Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Patrick Pfeiffer

Aktuelle Aufführungen

Hau den Lukas

FALSTAFF
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
19. September 2016
(Premiere)

 

 

Landestheater Linz

Er ist schon ziemlich heruntergekommen, dieser Sir John. In einem schäbigen Bett, in abgewetzten Klamotten muss er wie ein Penner neben Eisenbahnschienen vor einer roten Ziegelwand mit seinen Saufkumpanen Bardolo und Pistola unter einer Brücke hausen. Aber er kann sich noch gewaltig mit einem blütenweißen Anzug herausputzen, wenn es darauf ankommt und er seinen amourösen Abenteuern nachgeht.

Etwa in die Entstehungszeit der Oper mit ihren großen gesellschaftlichen Umbrüchen, zur Zeit der industriellen Revolution, Ende des 19. Jahrhunderts, hat der Generalintendant des Theaters Erfurt, Guy Montavon, Giuseppe Verdis Falstaff zur Eröffnung der neuen Saison und der neuen Intendanz von Hermann Schneider am Linzer Landestheater gelegt. Das kann man auch an den Kostümen – die Ausstattung stammt von Hank Irwin Kittel – unschwer erkennen. Ford ist ein Munitionsfabrikant, in dessen Produktionshalle mit vielen Maschinen, Rädern und Seilen Falstaffs Stelldichein stattfindet. Falstaff wird auch nicht in einem Wäschekorb, sondern in einem Grubenhund versteckt und von diesem in die Themse gekippt. Das finale Bild findet am Jahrmarkt vor einem riesigen Tigerkopf, schwebenden Plastiktieren, einer Achterbahn und fantasievollen Kostümen statt, wo Falstaff als Clown erscheint und alsbald als Schießbudenfigur, als "Hau-den-Lukas" missbraucht wird.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Nur will im Jubiläumsjahr von Shakespeare der Witz hier nicht so richtig zünden, vieles wirkt allzu sehr bemüht. Die szenische Gestaltung ist besonders anfänglich zu zahm, zu bieder und zu unaufgeregt. Nur einige Gags animieren zum Lachen, beispielsweise wenn alle Anwesenden mit Gewehren auf den Hund des dort versteckten Liebespaares zielen, weil sie meinen, dass Falstaff drinsteckt und Ford gar ein überschweres Maschinengewehr dafür auspackt.

Foto © Patrick Pfeiffer

Mit saftiger, starker Bühnenpräsenz debütiert Federico Longhi auf Empfehlung von Riccardo Muti als Titelheld mit prachtvollem Organ. Die übrigen Sänger sind hausintern besetzt: Der elegante Ford des Martin Achrainer ist mit wohl timbriertem, kultiviertem Bariton ausgestattet. Jacques le Roux singt mit angenehm lyrischem Tenormaterial einen schmachtenden Fenton. Eine Luxusbesetzung sind der Pistola des Dominik Nekel und Matthäus Schmidlechner als stimmlich ansprechender Bardolfo. Solide ist der Dr. Cajus des Pedro Velásquez Díaz. Bei den Damen, die vom Volumen her alle etwas abfallen und in ihren Ensembles nicht immer zusammen sind, bezaubert allen voran Fenja Lukas als jugendliche und verliebte Nannetta mit ihrem leuchtenden Sopran, die während des letzten Bildes als Mary Poppins durch den Raum fliegt, während Myung Joo Lee als Alice Ford etwas leichtgewichtig hübsch singt und Martha Hirschmann als Meg Page überhaupt blass wirkt. Christa Ratzenböck als Miss Quickly singt solide und verzichtet nicht auf das übliche Outrieren. Bestens disponiert erweist sich der Chor des Hauses, dessen Einstudierung Georg Leopold besorgt hat, in tollen, phantasievollen Kostümen im letzten Bild.

Dennis Russell Davies, der sich das Werk ausdrücklich gewünscht hat, lässt beim Bruckner-Orchester Linz nach einem wenig spritzigen Beginn die Partitur von Verdis genialem, vielschichtigem Alterswerk zwar feinsinnig, mit wunderbarer Durchsichtigkeit, lyrischer Empfindungskunst, aber auch mit losdonnernden Tutti-Schlägen erklingen. Insgesamt könnte die Interpretation jedoch etwas mehr Esprit vertragen und das Zusammenspiel mit der Bühne exakter sein.

Langer, nicht gerade enthusiastischer Applaus für Dirigent und einige Sänger, allen voran Federico Longhi als Titelheld. Der Regisseur bekommt doch einige, wenn auch nicht nachhaltige Missfallenskundgebungen ab.

Helmut Christian Mayer