Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Mit Ketchup und Majo Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger
Hoffmanns Erzählungen, Orpheus in der Unterwelt, Die schöne Helena, Pariser Leben, vielleicht noch La Péricole und Ritter Blaubart sind
Bühnenwerke von Jacques Offenbach, die dem fleißigen Opern-
und Operettenbesucher geläufig sind. Die Großherzogin von Gerolstein
gehört dagegen zu den vielen Werken Offenbachs, die nur sehr
selten auf den Spielplänen der deutschen Musiktheater zu finden
sind. Sehr zu unrecht, was die Produktion dieser satirischen Operette –
genauer: Opéra bouffe – am Staatstheater Kassel ahnen
lässt. Die wilde Skurrilität und leichte Frivolität des
Librettos von Henri Meilhac und Ludovic Halévy steht im
kongenialen Verhältnis zur geistreichen, humorvollen, ironischen,
quicklebendigen, herrlich leichten, aber nicht leichtgewichtigen und
einfach Spaß machenden Musik, die einen aus allen möglichen
und unmöglichen Ecken verschmitzt angrinst.
Gideon Poppe (Fritz), Herren des
Opernchores
Die Großherzogin
führt Krieg aus Langeweile, unterstützt vom die
Staatsgeschäfte führenden Baron Puck, der befürchtet,
dass die Dame sich ansonsten langweilen und auf den dummen Gedanken
kommen könnte, selbst zu regieren. Sie verliebt sich in den
einfachen Soldaten Fritz, protegiert ihn eigenwillig und brüskiert
damit seinen Rivalen Bumm. Der war bis dahin Fritzens Vorgesetzter und
hat ihn gern schikaniert, weil er ebenfalls in dessen Freundin Wanda
verliebt ist. Im Kriegsrat kann Fritz mit seinem Schlachtplan
überzeugen und wird zum Oberbefehlshaber ernannt. Als General, nun
über Bumm stehend, zieht er in den Krieg. Die Großherzogin
wehrt inzwischen die Avancen des lächerlichen, über seinen
schlechten Stand in der Presse jammernden Prinzen Paul mit der
Begründung ab, gerade keine Zeit zum Heiraten zu haben und
vertröstet ihn auf später.
Soweit die Handlung im
Überblick, die als solche nicht wirklich
außergewöhnlich oder bedeutend ist. Das wird die ganze Sache
erst durch das Libretto, das voller ironischer Anspielungen,
pathetischer Überzeichnungen und unendlich viel feinem,
geistreichem Witz ist – und natürlich in Verbindung mit der in's
gleiche Horn stoßende Musik. Urkomisch, wie sich Offenbach
über die Triller des Operngesangs lustig macht, wie er pathetische
Emotionalität karikiert, wie er Pathos und Bedeutsamkeit auf
Nebensächliches oder Selbstverständliches legt („Das Messer
muss scharf sein“), wie er ein Verschwörerterzett karikiert, das
Bejubeln der Gerolsteiner Erbwaffe („Der Säbel, der Säbel“)
überhöht oder auch wie er beim Postverteilen mit fugierten
Einsätzen die Barockmusik persifliert.
Regisseurin Adriana Altaras hat die Geschichte vom Gerolstein der
1720er-Jahre in die Bundeshauptstadt der 1960er-Jahre verlegt und zwar
ganz konkret in, auf und unter den Bonner Kanzlerbungalow, durch dessen
drei Spielebenen sich ein kräftiger Baum (der aber keine „deutsche
Eiche“ ist) zieht. Auf dem Dach sieht seine Krone zunächst aus wie
eine Hecke, im Wohnzimmer erinnert der Stamm an den ersten Akt
der Walküre – ein
Schwert sucht man aber vergebens – und im Kellerschlafzimmer
hängen die Wurzeln in der Luft. Ein schönes Bild, dass
Bühnenbildnerin Yashi da entworfen hat, die auch für die
passend biederen Kostüme verantwortlich zeichnet. Bei denen ist
sie auch sehr realistisch geblieben und hat sich nicht zu
Übertreibungen verführen lassen. Das gilt auch für die
Uniformen der damals noch jungen Bundeswehr, die hier für das
Militärische herhalten muss und mit Spott und Ironie
übergossen wird. Die gezeigten Fahnen haben schwarz-rot-goldene
Streifen, die aber einmal längs und einmal quer nebeneinander
liegen. Auch eine Europafahne, die ja bereits 1955 vom Europarat
eingeführt wurde, ist zu sehen. Protektion, degenerierte Herrscher
und deren Willkür, Lächerlichmachung des Militärs und
dessen irrsinnigen Vorschriften und Befehlen, Waffengefuchtel (hier
sind es folgerichtig Pistolen und Maschinengewehre) und
„Hurra“-Militarismus geht ja irgendwie immer und so hinkt dieser
Vergleich nicht mehr, als es die meisten Vergleiche tun – aber er hinkt
nur, er stolpert nicht.
Jaclyn Bermudez (Wanda), Gideon Poppe (Fritz),
dahinter: Bernhard Modes (Baron Grog), Daniel Holzhauser (Baron Puck),
Tobias Hächler (Prinz Paul), Marc-Olivier Oetterli (General Bumm),
Damen des Opernchores
Dass die Inszenierung
letztlich aber doch auf die Nase fällt, die sie eigentlich anderen
drehen sollte, liegt an einem altbekannten Problem: Wenn man versucht
etwas Komisches noch komischer zu machen wird es schnell albern, im
schlimmsten Fall peinlich. Wenn man Komisches ernst nimmt, wird es
wirklich komisch und vor allem kann man dann jede geistreiche Nuance,
jeden feinen Witz, jeder freche Ironie deutlich werden lassen.
