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LILIOM. Christoph Filler (Wolf Beifeld), Cornelia Zink (Marie), Camille Schnoor (Julie) und Dagmar Hellberg (Frau Hollunder). Foto: © Thomas Dashuber
LILIOM. Christoph Filler (Wolf Beifeld), Cornelia Zink (Marie), Camille Schnoor (Julie) und Dagmar Hellberg (Frau Hollunder). Foto: © Thomas Dashuber
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Dunkel getönte Ringelspiel-Oper – Johanna Doderers „Liliom“-Vertonung am Münchner Gärtnerplatztheater uraufgeführt

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Giacomo Puccini wollte – und durfte nicht: Ferenc Molnár lehnte die Vertonung seines Sprechtheater-Welterfolg „Liliom“ ab. Verfilmungen stimmte er ab 1930 zu und nach langem Drängen auch der Musical-Fassung von Rodgers&Hammerstein als „Carousel“ am Broadway 1945. Nach Molnárs Tod 1952 verweigerte der nach ihm benannte Trust allen Kompositionsanfragen die Rechte. 2011 durfte John Neumeier zur Musik Michel Legrands eine Ballettfassung kreieren. Nach langen Verhandlungen bekam erfreulicherweise das Staatstheater am Gärtnerplatz die Zustimmung zur Vertonung.

Vor rund drei Jahren bildeten Gärtnerplatz-Intendant Joseph Köpplinger und die opernerfahrene Johanna Doderer ein Team, um dem Karussell-Animierer und Vorstadt-Strizzi Liliom Töne zu geben, seiner auch gewalttätigen Liebe zum leidensfähig-tapferen Dienstmädel Julie; als sie schwanger ist, scheitert Liliom bei einem Raubüberfall und ersticht sich; im Jenseits bekommt er, nach 16 Jahren Buße, einen Tag zur Rückkehr, um seiner Tochter etwas Gutes zu tun, scheitert und lebt dennoch in der Erinnerung von Julie und Tochter verklärt positiv weiter.

Es sollte wohl eine renommée-trächtige Uraufführung zur Eröffnung des nun über drei Jahre generalrenovierten Hauses werden. Das machten Bauverzögerungen zunichte und so musste die Produktion in die seither vielfach und erfolgreich genutzte Reithalle verlegt werden – dort aber kein Orchestergraben, keine Seitenbühnen. Das Einheitsbühnenbild Rainer Sinells kann zwar mit Parkbank, aufklappbaren Seitenwänden für proletarische Innenräume, Licht und Projektion sinnfällig verwandelt werden. Der für Lilioms Fernwehträume, seinen missglückten Raubüberfall und Selbstmord unumgängliche Bahndamm teilt aber die Spielfläche diagonal, drängt so das große Orchester – zehn Erste Geigen, großes Blech, Schlagwerk und Orgel – rechts hinten zusammen – und das hat auch Klang-Folgen.

Johanna Doderer komponiert in nur etwas erweiterter Tonalität, was ihre Musik sofort zugänglich macht. Für die ausweglosen, Wozzeck-nahen „Wir arme Leut“-Personen hat sie eine überwiegend dunkel getönte Klangwelt geschaffen, die wie eine düstere Grundierung den Abend trägt und prägt. Daraus steigen mal an Drehorgelmusik erinnernde Ringelspiel-Klänge auf, mal beschwört Dreiviertel-Takt einen Hauch von Walzerseligkeit. Alles wirkt wie ein symphonisch eindringlicher Klang-Fluss, aus dem sich nur eine schmerzlich schöne Melodie zur rauen Liebesbegegnung zwischen Julie und Liliom kurz erhebt und wieder versinkt. Am eindringlichsten ist die Sterbeszene gelungen, wo tiefe Soloviolinentöne aus Herzschlag-Pizzicati aufsteigen und dann Julie wie in einer Wiegenlied-Klage Lilioms Tod begleitet.

Als Manko stellt sich ein, dass das kleine Glück, die kleine Hoffnung der Figuren zu wenig lebendig aus dem dominant melancholisch fließenden Orchesterklang aufleuchten. Ob das trotz Michael Brandstätters engagiertem Dirigat auch der Orchesterplazierung geschuldet ist? Doch auch der dramaturgische Gipfel der Handlung enttäuscht. Molnár zeigt ja direkt nach Lilioms Tod seine Ankunft im „Himmel“: in der Registrierungsstelle für Selbstmörder, einer Mischung aus K.u.K.-Amtsmief, kafkaesker Bürokratie und wienerischem Schmäh – nichts davon wird Musik und Köpplingers Regie bietet eine eher preußisch trockene Szene, wo man sich Helmut Qualtinger „unsterblich“ zurückwünschen würde. Komponistin Doderer scheut laut eigener Aussage vor Überarbeitungen nicht zurück: diese Szene schreit danach, denn der hinzuerfundene Kinderchor, der für jede Seele einen Stern entzündet, wirkt kaum.

Ansonsten hat Köpplinger als Librettist Molnárs Text gut verknappt und mit Doderer den meisten Unterschicht-Figuren ein auch zur Oper gut passendes Merkmal verpasst: Sätze und Floskeln mehrfach zu wiederholen. Doderer führt die fast nie ins Orchester eingebetteten Singstimmen oft kantabel und verzichtet auf modernistische Extreme: eine Drohung schwillt an, ein Schrei klingt brutal und ein Kleinbeigeben klingt verzagt klein. Das setzte ein typ- und rollengerechtes Solistenensemble schon in der Premiere sicher um, gestützt vom seitwärts fast unsichtbar postierten Bühnendirigenten Andreas Partilla. Die guten Nebenfiguren wurden von Matija Meićs fies kriminellem Ficsur, von Angelika Kirchschlagers herrlich „alt-reif-lebensgieriger“ Karussellbesitzerin Muskat und der zunehmend bürgerlich etablierten Freundin Marie Cornelia Zinks überragt. Tenor Daniel Prohaska gab mit schräger Haartolle, Prolo-Kleidung und gezielt unschwelgerischen Tenortönen den Prekariats-Macho Liliom überzeugend. Das neue Ensemblemitglied Camille Schnoor erntete einen Bravo-Sturm: mit wandlungsfähigem Sopran und intensiv „leisem“ Spiel machte sie die Julie zur anrührendsten Figur des Abends: eine jener Frauen, die immer wieder zu kurz kommen. Einhelliger Beifall und Jubel speziell für Komponistin Doderer.

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