Volksoper: Die Verflüchtigung des Verruchten

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Regisseur Peter Lund packt in "Axel an der Himmelstür" von Ralph Benatzky eine kleine Geschichte vom großen Kino. Bettina Mönch überzeugt nur bedingt als Diva.

Ein stereotypes Buch, Musik von gestern und heute, ohne sonderliche Originalität, aber ,ins Ohr‘ gehend“, beschrieb Ralph Benatzky in seinem Tagebuch selbstkritisch zwischen Notizen über Fußball und Golf sein musikalisches Lustspiel „Axel an der Himmelstür“. Und kurz darauf: „Am 1. September war die Axel-Premiere, einer meiner größten Erfolge, wer kennt sich da aus?“ Das war 1936 im Theater an der Wien. Die später als „Nazi-Sirene“ verfemte Sara Stina Hedberg aus Karlstad, eine dunkle Riesin, die sich den im Dritten Reich heiklen Namen Zarah Leander (klang erstens jüdisch, zweitens nach Transvestit) zulegte, erlebte mit diesem Stück ihren Durchbruch.

Seit Samstagabend ist „Axel“ in Peter Lunds kundiger Regie an der Wiener Volksoper zu erleben. Das Publikum rastete bei der Premiere vor Begeisterung beinahe aus. Lund, der in Berlin lebt, Pfiff ins deutsche Unterhaltungstheater zu bringen versucht und an der Volksoper einen großen Erfolg mit Paul Linckes „Frau Luna“ hatte, schrieb auch ein Zarah-Leander-Biopic. Die Geschichte vom Reporter, der sich an die Filmdiva heranmacht, erzählt er als Comedy.

Quirliger Spaßmacher Bieber

Am meisten bezaubern Bühnenbild und Video von Sam Madwar und Andreas Ivancsics. Zu Beginn steigt Star Gloria Mills aus ihrem neuesten Stummfilm-Melodram aus. Die Bühne ist großteils in Schwarz-Weiß gehalten, in raschen Strichen werden Kulissen auf die Leinwand gezeichnet, Bauten hin-und hergeschoben, Axel fährt mit dem Rad und das Köstlichste ist die Wien-Parodie: In der Vorstellung der Touristen steht der Steffl, wie man weiß, am Donaustrom, Johann Strauß und Schubert Franzl musizieren zusammen – und das Riesenrad rotiert dazu.

Lund ist ein exzellenter Kintopp-Kenner. Frau Gloria beherrscht nur Rollen, wenn ihr in der Wirklichkeit Unerwartetes widerfährt, spricht sie Filmsätze. Und sie erzählt von den hassgeliebten Kolleginnen, Marylin und Marlene, Joan und Jean. Bettina Mönch, jugendlich, blond, forsch, ist ein Blickfang und musikalisch trittsicher. Allerdings würde sie ebenso wie ihr Partner, der quirlige Spaßmacher Andreas Bieber als Axel, eher in ein modernes Musical passen als in eine nur halb ironische Vamp-Saga. Mönch fehlt das Verruchte, Bieber das Chevalereske. Johanna Arrouas als Jessie Leyland, Sekretärin des Filmproduzenten Cecil McScott (Kurt Schreibmayer), erfreut, noch mehr Boris Eder als Friseur Theodor aus Ottakring, den es nach Hollywood verschlug. Mit Krautfleisch und „vieregedrehten Wuckerln“ (eine Anwendung der „vieregedrehten Wadeln“ auf Perücken) bekämpft Theo sein Heimweh und seine Passion für Jessie, die zunächst unerwidert bleibt, weil diese dem „Windhund“ Axel nachläuft. Gerhard Ernst spielt den stark überforderten Kriminalinspektor Morton: In Glorias Villa lagert nämlich nicht nur ein Diamant, es fallen auch aus jedem Winkel vermummte Gestalten.

Was Frauen alles können

Schließlich wird Axel wegen Einbruch und Diebstahlverdacht ins Gefängnis gebracht, dort holt ihn aber ein gewitzter Anwalt (Jakob Semotan) schnell wieder heraus. Ist der wahre Schuldige, Glorias Geliebter, Prinz Tino Taciano (Maximilian Klakow), ein „transsylvanischer Gigolo“? Lunds Bearbeitung ist humorvoll und verrät gute Kenntnisse des Wiener Milieus und des Dialekts.

Das Tempo ist atemberaubend. Die Einstudierung muss ein wahrer Drill gewesen sein. Aber es hat funktioniert. Das Volksopern-Ensemble, Chor, Orchester, Tänzer, wirkt bestens abgerichtet. Dirigent Lorenz C. Aichner hat alles und alle im Griff. Es gibt aber nur zwei Zarah-Leander-Songs, „Gebundene Hände“ und „Yes Sir“. Die Idee, das Stück zu modernisieren und von Zarah abzurücken, war naheliegend, sie geht aber nicht ganz auf. Zu stark ist dieses Werk mit seiner Entstehungszeit verflochten. Außerdem, lang kann man die Schwarz-Weiß-Stummfilm-Ästhetik jetzt nicht mehr nutzen, sonst wirkt sie verbraucht. Seit dem Film „The Artist“ sah man diese Restaurierungen oft. Die Aufführung erzählt aber auch allerlei vom Wandel in der Rolle der Frau.

Frühe Filmdiven standen noch mit einem Fuß im 19. Jahrhundert, von Greta Garbo zu Doris Day war der Weg recht weit. In Wien gibt es demnächst ein Damen-Kaleidoskop zu besichtigen: Helmut Korherr hat zwei Einakter über Hollywood-Star Hedy Lamarr und Thomas Manns Gattin Katia geschrieben (ab 29. 9. im Café-Prückel-Souterrain). Im Unteren Belvedere erkundet Sylvie Eisenberger Franz von Stucks Lieben (21. 9., 5.10.) in der noch bis 9. Oktober laufenden Ausstellung „Sünde und Secession“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2016)

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