Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Turandot

Oper in drei Akten
Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni
Musik von Giacomo Puccini

In italienischer Sprache mit französischen, niederländischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 25' (eine Pause)

Premiere  im Théâtre Royal de Liège am 23. September 2016

 



Opéra Royal de Wallonie
(Homepage)

Puccinis Ende

Von Thomas Molke / Fotos von © Lorraine Wauters - Opéra de Wallonie


Turandot gehört zwar zu Giacomo Puccinis bekanntesten Opern, was nicht zuletzt auf die berühmte Tenor-Arie "Nessun dorma" zurückzuführen ist, stellt an die Theater bei kompletten Aufführungen allerdings nicht nur wegen der schwer zu besetzenden Hauptpartien hohe Anforderungen. Hinzu kommt, dass Puccini diese Oper auch nicht vollenden konnte, sondern bei seinem Tod nur 36 Skizzenblätter hinterließ, die an das Geschehen nach Liùs Selbsttötung anschließen, und das Schlussduett für Turandot und Calaf noch gar nicht instrumentiert war. Auf Druck des Verlags und des Ministerpräsidenten willigte schließlich Puccinis Schüler Franco Alfano ein, die Oper auf Grundlage der Skizzen fertigzustellen. Dennoch haben sich seitdem die Musiktheater mit dem dramaturgisch und musikalisch fragwürdigen Schluss schwergetan. Toscanini brach bei der Uraufführung der Oper nach Liùs Tod mit den Worten ab: "An dieser Stelle starb der Maestro." Auch bei der zweiten Aufführung gab es Alfanos Ergänzungen nur in einer gekürzten Fassung. Seit der komplette Schluss in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts erstmals aufgeführt wurde, gibt es immer wieder unterschiedliche Varianten für das Ende der Oper.

Nun hat sich in Liège José Cura, der hier bereits vor vier Jahren in Cavalleria rusticana und Pagliaci in der Doppelfunktion als Regisseur und Sänger begeisterte (siehe auch unsere Rezension), Puccinis unvollendete Oper vorgenommen und findet für das Ende eine ganz eigene Lesart. Er lässt am Ende den Komponisten persönlich auftreten und legt ihm die letzten Worte Timurs in den Mund, nachdem Liù sich getötet hat. Ob es sich in Curas Inszenierung wirklich um einen Freitod handelt, ist übrigens diskutabel, da nicht ganz klar wird, ob sich die Sklavin wirklich in das von Turandot gezückte Schwert stürzt oder Turandot sie von hinten ersticht. Dass Turandot eine Mitschuld empfindet, lässt sich daran erkennen, dass sie im Anschluss verzweifelt versucht, ihre Hände vom (imaginären) Blut zu reinigen. In diese Szene tritt nun Puccini, und plötzlich erscheinen seine berühmten Bühnenfiguren wie Madama Butterfly, Mimi, Tosca, das Mädchen aus dem goldenen Westen, Suor Angelica und diverse andere, um von ihrem Schöpfer bedrückt Abschied zu nehmen. Puccini legt sich zwischen rote und weiße Papierlampen an der Bühnenrampe und beendet mit seinem Tod das Stück. So findet das Werk auch ohne fragwürdiges Happy End einen Abschluss.

Sieht man von dieser Neudeutung des Schlusses der Oper ab, wählt Cura einen klassischen Ansatz für seine Inszenierung. Als Rahmenhandlung führt er eine Schulklasse ein, die vor dem Beginn der eigentlichen Vorstellung an einem Projekt über Puccinis Oper arbeitet. Die jüngeren Kinder haben aus Pappe eine dreiteilige Pagode entworfen, die hinterher auch auf der Bühne das von Cura gestaltete Bühnenbild einrahmt. Die älteren Mädchen haben sich mit den Kostümen für die drei Minister beschäftigt und an die Bühnenwand, die den Vorhang ersetzt, drei Figuren aus der Commedia dell' arte gezeichnet, die die drei Minister Ping, Pang und Pong verkörpern. Diese treten zunächst in Alltagskleidung mit einem Koffer auf, in dem sich das jeweilige Kostüm befindet, das an der Wand skizziert worden ist. Ein Lehrer (Roger Joakim) erscheint und begutachtet die Arbeiten der Schüler, bevor er sich mit einer orientalischen Jacke in den Mandarin verwandelt und mit der Mitteilung, dass Turandot nur einen Verehrer heiraten werde, der ihre drei Rätsel lösen könne, die eigentliche Opernhandlung in Gang setzt.

