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Musiktheater
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Boris Godunow

Oper in sieben Bildern (Urfassung von 1869)
Text vom Komponisten nach dem gleichnamigen Drama von Alexander Puschkin
Musik von Modest Mussorgski

in russischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause) Kooperation mit der GöteborgsOperan und dem Theater Lübeck

Premiere im Opernhaus Nürnberg am 1. Oktober 2016


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Staatstheater Nürnberg
(Homepage)

Das Kasperltheater von heute

Von Joachim Lange / Fotos von Ludwig Olah


Hier singt man russisch, könnte draußen dran stehen. Die Oper Nürnberg eröffnet ihre Spielzeit mit Modest Mussorgskis Boris Godunow. Besondere Merkmale: Eine Garde von idiomatisch sicheren exzellenten Sängern und als Gast Regielegende Peter Konwitschny (71). Der erzählt die Geschichte vom Aufstieg und Untergang dieses Zaren nicht als ein hübsch ausgepinseltes Historienpanorama. Obwohl der eigentliche Schauplatz, der Moskauer Kreml, Bilder von Pracht und Geheimnis, gezückten Messern und einem über die Weite Russlands geschwungenem Zepter ganz von selbst aufsteigen lässt, geht es um den exemplarischen Spitzenpolitiker von heute.

Szenenfoto

Politik als Kasperletheater

Was die Zuschauer auf der Bühne von Timo Dentler als erstes zu sehen kriegen, ist ein Kasperletheater im XL- samt einer roten (Brecht-) Gardine im Mini-Format. Für ein zuschauendes Volk, das (politisch) verkatert am Boden liegt. Die Handpuppen-Doubles des politischen Führungspersonals wissen genau, wie man die "Wahl" von Boris Godunow zum neuen Zaren inszeniert. Sie überschütten das Volk schubkarrenweise mit Münzen und Winkfähnchen, mischen ein paar Gewehrsalven unter den bestellten Jubel, und schon kann Boris mit der Zarenkrone herumstolzieren.

Szenenfoto

Pimen wirkt hier eher wie ein Exsoldat und nicht wie ein Mönch

Wie eine dialektische Pointe zerstört dann aber das Jubel-Feuerwerk wie eine Granate dieses Jahrmarkts(puppen)theater. Das eingeknickte Gerüst hinter der zerstörten Politfassade liefert jetzt die imaginären Schauplätze. Zuerst für den einarmigen, aber kämpferischen Mönch Pimen (markant und auftrumpfend: Alexey Birkus), der seinem Eleven einredet, er sei eigentlich der rechtmäßige Zarewitsch und damit nicht nur Geschichte schreiben, sondern auch machen will. Wenn sich Grigorij (Tilmann Unger) auf den Weg nach Polen macht, um Truppen gegen Boris zu mobilisieren, dann sind die Reste der zerstörten Jahrmarktsbühne jener Grenzgasthof, in dem er seinen Verfolgern entkommt.

Szenenfoto

Der Zar im goldenen Käfig und in der Krise

In der gespielten Urfassung von 1869 (ohne den Polen-Akt) richtet sich der Fokus auf Boris. Im sprichwörtlich goldenen Käfig. Die Wände seiner Gemächer sind mit Goldpailletten verhängt. Am Weltenglobus und mit jeder Menge Kriegsspielzeug trainiert der Zarennachwuchs für seinen Job. Hier wird Boris von seinem Gewissen heimgesucht - ob er den legitimen Zarewitsch ermorden ließ, wie Pimen behauptet, bleibt eine Option, die nie geklärt wird. Bei diesem sehr menschlichen Zaren mit Pelzmantel über der Unterwäsche bleiben der Selbstzweifel und sein Zusammenbruch in einer Dosierung, die er in der Öffentlichkeit gerade noch überspielen kann. Der bulgarische Bass Nicolai Karnolsky läuft dabei zur Boris-Hochform auf.

Szenenfoto

Das Einkaufsparadies als Hüpfburg

Da Konwitschny nicht die Verkommenheit im historischen Russland, sondern exemplarisch den globalen Kapitalismus im Visier hat, beherrscht schließlich ein als knallbunte Hüpfburg aufgeblasener Einkaufswagen die Szene. Das Volk ist mittlerweile im Wohlstand verkommen. Eine vergoldete, gleichwohl mit den Politikern unzufriedene und frustrierte Konsumentenmasse. Ein Penner unter ihnen gibt den Gottesnarren, dem Boris resigniert seine Krone überlässt. Der überlebt das nicht. Der Zar mit dem plagenden Gewissen und den Selbstzweifeln aber, der kommt diesmal mit dem Leben davon. Er kriegt die Chance zum Ausstieg und darf im Freizeitlook (mit Sommerhütchen wie einst der Rentner Chrustschow) in den Orchestergraben, in die Musik entkommen.

Konwitschnys Theater ist deftig, will etwas aussagen. Er setzt dabei auf das Charisma seiner Sängerdarsteller, auf handgemachtes Theater und auf die aktuellen Bilder, die bei jedem Zuschauer im Kopf entstehen. Damit trifft er ohne jede platte Politsatire in Schwarze. Markus Bosch trägt das mit dem Orchester zupackend mit. Das Schroffe der Urfassung macht er zur Tugend. Und die Garde der Sänger hält dem mehr als nur Stand. Nach der Premiere gab es Jubel für alle.


FAZIT

In Nürnberg ist eine fulminante Spielzeiteröffnung gelungen: Peter Konwitschny und Markus Bosch stemmen Mussorgskis Boris Godunow als exemplarisches Polittheater mit Hintersinn.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marcus Bosch

Inszenierung
Peter Konwitschny

Bühne und Kostüme
Timo Dentler
Okarina Peter

Choreinstudierung
Tarmo Vaask

Dramaturgie
Kai Weßler


Chor des
Staatstheaters Nürnberg

Staatsphilharmonie Nürnberg


Solisten

Boris Godunow
Nicolai Karnolsky

Xenia, seine Tochter
Michaela Maria Mayer

Feodor, sein Sohn
Ida Aldrian

Xenias Amme
Joanna Limanska-Pajak

Fürst Schuiskij
David Yim

Andrej Schtschelkalow
Levent Bakirci

Pimen, ein Mönch
Alexey Birkus

Grigorij
Tilmann Unger

Missail
Yongseung Song*

Warlaam
Jens Waldig

Eine Wirtin
Solgerd Isalv

Ein Blödsinniger (Gottesnarr)
Hans Kittelmann),

Volkspolizist
Wonyong Kang*

Mitjucha
Gor Harutyunyan

Dorfpolizist
Suren Manukyan

Leibbojar
Lukas Christian Noerbel



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Nürnberg
(Homepage)



Da capo al Fine

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