Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thomas Jauk

Aktuelle Aufführungen

Suche nach der verlorenen Jugend

FAUST
(Charles Gounod)

Besuch am
17. September 2016
(Premiere)

 

 

Oper Dortmund

Mag man in Deutschland lange Zeit Charles Gounods Faust eher mit spitzen Fingern angefasst haben, konnte sich die wirkungsvolle Oper mittlerweile auch hierzulande zu einem Publikumsmagneten entwickeln. Dass sich Goethe angesichts des erzkatholisch verzerrten Finales mit dem Auferstehungs-Hymnus Christ ist erstanden im Grabe wälzen dürfte, steht auf einem anderen Blatt. Dass bei einem solchen Stück jedoch selbst in einer Premiere große Lücken im Zuschauerparkett klaffen wie jetzt in Dortmund, muss zu denken geben. Auch wenn man goutieren muss, dass das Opernhaus für eine Stadt wie Dortmund generell zu groß dimensioniert ist.

Gleichwohl bleibt die Zustimmung des Publikums nicht aus. Von Regisseur John Fulljames, dem Co-Director des Royal Opera Houses London, sind keine abschreckenden Experimente zu erwarten und auch Kapellmeister Motonori Kobayashi sowie die insgesamt überzeugende Sänger-Crew bescheren keine unangenehmen Überraschungen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Fausts Sehnsucht nach der verblichenen Jugend steht im Zentrum der Werksicht des Regisseurs. Eine Jugend, die auch die teuflische Kraft Méphistophélès nicht herbeizaubern kann. Faust bleibt der alte, lebensmüde Mann, der der Liaison mit Gretchen lediglich als Beobachter beiwohnen darf, ohne eingreifen zu können. Desillusioniert stirbt er am Ende, während Gretchen zum Oster-Hymnus einsam einer ungewissen Zukunft entgegenschwankt. Damit wird die von Gounod aufgepfropfte katholische Verzerrung entkräftet. Die Religion präsentiert sich bei Fulljames ansonsten nur durch ihre unbarmherzige Brutalität gegenüber der schwangeren Marguerite.

Foto © Thomas Jauk

Eine Hartherzigkeit, die Méphistophélès schürt, der bei Fulljames keine schillernde oder gar ironisch gefärbte Dämonie aufweist, sondern wie ein Spiegel der bigotten Gesellschaft wirkt. Zuerst „betreut“ er in Schwesterntracht den kranken Faust, bevor er in ziviler Kleidung alles unternimmt, um das schlimme Ende der Tragödie zu beschleunigen.

Ansonsten inszeniert Fulljames unspektakulär und routiniert. Das Ganze spielt sich in einem Gewölbe ab, das wie ein Teil einer Kanalisation anmutet mit einer sich öffnenden Decke, aus der in den Liebesszenen ein auf den Kopf gestellter Baum auf den Boden sinkt, durch dessen Geäst sich Marguerite anmutig und romantisch windet wie eine Rusalka oder eine Melisande. Für die Bühne zeichnet Magdalena Gut verantwortlich.

Faust erscheint als Doppelgestalt, als alter Mann und als Jüngling, oft gleichzeitig, so dass sich der Schauspieler David N. Koch und der Tenor Lucian Krasznec die Rolle teilen, wobei Krasznec bei den Gesangsszenen auch zum alten Faust mutieren muss. Dass seine Stimme in dieser Gestalt erheblich gepresster wirkt als in der Präsenz des jungen Faust, scheint Absicht zu sein, mindert aber den Wert des großen Eingangs-Monologs. Als Jüngling lässt er eine beeindruckende Strahlkraft und einen betörenden Schmelz hören, womit er der schwierigen Partie vollauf gerecht wird.

Motonori Kobayashi lässt ein glückliches Händchen für den französisch sanften Gusto der Musik erkennen und animiert das Orchester zu einem rundum warmen Schönklang. Dass im ersten Akt die Koordination mit dem Chor ins Straucheln gerät, dürfte der Premierennervosität anzulasten sein. Ansonsten gehört der Chor mit seinen dankbaren Aufgaben zu den Aktivposten der Besetzung. Dazu zählt neben Lucian Krasznec die großartige Eleonore Marguerre, die sich als Marguerite zu ganz großer Form steigert und selbst das heikle Final-Trio mühelos bewältigt. Von ihren lyrischen Qualitäten ganz schweigen. Stimmlich bleibt auch Karl-Heinz Lehner mit seinem mächtigen Bass der Partie des Méphistophélès nichts schuldig, auch wenn er szenisch etwas vernachlässigt wird. Auf solidem Niveau singen Gerardo Garciacano als Valentin, Ileana Mateescu als Siébel und Almerija Delic als Marthe.

Großer Beifall des Premierenpublikums.

Pedro Obiera