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Musiktheater
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Don Carlo

Oper in vier Akten (Mailänder Fassung)
Libretto von Joseph Méry und Camille du Locle
nach Schillers dramatischem Gedicht Don Carlos, Infant von Spanien
Italienischer Text von Achille de Lauzières-Thémines und Angelo Zanardini
Überarbeitung für die Mailänder Fassung von Antonio Ghislanzoni
Musik
von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 15' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Bielefeld am 30. September 2016


 

Logo: Theater Bielefeld

Theater Bielefeld
(Homepage)

Don Carlo mit einigen Umdeutungen

 Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß

Von den vier Schiller-Vertonungen, die Giuseppe Verdi komponiert hat, stellt Don Karlos, Infant von Spanien mit Sicherheit die populärste und weltweit am meisten gespielte Oper dar. Dabei hat sich Verdi allerdings auch mit kaum einem anderen Werk länger auseinandergesetzt. Von der Uraufführung 1867 in Paris schuf er bis 1886 in Modena insgesamt sieben Fassungen in französischer und italienischer Sprache, mal in fünf, mal in vier Akten, mal mit, mal ohne Ballett, so dass sich jedes Theater zunächst mit der Frage beschäftigen muss, welche Fassung gespielt werden soll. In Bielefeld hat man sich, wie häufig an den kleineren Stadttheatern, für die "kürzere" Mailänder Fassung entschieden, was in Anbetracht der Tatsache, dass die Vorstellungen hier erst um 20.00 Uhr beginnen nicht unvernünftig ist, damit die Zuschauer noch vor Mitternacht das Theater verlassen können.

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Die Prinzessin Eboli (Katja Starke) liebt den Infanten Don Carlo (Daniel Pataky).

Im Programmheft wird darauf hingewiesen, dass diese Fassung, in der der komplette Fontainebleau-Akt fehlt, dramaturgisch die Motivation der Protagonisten bisweilen im Dunkeln lasse. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Jochen Biganzoli in seiner Inszenierung einzelne Sprechpassagen einbaut, die zwischen den Szenen als eine Art innerer Monolog über Lautsprecher eingespielt werden. Neue Erkenntnisse liefern diese Einspielungen allerdings nicht. Filippo sucht einen Menschen dem er vertrauen kann. Muss er dafür eine Telefonnummer an die Wand schreiben? Prinzessin Eboli liebt, ja wen denn eigentlich? Mit dem König hat sie ein Verhältnis, aber ihr Herz gehört dem Infanten. Deshalb zeichnet sie wohl ein Herz an die Wand, in das sie nur "E + " einträgt. Der andere Name bleibt offen, und Rodrigo kämpft für die Freiheit Flanderns. Auch das weiß der Zuschauer, ohne dass Posa "Libertà" in großen Lettern an die Wand kritzeln muss. Von daher hätte man auf diese Monologe gut verzichten können, da sie auch den musikalischen Ablauf stören.

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Fragwürdige Freundschaft: Posa (Evgueniy Alexiev, links) und Filippo (Sebastian Pilgrim, rechts)

Noch fragwürdiger sind einige szenische Umdeutungen, die Biganzoli vornimmt. Zwar spielt er im ersten Akt, wenn Filippo die Contessa di Aremberg ins Exil schickt, weil sie seine Frau allein im Garten hat verweilen lassen, auf das außereheliche Verhältnis des Königs mit Eboli an, wenn dieser ihr vertraut die Hand auf die Schulter legt. In seiner großen Arie "Ella giammai m'amo!" zu Beginn des dritten Aktes, wenn er in seinem Schlafgemach die fehlende Liebe seiner Gattin beklagt, hat er allerdings nicht, wie mittlerweile in zahlreichen Inszenierungen zu erleben, Trost bei Eboli gesucht, sondern Posa krabbelt mit nacktem Oberkörper unter der Decke hervor. Will der König die Freundschaft des Marchese folglich für ganz andere Dinge? Dass Posa zur Verfolgung seiner Ziele alle Mittel recht sind, mag ja noch angehen, aber Filippos Personenregie darf an dieser Stelle durchaus in Frage gestellt werden. Unglaubwürdig wirkt auch, dass Posa sich durch einen Dolch tötet, den er vorher dem eingesperrten Carlo in die Hand drückt. So trägt der König nämlich keine Mitschuld am Tod Posas, und seine folgende Reaktion ist eigentlich unmotiviert.

