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Foto © Monika Rittershaus

Aktuelle Aufführungen

Befreiung

SENZA SANGUE/
HERZOG BLAUBARTS BURG

(Peter Eötvös, Béla Bartók)

Besuch am
6. November 2016
(Premiere)

 

Staatsoper Hamburg

Péter Eötvös gilt heute als einer der kreativsten, zeitgenössischen Musikschaffenden. Neben bedeutenden Kompositionen ist er als Hochschullehrer, Klangforscher und Dirigent nahezu global unterwegs. Seine Auszeichnungen und Ehrungen, nicht nur in seinem Heimatland Ungarn, sind kaum zu zählen.

Intendant George Delnon ist es trotz Eötvös’ vielfältigen Engagements gelungen, die deutsche szenische Uraufführung seines neuen Werkes Senza Sangue unter seiner eigenen Leitung nach Hamburg zu holen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Eötvös erklärt die Notwendigkeit seiner Oper Senza Sangue zunächst mit einem ganz banalen Grund: Es habe immer schon ein Problem für die Opernhäuser bestanden, neben Herzog Blaubarts Burg ein zweites adäquates, inhaltlich korrespondierendes Werk auf die Bühne zu bringen, nachdem die Oper selbst mit nur einer knappen Stunde Aufführungsdauer zu kurz für ein abendfüllendes Programm sei. Hierbei habe es schon immer viele unangemessene, um nicht zu sagen falsche Kopplungen gegeben.

Foto © Monika Rittershaus

Die Hamburgische Staatsoper hatte übrigens in ihrer Erstaufführung des Blaubart, die in der Regie von Peter Konwitschny und unter dem Dirigat Ingo Metzmachers erst im Jahre 2000 (sic!) stattgefunden hat, keine Scheu, damals einen Abend nur mit dem Blaubart zu bestreiten.

Nach der Erfahrung dieser Neuproduktion kann man sich allerdings eine Solo-Aufführung weder des einen noch des anderen Werkes mehr vorstellen, so klug aufeinander bezogen und verwoben sind äußere und innere Handlung der Opern und deren außerordentliche Umsetzung auf der Bühne. Es ist dabei bezeichnend, dass der Umstand, dass Senza Sangue auf Italienisch komponiert und gesungen, während Blaubart selbstverständlich Ungarisch gegeben wird, in der künstlerischen Gesamtstruktur eine Ergänzung und Bereicherung darstellen und unweigerlich und unmerksam das Universelle der Inhalte hervortreten lassen.

Die Handlung in Senza Sangue basiert auf Elementen des Romans gleichen Namens von Alessandro Baricco. In der Vorgeschichte wird im Krieg die kleine Tochter eines verhassten Regimeanhängers, den Rebellen zusammen mit seinem Sohn töten, von dem jüngsten Soldaten verschont, während die Familienmitglieder des Mädchens vor ihren Augen sterben. Nach Jahrzehnten begegnen sich das Mädchen und der junge Soldat wieder. Die Begegnung wird durch die unlösbare Auseinandersetzung um Schuld, Sühne, Vergeben und Versöhnung geprägt. Dieselben Themen durchtränken auch Blaubart.  Zuletzt geht es um das Zulassen dieser Auseinandersetzung in der Begegnung mit anderen Menschen, um sich zu erlösen oder allein zu bleiben.

Dmitri Tcherniakov, der kreative und vielbeschäftigte Regisseur und Bühnenbildner, der heute ebenso global unterwegs ist wie Eötvös, erschafft in Konzept, Bild und sparsamem Einsatz von Videosequenzen von Tieni Burkhalter sowie einer kongenialen Lichtgestaltung von Gleb Filshtinsky eine beide Werke inhaltlich-verschränkende Wiedergabe, die zu Herzen geht.  Maßgeblich ist die auf das Innerste der Charaktere gerichtete und hoch-verletzliche, sehr knappe Personenregie, die in ihrer Zurückhaltung, Zuwendung, Verletztheit und Scheu Themen auf der Bühne verhandelt, die eine physische Umsetzung kaum vertragen.       

Dazu steht freilich in Angela Denoke als La donna, Sergej Leiferkus als L’uomo sowie Claudia Mahnke als Judith und Bálint Szabó als Blaubart ein Ensemble von Sängerdarstellern zur Verfügung, das gesanglich und darstellerisch nicht zu überbieten ist. Hervorzuheben ist bei allen Gesangssolisten die Fähigkeit, bei expressivstem Gesang höchsten Ausdrucks gleichzeitig eine schauspielerische Umsetzung von äußerlicher Lakonik in Bild, Spiel und Sprache zu verwirklichen. Kein realer Symbolismus und keine psychologisierende Bebilderung relativiert die Glaubwürdigkeit der so verletzlich gespielten Begegnungen. Nur sehr behutsame, bildlich-unwirkliche Videoprojektionen aus der Vergangenheit versinnbildlichen ganz am Schluss einen Orbit des Unterbewussten, der das Sein der Charaktere aus der Vergangenheit prägt. 

Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg übertrifft sich selbst sowohl im Spiel der stilistisch vielfältigen wie farbenreichen Facetten der Musik von Eötvös als auch der Umsetzung des Bartokschen Blaubart. Nur beispielhaft seien die stark geforderten Holzbläser sowie die in ungewohnter Manier notierten Blechbläser genannt.

Das Publikum ist zunächst gebannt, dankt dann allen Beteiligten mit langanhaltendem, herzlichem Beifall und Bravorufen für alle Solisten, das Orchester, Regieteam und nicht zuletzt Peter Eötvös für den bewegenden Abend.

Der Hamburgischen Staatsoper gelingt mit dieser Produktion qualitativ eindrucksvoll und in jeder Hinsicht wieder der Anschluss an die Garde der großen internationalen Opernhäuser und nicht zuletzt auch ihre eigene Tradition im zeitgenössischen Musiktheater, den das einstmals darbende Haus für ein Jahrzehnt verloren hatte.

Achim Dombrowski