„Salome“: Am Swimmingpool im alten Judäa

Ein zerbombter Swimmingpool vor protzigen Kolonnaden nach antikem Vorbild: die neue „Salome“-Inszenierung im Linzer Musiktheater.
Ein zerbombter Swimmingpool vor protzigen Kolonnaden nach antikem Vorbild: die neue „Salome“-Inszenierung im Linzer Musiktheater.(c) Landestheater Linz/Falk von Traubenberg
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„Salome“ am Musiktheater Linz als Auftakt eines neuen Strauss-Schwerpunktes: Regisseur Marc Adam will von der Kurzlebigkeit von Diktaturen und Ideologien erzählen.

Die kreischende Erregung im Orchester erstarrt, ein Wirbel der großen Trommel schwillt an: Da streckt sich laut Szenenanweisung in der Partitur der schwarze Arm des Henkers aus der Zisterne, darauf ein silbernes Schild mit dem Kopf des Propheten. „Ah! Du wolltest mich nicht deinen Mund küssen lassen, Jochanaan: Wohl, ich werde ihn jetzt küssen!“, stößt Salome ekstatisch aus. Es ist der Beginn des berühmten, einst sogar berüchtigten Schlussgesangs, in dem die Prinzessin ihre erotische Begierde an seinem abgetrennten Haupt befriedigt.

In Linz ist Jochanaan am Beginn dieser Szene sogar noch am Leben und wird zu seiner Hinrichtung erneut auf die Bühne gebracht. Aber nicht die Enthauptung wird zum überraschenden Schock, zumal diese sich dann doch diskret hinter einer Betonplatte im Verborgenen abspielt, sondern die Tatsache, dass Salome Jochanaan noch in dessen letzten Augenblicken ihren Triumph ins Gesicht schleudert. Das holt immerhin in neuer Schattierung einen Teil jenes Ekels zurück, den viele Opernfreunde angesichts der altbekannten Vorgänge längst überwunden haben.

Es war der stärkste Moment in dieser Neuinszenierung des französischen Regisseurs Marc Adam, mit der der neue Linzer Intendant Hermann Schneider einen Richard-Strauss-Schwerpunkt einläutet. Oder besser: der einzige starke Moment? Gerade die Regie nämlich machte den Abend durchwachsen. Von Diktatoren der jüngeren Vergangenheit bevorzugte Architektur dient als Inspirationsgeber, historische und szenische Brüche sollen offenbar die Fronten unklar machen, herkömmliche Zuschreibungen von Gut und Böse offen lassen. Ein zu Beginn gezeigtes Oasenidyll wird militärisch zerstört, wie ein verfremdend darüber projiziertes Video deutlich macht. Ausstatterin Annemarie Woods präsentiert das biblische Judäa der Vorlage als eine Mischung aus einem zerbombten Swimmingpool inmitten einer Sandwüste und protzigen quasiantiken Kolonnaden für die Herodes-Szenen des zweiten Teils.

Der Prophet sieht aus wie Saddam

Im Detail offenbart das Konzept aber verblüffende Schwächen: Während Salome durch eine Luke im Poolrand in das Gefängnis Jochanaans hinunterblicken kann, muss dieser dennoch völlig undramatisch von der Seitengasse auftreten, statt aus der Tiefe herauf- und wieder in diese hinabsteigen zu können – und das, obwohl der unbeugsame Prophet hier äußerlich dem verwilderten Saddam Hussein in seinem Erdloch gleicht. Dafür singt er recht nobel, nur in der Höhe lässt sich der hörbar lyrisch fundierte Seho Chang etwas zum Forcieren verleiten.

Umringt von Soldaten halb im Tarnanzug, halb in Shorts und Sandalen, tragen die Herren bei Hofe dagegen Anzug und Krawatte. Paul McNamara bringt für den Herodes das scharf geschnittene Klangprofil eines Charaktertenors mit, bemüht sich jedoch zugleich um möglichst belkanteske Phrasierung und lässt die neurotischen Facetten der Figur in der Diktion lebendig werden – eine gute Mischung, die an Kenneth Riegel erinnert. Als seine Nemesis, im Abendkleid und hochtoupiert, feuert bei dieser schrägen Poolparty Karen Robertson mit matronenhafter Präsenz, Stimmgewalt und Treffsicherheit die Sentenzen der Herodias ab.

Irgendwo zwischen Trümmerfrau und trotzigem Teenager ist Salome angesiedelt – mit langem Haar, halb blond, halb blau, in einer weißen Galauniformjacke (ein Relikt des toten Vaters, wie es einer Elektra gut anstünde?), silbernen Leggings unter Jeans-Hotpants, hochhackigen Schuhen oder Sneakers. Ein bisschen scheint sich diese pubertäre Zwischenwelt, dieser Zusammenprall von Gegensätzen auch in Astrid Webers Gesang zu spiegeln: Über einer mageren Tiefe mischen sich in gut gelungene, tragfähige Phrasen bei den hohen Tönen entweder leise, flache Klänge (die freilich nach Art der jungen Anja Silja schon den späteren Wobble ahnen lassen) oder im Forte vielfach schrille Spitzen. Doch sie kommt passabel über die Runden.

Zentraler Schwachpunkt der Regie ist der Tanz. Gut, es muss nicht unbedingt ein Striptease sein – aber der hier gewählte Ersatz, ein müdes SM- und Crossdressing-Spielchen mit Herodes, langweilt nur. Auf der Habenseite ist das Bruckner-Orchester Linz: Dennis Russell Davies bleibt bis auf wenige Kulminationspunkte betont sängerfreundlich und interessiert sich bei seiner nie schleppenden Lesart mehr für die hier glitzernd schönen, dort grellen, wilden Tonmalereien im Kleinen, ohne den Blick aufs Ganze zu verlieren. Freudige, für die Regie verhaltene Zustimmung.

15 Vorstellungen bis 25. 3.; www.landestheater-linz.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2016)

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