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Der Großinquisitor (Moon Soo Park, in der Projektion) gebietet dem aufrührerischen Volk (Chor) Einhalt (vorne: Filippo (Sebastian Pilgrim)).

Doch die Inszenierung hat auch bewegende Momente, die vor allem mit der Figur des Großinquisitors zusammenhängen. Dieser erscheint nämlich wie der Mönch im ersten Akt als riesige Videoprojektion auf einem schwarzen Vorhang. Sein bleiches Gesicht ist dabei mit zahlreichen aufgemalten Kreuzen überdeckt. Als Figur wird er damit gar nicht fassbar, sondern schwebt drohend über der ganzen Szene. Besonders deutlich wird dies in der Auseinandersetzung mit Filippo, wenn das Gesicht in der Projektion immer größer wird und fast nur noch aus einem riesigen Mund besteht, dessen Worte unerbittlich in Filippos Kopf dröhnen. Vielleicht wäre es in dieser Szene bühnenwirksamer gewesen, wenn Moon Soo Park sich als Großinquisitor nicht noch mit einer riesigen Taschenlampe angestrahlt hätte und er somit nicht in voller Größe sichtbar gewesen wäre. Dann wäre die Figur noch Furcht einflößender gewesen. Mit dieser Projektion gelingt es nämlich auch am Ende des dritten Aktes nach Carlos Befreiung das aufrührerische Volk in seine Schranken zu weisen.

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Elisabetta (Sarah Kuffner) zwischen Carlo (Daniel Pataky, in der Video-Projektion links) und Filippo (Sebastian Pilgrim, in der Videoprojektion mit Sarah Kuffner rechts)

Bewegend gelingen die Videoprojektionen von Thomas Lippick auch im letzten Akt bei Elisabettas großer Arie "Tu che le vanità". Sarah Kuffner steht als Elisabetta dabei auf einer Treppe, während sich die Türen rechts und links in der Projektion öffnen und Carlo beziehungsweise Filippo erscheint. Zunächst sieht sie sich mit einem imaginären Carlo in Liebe verbunden, bevor sie dann als Projektion jedoch zu Filippo die Treppe emporsteigt und ihrer Liebe zum Infanten aus politischen Gründen entsagt. Dieser Aspekt wird auch zu Beginn der Oper auf dem schwarzen Vorhang betont, wenn man in einer Projektion sieht, wie Filippo Elisabetta in ein eng sitzendes Kleid presst und sie somit seinem Willen unterwirft. Ob Carlo dies als eine Art Kinobesucher mit Kappe, Popcorn-Tüte und Cola in dem von Wolf Gutjahr entworfenen großen Kubus betrachten muss, ist allerdings wieder Geschmacksache. Auch über den ersten Auftritt der Eboli mit ihren Hofdamen, die sich in grellen pinkfarbenen Kleidern vor einem goldenen "Rex"-Zeichen vergnügen, kann man geteilter Meinung sein, zumal die mit Tebaldo nachgespielte Szene des Schleierliedes im ersten Akt, etwas platt wirkt. Unter dem golden glitzernden Mantel offenbart Tebaldo nämlich nicht nur einen muskulösen Oberkörper, sondern auch eine prall gefüllte Hose, der er schließlich eine Flasche entnimmt, die er sich anschließend vor den Unterleib hält, um die Gläser der Hofdamen zu füllen.

