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Kritik - "Falstaff" in Linz Böse und bildstarke Satire, gespickt mit Doppeldeutigkeiten

Nach seiner Zeit in Würzburg startete Hermann Schneider am Landestheaters Linz - einem der größten und modernsten deutschsprachigen Theater. Seine Amtszeit eröffnete der neue Intendant ausgerechnet mit "Falstaff" - Verdis melancholischem Alterswerk, mit dem sich Theaterleiter sonst gern verabschieden.

Szenenbild aus der Komischen Oper "Falstaff" von Giuseppe Verdi am Landestheater Linz | Bildquelle: © Patrick Pfeiffer

Bildquelle: © Patrick Pfeiffer

Es soll ja Menschen geben, die ihrer Zeit weit voraus sind, aber liebenswert sind sie meistens nicht, eher anstrengend. Sympathischer sind allemal die, die mit der Zeit gehen, und am unterhaltsamsten sind immer noch die, die von der Zeit überholt wurden. Sir John Falstaff zum Beispiel, ein trunk- und fresssüchtiger Ritter mit einer total gestörten Selbstwahrnehmung, begeistert immer wieder das Publikum. Falstaff schert sich nicht um bürgerliche Tugenden wie Ehre, Anstand und Höflichkeit, er lebt nach dem Lustprinzip, und das Schönste daran: Er kann es sich nicht leisten.

Waffenproduktion, Anstand & Doppeldeutigkeit

An der Oper Linz versetzte Regisseur Guy Montavon den romantischen Helden in die Zeit der Frühindustrialisierung. Während Falstaff faul im Bett liegt und allenfalls aufsteht, um seinem Vorbild Don Quichotte zu huldigen oder sein saufendes Personal zu schikanieren, drehen sich hinter roten Ziegelsteinmauern die Maschinen des Waffenproduzenten Ford, der seine goldenen Granaten feinsäuberlich zwischen Blumen drapiert und auch sonst ein ganz anständiger Kerl ist. Klar, dass Falstaff gegen so viel vermeintlichen Anstand keine Chance hat und als Jahrmarktsclown endet.

Guy Montavon zeigt Verdis letzte Oper als so böse wie bildstarke Satire: Die Rüschenkleider der so tugendhaften "lustigen Weiber von Windsor", die mit Falstaff ihre Scherze treiben, sind ebenso doppeldeutig wie die steifen Hüte der Industriellen. Falstaff steht nämlich für die Poesie, für Menschlichkeit und Sinnlichkeit, die braven Bürger dagegen verdienen ihr Geld mit Munition. Warum die Rüstungs-Arbeiter allerdings allesamt mit Gewehren fuchteln, erschließt sich nicht.

Schlitzohriger Falstaff und hemdsärmeliger Dirigent

Der neue Intendant des Linzer Landestheaters, Hermann Schneider, bewies jedenfalls Sinn für Ironie, als er seine Amtszeit ausgerechnet mit "Falstaff" eröffnete, Verdis melancholischem Alterswerk, mit dem sich Theaterleiter sonst gern verabschieden. Das Publikum applaudierte eher freundlich als begeistert. Federico Longhi in der Titelrolle überzeugte in jeder Hinsicht: Er war ein herrlich auftrumpfender, schlitzohriger Falstaff. Gemessen daran waren die übrigen Solisten recht unauffällig, abgesehen von der spielfreudigen Christa Ratzenböck als Mrs. Quickly. Was dem mal satirischen, mal poetischen Abend fehlte, war die Melancholie. Das lag auch an Dennis Russell Davies, der recht hemdsärmelig dirigierte und dem der Witz wohl wichtiger war als die Wehmut. Mal sehen, wann die Zeit über Waffenproduzenten hinweg geht. Zu wünschen wäre es.

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