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Paul - Allein zu HausVon Roberto Becker / Fotos von Sandra ThenWenn sich heute ein Opernhaus dafür entscheidet, ausgerechnet mit Erich Wolfgang Korngolds (1897-1957) Oper Die tote Stadt die Spielzeit zu eröffnen, dann will es damit nicht nur überregional beim Feuilleton punkten, sondern auch beim heimischen Publikum. In Basel haben sie als Hingucker schon ihren Donnerstag aus Licht von Karlheinz Stockhausen, der nach längerem Hin und Her mit einem Teil der Rechteinhaber nun doch als Livestream übertragen werden darf. Korngolds Oper hat es längst zurück in die Gruppe der Publikumsfavoriten geschafft. Und da darf dann auch schon mal ein Shootingstar unter den jüngeren Schauspiel-Regisseuren wie Simon Stone (32) sein Operndebüt versuchen. Kühn bleibt es dennoch, weil dieser 1920 gleichzeitig in Köln und Hamburg uraufgeführte, höchst erfolgreiche Jugendwurf des musikalischen Wunderkindes Korngold keine Selbstbescheidung kennt. Was da ein Zwanzigjähriger vor allem dem Tenor, aber auch dem Sopran abverlangt, ist geradezu mörderisch (da eifert er durchaus Wagners "Jugendsünden" nach). Und was er an hemmungslosen Anklängen an Verismo oder Strauss aus dem Graben aufsteigen lässt, ist auch nicht bescheidener. Marietta bei Paul daheim
Doch das Theater in Basel hat mit Rolf Romei für die Hauptrolle des Paul einen erfahrenen, gestaltungsintensiven Tenor aufzubieten, der obendrein bereit ist, im Interesse eines glaubwürdigen Rollenporträts bis an seine Grenzen zu gehen. Helena Juntunen bietet als seine reale bzw. geträumte Partnerin Marietta/Marie äußerste Präsenz und Spielfreude auf. Im übrigen Ensemble glänzen vor allem der junge Dresdner Sebastian Wartig als vokal und darstellerisch überzeugender Freund Frank und Eve-Maud Hubeaux als mezzosatte Brigitta. Das gesamte Protagonisten-Ensemble wirft sich genauso mit Verve in das Korngold-Abenteuer wie der Chor und das Sinfonieorchester Basel. Erik Nielsen lässt es sich natürlich nicht entgehen, in den suggestiven Sog einzutauchen, der vollends triumphiert, wenn mit Mariettas Lied "Glück, das mir verblieb" oder der Bariton-Arie "Mein Sehnen, mein Wähnen" die zwei unverwüstlichen Hits der Oper erklingen. Paul versucht, sich dem Leben zuzuwenden
In Rodenbachs Roman Brugge la morte, aus dem Korngolds Vater unter dem Pseudonym Paul Schott das Libretto destilliert hat, gibt es eine subtile Verbindung zwischen der Trauer des Titelhelden und der verfallenden, morbiden Stadt Brügge. Paul hat sich hierher zurückgezogen, um sich ganz dem frühen Verlust seiner jungen Frau Marie hinzugeben. Als er der Tänzerin Marietta begegnet, die seiner Marie aufs Haar gleicht, beginnt ein innerer Kampf, auf dessen Höhepunkt er Marietta erwürgt. Es ist aber nur ein heilsamer Traumschock, der ihn zur Besinnung bringt. Er vermag sich zu einem neuen Anfang aufzuraffen. Regisseur Simon Stone und sein Bühnenbildner Ralph Myers haben diese Geschichte auf eine äußerlich karg nüchterne, inhaltlich aber analytisch scharfsinnige Weise umgesetzt. Wobei die überall verteilten Filmplakate nicht nur auf die Filmaffinität des Regisseurs verweisen, sondern auch auf die Biographie des Komponisten. Korngold wurde nach seiner erzwungenen Flucht vor den Nazis in die USA im Jahre 1938 ein Oscar-gekrönter Filmkomponist in Hollywood! Mit mehr Nachwirkung in diesem Genre, als in der Oper, wo seine Tote Stadt der eine große, nicht wieder erreichte Lebenserfolg blieb. Das Pauls Wohnung Filmplakate von Godards Pierrot le fou (1965), Antonionis Blow up (1966) oder für Dirty Dancing (1987) schmücken, verweist jedenfalls auch darauf. Die Kammer der Erinnerung - tapeziert mit Bildern von Marie
Der uniforme Betoncharme der Wohnung hinter der Haustür Nr. 37 passt dabei zum des Basler Opernhaus. In diesem Ambiente erleben wir Pauls Ringen mit seinen Erinnerungen, seiner Selbstisolierung und den Versuch Mariettas, ihn in ein normales Leben zurückzuholen. Eine Kammer seiner Wohnung ist mit Fotos der Toten tapeziert, auf einem kleinen Altar bilden die Haare seiner Marie die zentrale Reliquie. Hier ist es eine Perücke, die die offenbar an Krebs verstorbene getragen hat, um die Folgen der Chemotherapie zu überdecken. Immer wieder taucht die Kranke wie ein Geist auf. Für Paul lebt sie noch. Das Leben bricht ein, die Wohnung auseinander
Als Marietta und die Welt des Theaters, in dem gerade Meyerbeers Robert der Teufel geprobt wird, auf Paul einstürmen, gerät seine Welt aus der Ordnung, bricht seine Wohnung auseinander, türmen sich die Zimmer übereinander. Hier hat er dann aber auch ein Leben mit Frau und Kindern vor Augen, das ihn so aus der Fassung bringt, dass er Marietta nicht nur abwehrt, sondern umbringt. Zumindest denkt er das. Da Marietta sich am Ende noch quicklebendig von ihm verabschiedet und auf ihrem Fahrrad wieder davon radelt, während Paul am Küchentisch anfängt Fotos und die Haar-Reliquie zu verbrennen, bleibt die Hoffnung, dass der schockierende Alp-Traum eine heilsame Wirkung entfaltet. FAZITSimon Stone ist in Basel ein überzeugendes Debüt als Opernregisseur gelungen - und die Tote Stadt entfaltet erneut eine ziemlich lebendige Wirkung.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Paul
Marietta/ Marie
Frank/ Fritz
Brigitta
Juliette
Lucienne
Victorin
Graf Albert
Klavier
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