München
Dunkel getöntes Ringelspiel

Johanna Doderers "Liliom"-Vertonung am Münchner Gärtnerplatztheater uraufgeführt

06.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:05 Uhr

Karussell-Strizzi: Liliom (Daniel Prohaska) gelingt das Gute nicht. - Foto: Dashuber

München (DK) Giacomo Puccini wollte - und durfte nicht: Ferenc Molnár lehnte die Vertonung seines Sprechtheater-Welterfolgs "Liliom" ab. Verfilmungen stimmte er ab 1930 zu und nach langem Drängen auch der Musical-Fassung von Rodgers&Hammerstein als "Carousel" am Broadway 1945. Nach Molnárs Tod 1952 verweigerte der nach ihm benannte Trust allen Kompositionsanfragen die Rechte. 2011 durfte John Neumeier zur Musik Michel Legrands eine Ballettfassung kreieren. Nach langen Verhandlungen bekam erfreulicherweise das Staatstheater am Gärtnerplatz die Zustimmung zur Vertonung.

Vor rund drei Jahren bildeten Intendant Joseph Köpplinger und die opernerfahrene Johanna Doderer ein Team, um dem Karussell-Animierer und Vorstadt-Strizzi Liliom Töne zu geben, seiner auch gewalttätigen Liebe zum Dienstmädel Julie; als sie schwanger ist, scheitert Liliom bei einem Raubüberfall und ersticht sich; im Jenseits bekommt er, nach 16 Jahren Buße, einen Tag zur Rückkehr, um seiner Tochter etwas Gutes zu tun, scheitert und lebt dennoch in der Erinnerung von Julie und Tochter verklärt positiv weiter.

Es sollte wohl eine renomméeträchtige Uraufführung zur Eröffnung des nun über drei Jahre generalrenovierten Hauses werden. Das machten Bauverzögerungen zunichte, und so musste die Produktion in die seither vielfach genutzte Reithalle verlegt werden - dort aber kein Orchestergraben, keine Seitenbühnen. Das Einheitsbühnenbild Rainer Sinells kann zwar mit Parkbank, aufklappbaren Seitenwänden, Licht und Projektion sinnfällig verwandelt werden. Der für Lilioms Träume, seinen missglückten Überfall und Selbstmord unumgängliche Bahndamm teilt aber die Spielfläche diagonal, drängt so das große Orchester rechts hinten zusammen - und das hat auch Klang-Folgen.

Johanna Doderer komponiert in nur etwas erweiterter Tonalität, was ihre Musik sofort zugänglich macht. Für die ausweglosen, Wozzeck-nahen "Wir arme Leut"-Personen hat sie eine überwiegend dunkel getönte Klangwelt geschaffen, die wie eine düstere Grundierung den Abend trägt und prägt. Daraus steigen mal an Drehorgelmusik erinnernde Ringelspiel-Klänge auf, mal beschwört Dreiviertel-Takt einen Hauch Walzerseligkeit. Alles wirkt wie ein symphonisch eindringlicher Klangfluss, aus dem sich nur eine schmerzlich schöne Melodie zur rauen Liebesbegegnung zwischen Julie und Liliom kurz erhebt und wieder versinkt. Am eindringlichsten ist die Sterbeszene, wo tiefe Soloviolinentöne aus Herzschlag-Pizzicati aufsteigen, und Julie wie in einer Wiegenlied-Klage Lilioms Tod begleitet.

Als Manko stellt sich ein, dass das kleine Glück der Figuren zu wenig lebendig aus dem dominant melancholisch fließenden Klang aufleuchtet. Ob das trotz Michael Brandstätters engagiertem Dirigat auch der Orchesterplatzierung geschuldet ist? Doch auch der dramaturgische Gipfel der Handlung enttäuscht. Molnár zeigt ja direkt nach Lilioms Tod seine Ankunft im Himmel: in der Registrierungsstelle für Selbstmörder, einer Mischung aus K.u.K.-Mief, Kafka und wienerischem Schmäh - nichts davon wird Musik, und Köpplingers Regie bietet eine eher preußisch trockene Szene.

Ansonsten hat der als Librettist Molnárs Text gut verknappt und mit Doderer den meisten Unterschicht-Figuren ein auch zur Oper gut passendes Merkmal verpasst: Sätze und Floskeln mehrfach zu wiederholen. Doderer führt die fast nie ins Orchester eingebetteten Singstimmen oft kantabel und verzichtet auf modernistische Extreme: Eine Drohung schwillt an, ein Schrei klingt brutal, und ein Kleinbeigeben klingt verzagt klein. Das setzte ein rollengerechtes Solistenensemble sicher um, gestützt vom Bühnendirigenten Andreas Partilla. Die guten Nebenfiguren wurden von Matija Meics fies kriminellem Ficsur, von Angelika Kirchschlagers alt-reif-lebensgieriger Karussellbesitzerin Muskat und der zunehmend bürgerlich etablierten Freundin Marie Cornelia Zinks überragt. Tenor Daniel Prohaska gab mit schräger Haartolle, Prolo-Kleidung und gezielt unschwelgerischen Tenortönen den Prekariats-Macho Liliom überzeugend. Das neue Ensemblemitglied Camille Schnoor erntete einen Bravo-Sturm: Mit wandlungsfähigem Sopran und intensiv leisem Spiel machte sie die Julie zur anrührendsten Figur des Abends. Einhelliger Beifall und Jubel speziell für Komponistin Doderer.

Die nächsten Vorstellungen am 8., 11., 12., 16., 17. und 19.11., Karten unter (0 89) 21 85 19 60.