Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Alle Fotos © Winfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Spektakulärer Höllenritt

MEFISTOFELE
(Arrigo Boito)

Besuch am
4. November 2016
(Premiere am 24. Oktober 2015)

 

 

Bayerische Staatsoper

Eigentlich ist Arrigo Boito der Musikwelt in erster Linie als Librettist von Giuseppe Verdis Opern Otello und Falstaff bekannt. Aber er war auch Komponist und schrieb eine einzige Oper über den Faust-Stoff: Mefistofele, in dem er, wie schon der Titel verrät, das Böse, den Verführer und Menschenverächter in den Mittelpunkt der Handlung stellt, der für ihn die reizvollere Figur darstellt, und Szenen aus Faust I und II miteinander vereint. Das Werk hat durchaus seinen Weg auf die Bühne gefunden, wird aber leider unverständlicherweise viel zu selten aufgeführt, denn es vereint eigentlich alles, was für seine Bühnentauglichkeit spricht.

Das dachte man sich offensichtlich auch an der Bayrischen Staatsoper, die dem Werk vor einem Jahr spektakulär zur Premiere verhalf und so erstmalig knapp 150 Jahre nach der Uraufführung 1868 an der Scala, wo das Werk durchfiel und neu überarbeitet wurde, in München zeigte. Nach Aufführungen bei den sommerlichen Münchner Opernfestspielen erfolgt nun eine Wiederaufnahme mit einem anderen Maestro am Pult und teilweise neuen Sängern.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Spektakulär, lebendig und ideenreich, aber auch teils überfrachtet sind die Inszenierung von Gustav Schwab, einem Debütanten an der Bayrischen Staatsoper sowie die schwarze Bühne von Piero Vinciguerra und die Kostüme von Renée Listerdahl. In einem stählernen, bühnendominanten Gittertunnel, der auch bespielt werden kann, lässt man mit passenden Lichtstimmungen und Feuereffekten eine albtraumhafte Atmosphäre entstehen. Die Bühne ist angekramt, überall lungern dämonische Gestalten und wild aussehende Gefährten von Mephisto herum, so als hätte das Böse schon vollständig von der Erde Besitz ergriffen. Im Hintergrund sind (zu) viele Videos zu sehen, unter anderem von einem Flugzeug, das von Mephisto Richtung Manhattan gelenkt wird. Faust wird beim Prolog vom Satan an einer Kette aus der Versenkung herausgezogen. Nach der Wette beginnt der Höllenritt auf einem Motorrad vor einem rasenden Video. Nach einem grotesk morbiden Oktoberfest kommt es zur unwirklichen Begegnung mit Margeritha, die in der folgenden, wilden Walpurgisnacht von Faust brutal vergewaltigt wird. Hier zieht der Regisseur alle nur erdenklichen Register, lässt das geteilte Bühnenbild gegenteilig auf- und abwärts bewegen und alle Höllengeister auftreten. Die Kerkerszene gleicht dem Tatort eines Verbrechens, an dem die Polizei gerade ihre Spurenarbeit beendet hat. Schließlich findet man Faust im Altersheim, wo er sich in seine Pflegerin Helena verliebt hat. Seine Erlösung kann er zum Ärger von Mephisto nicht durch Gott, sondern im Vergessen, in seiner Demenz finden.

Foto © Winfried Hösl

Geblieben von der Premierenbesetzung ist Joseph Calleja, der, obwohl indisponiert angekündigt, mit seinem leuchtenden, farbenreichen, geschmeidigen, hellen Tenor, mit müheloser, unmanierierter Höhe und viel Schmelz begeistert. Seine belkantesk komponierten Arien singt er mit wunderbarer Phrasierung. Szenisch wirkt er eher statisch. Neu im Ensemble ist ein ungemein bühnenpräsenter Teufel: Erwin Schrott spielt und singt ihn mit zynischer Dämonie und kraftvollem Bassbariton, der auch die extremen Lagen ohne Schwierigkeiten meistert. Ausrine Stundyte ist ebenfalls neu dabei: Sie ist eine von Anfang an psychisch angeknackste Margherita, aber immer mit emotionalem Spiel und reichem Tremolo. Überzeugen kann sie aber ganz besonders in ihrer packenden Todesszene. Karine Babajanyan singt eine wunderbare, stimmlich elegante und ausdrucksstarke Elena. In den kleineren Rollen sind auch noch Heike Grötzinger als sehr verführerische, dunkeltimbrierte Marta sowie Andrea Borghini als Wagner wie auch Rachael Wilson als Pantalis zu erleben. Wunderbar homogen und nur selten nicht im Einklang mit dem Graben hört man großenteils aus dem Off die himmlischenHeerscharen des Chores und Kinderchores der Bayrischen Staatsoper, deren Einstudierung Sören Eckhoff und Stellario Fagone besorgt haben. Extrem lasziv, aber durchaus mit akrobatischen Fähigkeiten sieht man das Ballett der Bayrischen Staatsoper, dessen Choreografie Stefano Giannetti kreiert hat.

Paolo Carignani am Pult des Bayrischen Staatsorchesters weiß die reichen Nuancen und Farben der Partitur auszuloten. Da hört man die gesamte Bandbreite von düsteren fahlen über wunderbar feine, lyrische bis zu schwelgerisch, hochdramatischen Klängen.

Großer Jubel im vollen Haus.

Helmut Christian Mayer