Kleistert man ein fein gewürztes Menü mit Majo und Ketchup
zu, kann man keine raffinierten Nuancen mehr schmecken. Und genau das
passiert hier auf der Bühne.
Dabei bedient sich die Personenregie albernster Gags, die noch nicht
einmal (mehr) komisch sind. Fritzens schmerzhaftes
Hackenzusammenschlagen beim militärischen Gruß ist ein
Beispiel für einen sich schnell totlaufenden running Gag. Dass
Fritz und Wanda dezent über das Küssen singen, sich aber auf
der Bühne bis zur Beischlafbereitschaft ausziehen, ist ebenso ein
Beispiel für die vielen kontraproduktiven
Überverdeutlichungen wie die Szene des persönlichen
Gesprächs mit Fritz, in der die Großherzogin die Kontrolle
über sich verliert, sich auf der Sitzgruppe wälzt und Fritz
schließlich leidenschaftlich küsst. Die Großherzogin
sehnt sich danach, bewahrt aber Haltung und Contenance – würde das
auch so dargestellt, wäre es komisch. Wenn die Verschwörer
ihr Terzett ernst- und gern auch überernstnehmen würden,
wäre auch das komisch. Cancan-Tanzen und Polonäse-Schieben
ist es nicht. Dass die Frauen im Nachthemd die Feldpost entgegennehmen,
ist ein ebenso schwacher Gag wie die Zeichnung des Prinzen Paul als
holländischen eitlen Geck mit blonder Mähne, der der
Gräfin rote Tulpen mitbringt und ihr nach deren Jawort in
Unterhosen nachläuft. Was einen insbesondere deshalb wundert, weil
die Großherzogin als eingebildete, unbeherrschte Zicke gezeichnet
ist, der alles Aristokratische und Damenhafte fehlt. Die Grenze zum
Peinlichen überschreitet die verstaubte Idee, Soldaten über
ihre Uniformen BH und Mieder tragen zu lassen. Obendrein wird das Ganze
mit wildem Aktionismus so überladen, dass man die wenigen guten
Einfälle leicht übersieht. So zum Beispiel der Moment, in dem
Fritz bei seiner Strategieerklärung kurz die Hände zur
„Merkel-Raute“ formt oder das Abendkleid der Großherzogin mit
dezentem Flecktarnmuster. Auch der nur dezent auf den Vorhang
projizierte Bundesadler, der vor dem zweiten Akt zum Bundespostwappen
wird und vor dem dritten Akt auf dem Kopf steht, hat seinen optischen
Reiz.
Luca Ghedini, Victor Rottier
(Tänzer, Soldaten), Belinda Williams (Großherzogin von
Gerolstein), Challenge Gumbodete, Safet Mistele (Tänzer, Soldaten)
Ob man die Vor- und
Zwischenspiele wirklich mit Ballett vertanzen muss, ist
Geschmackssache. Dass dieses Ballett aus vier frisch kriegsverwundeten
Soldaten besteht, will wohl zeigen, dass der hier besungene Kriegsjubel
die Schrecken des Krieges völlig ignoriert. In die gleiche Kerbe
hauen auch Rauch, Schüsse und die „kriegswirre“, im Bombenhagel
immer wieder aufflackernde Hintergrundprojektion. Nun, wenn man die
textliche und musikalische Ironie ignoriert, muss man wohl auf diese
Weise zeigen, dass man auch intellektuell sein kann... Die letzte
Balletteinlage mit Travestiecharakter zeigt dann wieder genau das
Gegenteil.
Die musikalische Seite sieht dagegen sehr viel erfreulicher aus. Belinda
Williams singt die Großherzogin mit sehr schön timbriertem Mezzo, geläufigen
Koloraturen und einer betörend schönen, vollen Tiefe. Mit sanftem, klarem Tenor
begeistert Gideon Poppe als Fritz, insbesondere, wenn er blitzsauber und exakt
artikulierend selbst die irrwitzigsten Tempi bewältigt. Jaclyn Bermudez ist mit
warmem, beseeltem Sopran eine wundervolle Wanda. Tobias Hächler überzeugt als
Prinz Puck und Marc-Olivier Oetterli als General Bumm. Daniel Holzhauser als
Baron Puck und Bernhard Modes in der Doppelrolle als Nepomuk und Baron Grog
runden zusammen mit den Chorsolistinnen als Ehrendamen das Ensemble ehrenvoll
ab. Alexander Hannemann leitet das gut disponierte Staatsorchester mit Umsicht
und Verve, setzt besondere Aufmerksamkeit auf die ruhigen emotional-ironischen
Passagen und trägt die Sänger gerade bei den aberwitzigen Tempi auf Händen.
Stellenweise könnte die Musik aber durchaus noch ein bisschen frecher klingen.
Der Chor wurde von Marco Zeiser Celesti bestens einstudiert und klingt
vollstimmig und homogen. Und wieder einmal wird aus einem geistreichen, feinsinnig gewitzten und niveauvoll komischem Werk eine alberne Klamotte gemacht. So löblich die Ausgrabung dieses Werkes ist, so groß ist der Bärendienst, der ihm szenisch damit geleistet wird. Musikalisch macht die Aufführung aber viel Freude. Daher der Tipp: hinfahren, zuhören – aber nicht die Augen schließen, sondern die Übertexte mitlesen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
|
© 2016 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de