 

 

Oper Köln, Staatenhaus

Die heiße Luft eines Spätsommerabends staut sich über dem gepflasterten Rund vor dem Staatenhaus. Das unmittelbare Umfeld ist weniger kulturell als merkantil geprägt. Da gibt es die Backstein-Zentrale des größten privaten TV-Senders in Europa, mehrstöckige Parkhäuser, die Ausläufer der Kölner Messe, nicht zuletzt eine Kolonnaden-Front im Stil der 1930-er Jahre. Die Säulen scheinen eher abwehren als einladen zu wollen. Auch im Saal eins des aktuellen Ausweichquartiers der Kölner Oper mit seinen ins Dunkel ansteigenden Sitzreihen ist es noch recht heiß. Kein Ort für ein anspruchsvolles Musiktheater, möchte man meinen. Keine Stunde für ein Drama, das ein halbes Dutzend Personen in wechselseitiger Feindschaft oder Liebschaft, jeweils jedoch akuter Abhängigkeit präsentiert. Dann aber doch: Kaum ist die so energische wie elegante Ouvertüre mit ihrem zeittypischen dreiteiligen Aufbau verklungen, kaum die erste Sorge um das vom Tiger bedrohte Lämmchen effektvoll vorgebracht, entwickelt sich wieder einmal das Wunder der Barockoper.

Wie aus dem Nichts findet ein fast gehauchter Ton seinen stimmlichen Sitz, steigt er der Nachtigall gleich in die Höhe, quasi unter das Dach des Saales, formiert er sich zum vollendeten vokalen Gefühlsausbruch. Es ist kein Geringerer als der Imperator Cesare, der so seinen inneren Qualen Ausdruck verschafft, großartig zu Gehör gebracht von dem koreanisch-amerikanischen Countertenor Kangmin Justin Kim. Der Zauber dieser Verwandlung heraus aus den Mühen des Alltags hinan zu den Höhen der Kunst heißt Catone in Utica, der Zauberer einmal Antonio Vivaldi, der das dreiaktige Dramma per musica 1737 für Verona komponiert, zum anderen Pietro Metastasio. Mit seinem Stück aus Roms Frühgeschichte –  eines von insgesamt 27 – untermauert er seinen Ruf als einer der besten und erfolgreichsten Librettisten seiner Epoche und weit darüber hinaus.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Als Folge zahlreicher Initiativen insbesondere von Musikwissenschaftlern in Italien und Frankreich sowie von Künstlern wie der Mezzosopranistin Vivica Genaux und des Counters Philippe Jaroussky erleben Vivaldis Opern seit geraumer Zeit eine Renaissance. Sind vielen Anhängern der Barockoper sein Orlando Furioso und seine L’Olimpiade schon länger ein Begriff, können Farnace und Ercole sul Termodonte, jüngste Ausgrabungen, mit neuerlicher Aufmerksamkeit rechnen. Ob das demnächst auch für die Rache- und Liebes-Fehde zwischen Cesare und Catone mitsamt ihren familiären und politischen Verwicklungen gelten kann, wird abzuwarten sein. Die Kölner Erstaufführung von Catone in Utica, als konzertante Produktion eingerichtet und erst durch allerlei archäologische Vorarbeiten des Dirigenten und Experten für Alte Musik, Gianluca Capuano, ermöglicht, basiert noch erkennbar auf einem Feld der Annäherung und Gewöhnung.

Foto © Paul Leclaire

Das gesamte Sängerensemble gibt mit dem jeweiligen Solopart sein Rollendebüt. Concerto Köln unter der Leitung Capuanos, der auch das Continuo spielt, musiziert zwar exzellent und erneuert sein Renommee als eine der besten Formationen seines Fachs. Die noch nicht erreichte Souveränität mit Vivaldis Partitur voller Komplexitäten und Virtuositäten wird jedoch stellenweise offenbar. So wird sie beispielsweise einmal in einer Weise manifest, die hier und da im Publikum Irritation auslöst, allerdings in milder Form. Capuano registriert das Fehlen der beiden Hornisten an ihren Pulten, deren effektvoller Einsatz unmittelbar bevorsteht. Die Kontrabassistin Clotilde Guyon nimmt das Signal geistesgegenwärtig auf und übermittelt es mit Blicken einer der beiden Oboistinnen auf der gegenüber liegenden Seite. Diese ordert dann, ihren Sitz kurzfristig verlassend, die beiden Blechbläser hinein. Knapp, aber letztlich rechtzeitig. Gut gegangen.

Ist Cesare in Gestalt von Kim ein Zentrum des Sängerensembles, schwingt sich Richard Croft rollengemäß als Gegenspieler Catone gerade nicht zu ebenmäßiger vokaler Form auf. Vielmehr klettert hier Vivica Genaux, die die von Rache und Vergeltung getriebene Emilia gibt, auf den Parnass. Die Mezzosopranistin mit einem erwiesen großen Faible und einer noch größeren Kompetenz für das Barock- und das Belcanto-Fach weitet ihren Kölner Auftritt zum Ereignis. Wie sie vor dem Break zum Schlussakt den vokalen Seiltanz Come in vano il mare irato zum Bravourstück eskaliert, reißt das Publikum zu Beifallsstürmen hin. In dem historischen Plot schlägt Cornelia alias Emilia als einzige alle Angebote zur Versöhnung aus, lebt sie ihrer Rache gegen Cesare, der einst ihren Gatten Pompeius ausschaltete. So lodernd, prachtvoll, furios ist die Emilia der Genaux, dass man ihr wohlweislich nur im Theater begegnen möchte, nicht auf den Plätzen Roms oder im afrikanischen Utica.

Ein Rätsel dieser Aufführung ist der angesprochene Croft, der in Köln noch als Nerone in Monteverdis L’incoronazione di Poppea in bester Erinnerung ist. Der für Händel- und Scarlatti-Einspielungen ausgezeichnete Tenor, der ein breites Rollenspektrum bis hin zu Britten und Strawinsky beherrscht, findet keinen rechten Zugang zu seiner Rolle. Er intoniert verhalten und merkwürdig distanziert, nestelt immer wieder an seinem Notenpult herum, bringt auch nicht die dramatische Spannung auf, die alle übrigen Sänger verbindet. Unter diesen ist Margarita Gritskova als Fulvio, ursprünglich eine mit einer Kontraaltistin besetzte Hosenrolle, eine Wucht. Die Mezzosopranistin, Ensemblemitglied  der Wiener Staatsoper, bewältigt die Partie des zwischen Liebe und Loyalität  schwankenden Gesandten Cesares mit Stimmgewalt und Dynamik. Die Mezzosopranistin Adriana Bastidas Gamboa als Marzia und die Sopranistin Claudia Rohrbach als Arbace, beide dem Ensemble der Oper Köln angehörig, meistern ihre Rollen mit großen Engagement. Dabei hat Bastidas Gamboa als umschwärmte Tochter Catones partiturgemäß die größeren sängerischen Momente, die sie auch mit Charme und wachsender vokaler Sicherheit zu nutzen weiß. Ein Umstand, der indes Rohrbachs Leistung nicht schmälert.

Zweimal nur gibt es diese Produktion im Staatenhaus, was schon sehr bedauerlich ist. Wäre das ambitionierte Unterfangen eine Bergtour, befände das Team sich gewiss auf dem Anstieg, wohl schon weit oben. Rumsprechen halt sollte sich der Kölner Vivaldi-Erfolg. Er könnte auch anderen Musiktheatern im Lande gut anstehen.

Ralf Siepmann