Musikalisch ist hervorzuheben, dass es dem Theater Bielefeld gelingt, fast alle Partien mit Ensemble-Mitgliedern zu besetzen. Daniel Pataky meistert die Titelpartie mit sauberen Höhen und arbeitet die Leiden des jungen Mannes glaubhaft heraus. Evgueniy Alexiev wird als sein Freund Rodrigo zwar vor der Vorstellung als leicht indisponiert angesagt, steigert sich aber im Verlauf des Abends bis zum großen Abschied von Carlos im dritten Akt. Während er das berühmte Duett mit Pataky "Dio, che nell'alma infondere" im ersten Akt noch etwas vorsichtig ansetzt und man merkt, dass ihm die Höhen leichte Schwierigkeiten zu bereiten scheinen, ist davon weder im großen Terzett mit Katja Starke als Eboli und Pataky im zweiten Akt vor dem Autodafé noch in seiner Schlussszene noch etwas zu merken, und Alexiev punktet mit markantem Bariton. Katja Starke verfügt als Eboli über eine voluminöse Mittellage und überzeugt in ihrer berühmten Arie "O don fatale" mit großen dramatischen Ausbrüchen in den Höhen. In der Schleierarie fehlt ihr allerdings bei den Koloraturen ein wenig die Leichtigkeit. Sarah Kuffner punktet als Elisabetta mit höhensicherem Sopran und intensivem Spiel.

Moon Soo Park verleiht dem Großinquisitor mit schwarzem Bass unheimliche Züge. Als Gast begeistert Sebastian Pilgrim in der Partie des Filippo mit voluminösen Tiefen, die die Unerbittlichkeit seines Charakters unterstreichen. Nur in seiner großen Arie "Ella giammai m' amo!" lässt er ihn schwach erscheinen, was er stimmlich in weicher angesetzten Tönen umsetzt. Der von Hagen Enke einstudierte Opernchor präsentiert sich solide. Leichte Ungenauigkeiten beim Autodafé mögen einer gewissen Premierennervosität geschuldet sein. Szenisch verpufft ein Großteil der Szene, da Filippo, Carlo, Posa und die flandrischen Deputierten von den Seitenrängen agieren und dabei von einem Großteil des Publikums nicht gesehen werden können, zumal sie auch nicht mit Scheinwerfern angestrahlt werden. Dass bei der Verbrennung der Ketzer, die folglich auch nicht auf der Bühne inszeniert wird, die Stimme vom Himmel als Sängerin inszeniert wird, ist nicht neu. Dorine Mortelmans gestaltet die Stimme vom Himmel ebenso wie den Pagen Tebaldo mit hellem Sopran. Alexander Kalajdzic führt die Bielefelder Philharmoniker solide durch die mit Ohrwürmern gespickte Partitur, so dass es am Ende verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt. Unmutsbekundungen für die Inszenierung gibt es keine, aber man hat schon den Eindruck, dass der Beifall beim Auftritt des Regie-Teams ein bisschen abnimmt.

FAZIT

Das Theater Bielefeld verdient großen Respekt, dass es eine solche Produktion fast ohne Gastsolisten stemmen kann. Über die Inszenierung kann man geteilter Meinung sein, aber Verdis großartige Melodien entschädigen für den einen oder anderen Regie-Einfall, dem man nicht unbedingt folgen möchte.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Kalajdzic   

Inszenierung
Jochen Biganzoli   

Bühnenbild
Wolf Gutjahr

Kostüme
Heike Neugebauer

Video
Thomas Lippick

Licht
Johann Kaiser

Choreinstudierung
Hagen Enke

Dramaturgie
Daniel Westen

 

Bielefelder Philharmoniker

Bielefelder Opernchor

Extrachor des Theaters Bielefeld


Solisten

*Besetzung der Premiere

Filippo II. di Spagna
*Sebastian Pilgrim /
Moon Soo Park

Don Carlo, infante di Spagna
Daniel Pataky

Rodrigo, Marchese di Posa, grande di Spagna
*Evgueniy Alexiev /
Frank Dolphin Wong

Il Grande Inquisitore / Frate
Bernd Hofmann /
*
Moon Soo Park

Elisabetta di Valois
Sarah Kuffner

La Principessa Eboli
Katja Starke

Tebaldo / Voce dal cielo
Dorine Mortelmans

Il Conte di Lerma / Un araldo reale
Lianghua Gong

La Contessa di Aremberg
*Gea Bernard /
Eiko Rulla

Deputati fiamminghi
Mitglieder des freien Opernchores coruso

Kamera / Widerständler
*Maximilian Hülshoff /
Derya Rinder

Stimmen
Don Carlo
Cédric Cavatore

Eboli
Christina Huckle

Rodrigo
Thomas Wehling

Filippo II.
Thomas Wolff

 

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Bielefeld
(Homepage)




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