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Peter Eötvös: Beglückende Akzente

Foto: Monika Rittershaus

Opernpremiere in Hamburg Rettet die Männer!

Der Komponist Peter Eötvös dirigierte am Sonntag im Opernhaus in Hamburg eine doppelte Premiere: Sein eigenes Werk "Senza Sangue" plus Bartóks "Blaubart". Ein intensives Erlebnis.

Keine Sonne, nur Nebel, ein Paar im Zentrum und wenige Passanten in ruhiger Choreographie darum herum. Ein tristes Café. Die große Ampel an der unsichtbaren Kreuzung regelt keinen Verkehr, sie wacht nur. Für die deutsche Erstaufführung von Peter Eötvös Oper "Senza Sangue" in Hamburg hat sich der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov die Bühne gleich mit ausgedacht. Von irgendwo aus der Ferne grüßt Gorkis "Nachtasyl".

Doch die Tristesse herrscht nur scheinbar: Eine anonyme blonde Dame sucht ihren Retter aus fernen Tagen. Das Publikum benötigt nur Minuten, um in ihrer Gefühlswelt heimisch zu werden: Die wunderbar wandelbare Sopranistin Angela Denoka singt diese einsame Suchende mit so viel Nuancen im Timbre, dass man ihr bei der Suche sofort folgen mag. Der zunächst zögerlich agierende Sergei Leiferkus als "Mann" wächst von Szene zu Szene und zeichnet mit charaktervollem Bassbariton ein packendes Rollenbild.

Der Vater der Suchenden, ein Vertreter des "Systems", wurde vor Jahren von Rebellen ermordet, sie war als Kind aus einem Versteck Zeugin des Verbrechens. Einer der Rebellen fand sie, verriet sie aber nicht und ließ sie am Leben. Alle anderen hat sie bereits aufgespürt und ihren Vater tödlich gerächt, jetzt muss sie nur noch ihren offenbar schuldgeplagten Retter selbst durch Liebe erretten. Was wären die Männer ohne die Liebe der Frauen!

Für dieses komplexe Kammer-Drama hat der ungarische Komponist Peter Eötvös eine Musik erdacht, die weit über die Illustration der emotionalen Befindlichkeiten seines Personals hinausgeht. Wieso Eötvös als einer der aussagestärksten zeitgenössischen Komponisten und Interpreten gilt, springt das Publikum gerade in diesem reduzierten Rahmen förmlich an.

Zwar spinnen ausdrucksvolle Soli von Violine oder Holzbläsern die Erzählungen der beiden Protagonisten weiter, doch vor allem glückt die effektvolle Behandlung des Orchesters, mit der Eötvös die sieben Szenen zum Bersten mit musikalischem Inhalt füllt. Eötvös schöpft aus tonaler wie atonaler Komponierweise, arbeitet mit eruptiver Percussion und flächigem Blech. So wenig sich in Tcherniakovs klug angepasster, reduzierter Personenregie die Figuren bewegen, umso mehr wogt und blitzt das Orchester.

Erlösungssex mit dem Retter

In dieser Vorgehensweise ähnelt die Musik des Peter Eötvös der seines Landsmannes Béla Bartók (1881-1945), dessen Oper "Herzog Blaubarts Burg" an diesem Abend mit "Senza Sangue" ("Ohne Blut") nahezu übergangslos verschmolzen wurde. Als nämlich die anonyme Dame mit ihrem Retter den Erlösungssex vollzogen hat, wird sie im nächsten Bild nach kurzer Videoüberleitung zu Judith, jener Frau, die ihrem Geliebten Blaubart ihrerseits Erlösung von seinem Frauen-Trauma verschaffen will. Er soll ja einige ihre Vorgängerinnen in seiner sagenhaften Burg ermordet und die Leichen versteckt haben. Durch sieben Türen muss man gehen, bevor möglicherweise die Befreiung geschehen kann.

Wieder unterläuft hier der Understatement-Meister Tcherniakov die Erwartungen, denn er belässt das Paar - nun verkörpert und gesungen von Claudia Mahnke (Judith) und Bálint Szabó (Blaubart) - im klaustrophobisch engen und mausefallenähnlichen Hotelzimmer des schnellen Sexes. Ein größerer Kontrast zur "Burg" Blaubarts ist kaum denkbar, denn man ahnt schnell: Diese Burg steht nur als Metapher für Obsessionen in Blaubarts Bewusstsein. Er liegt nicht nur im Hotelbett, sondern auf der Psycho-Couch.

Schicht um Schicht, Zimmer um Zimmer gehen Judith und ihr Geliebter die Blaubart-Akten durch, und vom "Meer der Tränen" im vorletzten Zimmer gelangen sie zur Todeskammer vor der letzten, der siebenten Tür. Wir erinnern uns: Sieben Szenen hatte auch "Senza Sangue", das Quasi-Vorspiel.

Emotionale Achterbahnfahrt

Peter Eötvös hat das hörbar topmotivierte Philharmonische Staatsorchester der Hamburger Oper bestens im Griff. Unglaublich viele fast kammermusikalische Nuancen, dynamische Feinabstimmungen und Explosionen zünden sicher, die großen Bögen, vor allem bei der emotionalen Achterbahnfahrt Bartóks "Blaubart", stehen sicher. Bestimmt kein Zufall, denn Peter Eötvös verwendet einen großen Teil seiner Zeit auf Lehrtätigkeit, und dies mit entschiedener Leidenschaft.

Die Musiker dankten ihm sein Einfühlungsvermögen mit präzisem Einsatz und beglückenden Akzenten. Claudia Mahnke und Bálint Szabó nahmen diesen Spielball ebenso begeistert auf und führen ihre Charaktere glühend und sicher bis in den Erlösungstod, für dessen sinnliche Darstellung wiederum ein Video herhalten muss. Hohe Intensität in nicht einmal zwei Opernstunden, hoch verdienter Schlussbeifall für alle.

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