Bild zum Vergrößern

Antikes Peking trifft auf Commedia dell' arte: in der Mitte von links: Pong (Papuna Tchuradze), Ping (Patrick Delcour) und Pang (Xavier Rouillon) (im linken Käfig: Calaf (José Cura), im rechten Käfig: Liù (Heather Engebretson) und Timur (Luca Dall' Amico), im Hintergrund: Chor).

Die Wand wird in den Schnürboden emporgezogen und gibt den Blick auf eine riesige dreigeteilte Pagode frei. Der Chor ist in orientalisch anmutenden Kostümen von Fernand Ruiz recht statisch im Hintergrund platziert. In der Mitte der Bühne befinden sich zahlreiche Käfige, in denen die Bewerber um Turandots Gunst, aber auch Liù und Timur gefangen gehalten werden. Letzteres erschließt sich nicht wirklich, da Timur zwar als entthronter König wie ein Bettler durch die Straßen Pekings irrt, sich dabei aber dennoch frei bewegen kann. Um Turandots Ablehnung des männlichen Geschlechts zu unterstreichen, umgibt sie sich mit diversen Kämpferinnen in Manga-Kostümen. Der Glanz, der von der Prinzessin ausgeht, wird durch eine geschickte Beleuchtung von Olivier Wéry unterstrichen. So wirkt sie in ihrem weißen Kostüm im gleißenden hellen Licht bei ihrem ersten Auftritt wie eine Engelsgestalt, was nachvollziehbar macht, dass Calaf sich in Liebe nach ihr verzehrt, zumal sie auch noch vor seinem Käfig ihren Schleier fallen lässt. Liù entreißt Calaf zwar kurz darauf diesen Schleier, kann ihn jedoch von seiner Faszination für diese männermordende Frau nicht befreien.

Bild zum Vergrößern

Calaf (José Cura) löst Turandots (Tiziana Caruso) Rätsel (im Hintergrund oben: Altoum (Giannia Mongiardino)).

Für die drei Rätsel, die Turandot Calaf stellt, werden in der Mitte der Bühne drei hintereinander aufgebaute Durchgänge aus dem Bühnenboden hochgefahren, wobei bei jeder Lösung eines Rätsels ein Papiervorhang den jeweils letzten Durchgang verschließt. So hat Turandot am Ende eigentlich keine Möglichkeit mehr, Calaf zu entkommen, zumal ihr Vater verkündet, dass sie an ihrem Versprechen festhalten müsse, denjenigen zu heiraten, der alle drei Rätsel lösen kann. Doch Calaf bietet ihr noch eine Möglichkeit, ihm zu entkommen, indem er einen der Papiervorhänge durchtrennt. Wenn sie bis zum Morgengrauen seinen Namen erfahre, sei er bereit, für sie zu sterben. Ob es nun der diversen bunten Bälle bedurft hätte, die als Schätze von der mittleren Pagode herabfallen, um Calafs Namen zu erfahren, ist Geschmacksache. Hier hätten die kreisförmigen Lichtprojektionen von Wéry ausgereicht. Die farbigen Plastikbälle rauben dagegen ein wenig die Illusion.

Bild zum Vergrößern

Liù (Heather Engebretson) weigert sich selbst unter Folter, den Namen Calafs preiszugeben (im Hintergrund: Turandot (Tiziana Caruso) mit Ping (Patrick Delcour)).

Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau. Paolo Arrivabeni findet mit dem Orchester der Opéra Royal de Wallonie einen frischen Zugang zu Puccinis Musik und führt das Ensemble mit leichter Hand durch den Abend, ohne dabei die dramatischen Passagen breit auszuwalzen. Das verleiht der Produktion einen schlanken Klang und verringert den häufig bei dieser Oper entstehenden "Kampf" zwischen Sängern und Orchester. Der Opernchor unter der Leitung von Pierre Iodice und der Kinderchor präsentieren sich solide. Patrick Delcour, Xavier Rouillon und Papuna Tchuradze überzeugen als Ping, Pang und Pong musikalisch und darstellerisch. Als Figuren der Commedia dell' arte nehmen sie die ersten Bewerber um die Gunst der Prinzessin keineswegs ernst und scheinen auch kein Mitleid mit deren Schicksal zu haben. Erst als Calaf sich der Prüfung stellen will, legen sie ihre Masken ab und verwandeln sich in Menschen aus Fleisch und Blut - ob man dafür nun ein Manga-T-Shirt, ein Spiderman-Kostüm und einen Büstenhalter mit Fatsuit benötigt, ist allerdings Geschmacksache -, bevor sie dann klassische orientalische Gewänder anlegen. Roger Joakim ist als Mandarin und Klassenlehrer mit seinem kräftigen Bariton in Liège eine gewohnt sichere Bank.

Bild zum Vergrößern

Calaf (José Cura) trauert um die tote Liù (Heather Engebretson).

Aufhorchen lässt Luca Dall' Amico als entthronter König Timur mit markantem Bass. Nur darstellerisch wirkt er für den altersschwachen Vater stellenweise noch zu agil. Als Puccini beweist er am Ende des Abends große Bühnenpräsenz. Tiziana Caruso hat sich wohl noch nicht richtig auf das umsichtige Dirigat Arrivabenis eingestellt. Jedenfalls legt sie Turandots große Arie übertrieben stimmgewaltig und mit viel zu viel Vibrato an, so dass sie in den Höhen einmal auch leicht flackert. Hier wäre ein bisschen weniger mehr gewesen. Dafür avanciert Heather Engebretson als Sklavin Liù zum absoluten Publikumsliebling. Mit sauber intonierten, glasklaren Höhen begeistert sie zum einen in ihrer großen Szene im zweiten Akt, wenn sie verzweifelt versucht, Calaf davon abzubringen, sich der Prüfung zu stellen, und bewegt in ihrer großen Schlussszene, wenn sie bereit ist, für Calaf zu sterben. Da die Oper an dieser Stelle auch endet, hätte sie schon fast eher den Titel Liù statt Turandot verdient. Cura beweist nicht nur, dass er als Regisseur einen überzeugenden Zugang zu Puccinis unvollendeter Oper findet, sondern kann auch in der anspruchsvollen Partie des Prinzen Calaf glänzen. Mit tenoralem Schmelz und einem furios ausgesungenen "Vincerò" gestaltet er das berühmte "Nessun dorma" und setzt absolut uneitel mit Arrivabeni durch, dass die Bravourarie nicht mit Applaus bedacht wird, um den musikalischen Fluss nicht zu unterbrechen. Auch Calafs "Non piangere, Liù" im zweiten Akt gestaltet Cura leidenschaftlich mit beweglichem Tenor und großartigen Höhen. So gibt es am Ende lang anhaltenden und frenetischen Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

José Cura stellt in Liège erneut sein vielseitiges Talent unter Beweis, indem er in Puccinis Turandot nicht nur als Sänger glänzt, sondern auch als Regisseur einen überzeugenden Ansatz findet, der auf Alfanos Vollendung des Werkes verzichtet.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Paolo Arrivabeni

Inszenierung und Bühnenbild
José Cura

Kostüme
Fernand Ruiz

Licht
Olivier Wéry

Chorleitung
Pierre Iodice

 

Chor und Kinderchor der
Opéra Royal de Wallonie

Orchester der
Opéra Royal de Wallonie

Statisterie der
Opéra Royal de Wallonie


Solisten

Turandot, chinesische Prinzessin
Tiziana Caruso

Calaf, Timurs Sohn
José Cura

Liù, Sklavin
Heather Engebretson

Timur, König der Tartaren im Exil
Luca Dall' Amico

Ping, Großkanzler
Patrick Delcour

Pang, Großmarschall
Xavier Rouillon

Pong, Oberküchenmeister
Papuna Tchuradze

Le Mandarin
Roger Joakim

Altoum, Kaiser von China und Turandots Vater
Gianni Mongiardino

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra Royal
de Wallonie

(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2016 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -