Was will das Ozeanwesen im All von uns?

(c) Yasmina Haddad
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"Solaris", Michael Obsts Kammeroper nach Stanisław Lems Science-Fiction-Klassiker, fesselt in Hermann Schneiders Regie als Weltraum-Psychodrama in klaustrophobischem Ambiente. Die Zuschauer spielen mit.

Entschlossenheit verströmt Physiker Sartorius (Christian Manuel Oliveira): Vor Beginn seiner Mission (und der Oper) erklärt er in einer Art Pressekonferenz, den Durchbruch in der mittlerweile schon hundert Jahre dauernden Erforschung des Planeten Solaris durch den Menschen erzielen zu wollen. Dieser ist bedeckt von einem rätselhaften, gallertartigen Ozean, der als intelligentes Wesen sogar die Fähigkeit besitzt, korrigierend in die Umlaufbahn des Planeten einzugreifen. Eine echte Kontaktaufnahme ist jedoch noch nicht gelungen – bis jetzt.

Dann folgt das Publikum Sartorius noch tiefer hinab, bis hinunter in den Keller der „Black Box“ unter dem Foyer des Musiktheaters in Linz – und landet dabei im Weltraum, genauer: in der Raumstation im Orbit um Solaris. Dort kommt alles anders als gedacht: Das Ozeanwesen dringt nämlich in die Psyche der Astronauten vor, spürt dunkle Geheimnisse, mit Schmach und Schuld behaftete Erinnerungen auf und konfrontiert die Forscher mit den scheinbar zu neuem Leben erwachten Leichen aus ihrer Vergangenheit .

Handfeste Horroreffekte

Stanisław Lems 1961 erschienener Science-Fiction-Roman „Solaris“ zählt zu den Klassikern des Genres – und lässt offen, ob sich die Solaris-Lebensform gegen Eindringlinge zur Wehr setzt, indem sie diese mit Erscheinungen in den Wahnsinn treibt, ob die Menschheit in ihrer Evolution zu weit hinterherhinkt, um mit dieser hoch entwickelten Spezies wirklich kommunizieren zu können oder ob bei der Begegnung mit dem absolut anderen ohnehin jede Art des Austauschs von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Drei Verfilmungen, die berühmteste von Andrei Tarkovsky (UdSSR 1972), die jüngste von Steven Soderbergh (USA 2002; mit George Clooney), zeugen ebenso vom anhaltenden Erfolg wie zahlreiche Bühnenversionen.

Doch auch Komponisten fasziniert der Stoff, der mittlerweile wenigstens viermal den Weg auf die Opernbühne gefunden hat: in Werken von Henry Coreggia, Detlev Glanert (uraufgeführt bei den Bregenzer Festspielen 2012), Dai Fujukura – und des 1955 geborenen Michael Obst. Seine Kammeroper „Solaris“ nach eigenem Libretto stellte 1996 bei der Münchner Biennale die erste Musiktheaterfassung des Stoffes dar und fesselte nun nach dem „Falstaff“ am Abend zuvor als zweite Produktion der Eröffnungssaison des neuen Linzer Intendanten Hermann Schneider, der hier selbst Regie geführt hat. Es gibt handfeste Horroreffekte und ein mystisch-visionäres Ende. Bis zu einem gewissen Grad muss wohl jede Adaption an der Komplexität der von Lem aufgeworfenen Fragen scheitern. Aber dass Musik und Szene so souverän und einander gegenseitig verstärkend zusammenwirken, passiert beileibe nicht alle Tage. Das Publikum sitzt auf Drehsesseln inmitten der ringförmigen Raumstation, wendet sich nach Belieben den zwischen den Schauplätzen wechselnden Darstellern zu.

Rundherum sind Mini-Guckkastenbühnen sichtbar: ein grandios versiffter Gemeinschaftsraum, eine Kontrollstation, an der sich Snaut (Michael Wagner) betrinkt, ein gruseliger Bio-Hazard-Bereich, wo ein mittlerweile gezeichneter Sartorius arbeitet, die Kabine der Zentralfigur, Kris Kelvin (Justus Seeger), und die Andockschleuse – wobei ein besonderer Reiz in der Altertümlichkeit der technischen Ausstattung besteht, die doch eine ferne Zukunft darstellt (Bühne: Falko Herold). Dass das Instrumentalensemble des Bruckner-Orchesters unter Daniel Linton-France unsichtbar nebenan agiert und via Surround-Lautsprecher über den Köpfen der Hörer zugespielt wird, trägt zur spacig-musikalischen ebenso wie zur klaustrophobischen Wirkung des Ganzen wesentlich bei.

Schwerelose Singstimmen

Obsts Musik scheint als eine Art Fortsetzung jenes Modulsystems zu funktionieren, aus dem die Raumstation besteht: atonale, aus diversen rhythmischen Elementen immer wieder neu zusammengebastelte, elektronisch unterfütterte Minimal Music – aber ohne dass sich das klingende Ergebnis je dem Techno annähern würde. Vielfach fehlt den gleichsam zeitlos modern wirkenden Klängen eine solche Erdung sogar.

Schwerelos und von keinen tonalen Zentren dauerhaft in eine Umlaufbahn gezwungen muten auch die Singstimmen an, die Obst nahezu durchwegs wortdeutlich führt. Am eindringlichsten in der jungen, teils aus Mitgliedern des Opernstudios bestehenden Besetzung wirken freilich die beiden Erscheinungen: Julia Grüter, die die Harey mit schönem Sopran zum Klingen bringt, und die ausdrucksstarke, besessen anmutende Tänzerin Anna Štěrbová. Doch indirekt spielt auch das Publikum mit, scheint in die Rolle des Ozeanwesens zu schlüpfen: Als schweigender Beobachter schlägt es mit dem Sesseldrehen Wellen, generiert allein durch seine Anwesenheit die Geschehnisse – eine Pointe für sich. Ausdauernder Jubel belohnte diese Aufführung nach kompakten zwei Stunden. (Aufführungen noch bis 28. 10.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2016)

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