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Heiraten? Der reinste Wahnsinn!
Von Stefan Schmöe
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Fotos: Pedro Malinowski
Folgenreiches Rendezvous: Elena und Fadinard
Es ist eine reichlich unzeitgemäße Oper, die Nino Rota 1945 geschrieben hat. Am Ende des zweiten Weltkriegs, sollte man denken, hat ein Komponist in Italien zu Zeiten eines völligen Umbruchs anderes im Sinn als die Vertonung einer Komödie von 1851. Gemeinsam mit seiner Mutter richtete Nino Rota, 1911 geborenes musikalisches Wunderkind, den Text nach der Posse Un chapeau de paille d'Italie von Eugène Labiche (1815-1888) ein und vertonte ihn durchweg tonal, mit überraschenden Modulationen als Würze, in einer Traditionslinie von Rossini über Offenbach und Wolf-Ferrari, mit Anleihen bei Bizet, Verdi und Puccini und einem Hauch (neoklassizistischem) Strawinsky. Bei der zeitgenössischen Avantgarde war damit nichts zu gewinnen. Rota, obwohl Komponist von zehn Opern, ging auf anderen Wegen in die Kulturgeschichte ein: Als Filmkomponist nicht nur von Frederico Fellinis Gnaden (der ohne Rotas Musik nicht zu denken ist); auch mit Franco Zeffirelli oder Francis Ford Coppola (Der Pate) arbeite er zusammen.
Auf der Suche nach einem florentiner Hut trifft Fadinard (links) auf Beaupertuis
In Il Cappello di paglia di Firenze hört man das Gespür Rotas für filmische Dramaturgie. Die Musik ist über einigen wenigen, ungemein prägnanten Themen aufgebaut, die an sich banal sein mögen, durch ihren Wiedererkennungswert aber der Oper eine große Dichte und Geschlossenheit geben. In der Ouvertüre legt Rota raffiniert die Köder aus und wirft die Komödie an: Ausgerechnet auf dem Weg zur Hochzeit von Monsieur Fadinard frisst dessen Pferd den ominösen florentiner Hut, den die verheiratete Anaide während eines Rendezvous ins Gebüsch geworfen hat - und ohne den sie ihrem eifersüchtigen Gatten Beaupertius nicht unter die Augen treten kann, weshalb ihr Liebhaber Emilio sofortigen Ersatz von Fadinard fordert. Es beginnt eine abenteuerliche Suche, die Fadinard, die Hochzeitsgesellschaft im Schlepptau, durch halb Paris führt, am Hutladen und dem Salon der Baronin de Champigny vorbei bis hin zum misstrauischen Ehemann Anaides. Rota hat Textbuch wie Musik temporeich mit viel Sinn für Situationskomik gestaltet. Ein paar Inszenierungen hat es seit der Uraufführung 1955 in Palermo auch gegeben, unter anderem beim Wexford Festival 2013 (unsere Rezension). Trotzdem fristet das verblüffend gut komponierte Werk bestenfalls ein Nischendasein.
Brautvater Nonancourt braucht eine Pause.
Regisseurin Sonja Trebes inszeniert das hinreichend überdreht und mit viel Liebe zum Detail im Ambiente der 1950er-Jahre, ohne allzu konkret zu werden - nie verleugnet sie, dass es sich hier um Theater handelt. Der Stoff darf ruhig ein wenig altmodisch wirken, ein paar Italien-Klischees wie Fadinards mafiose Schwiegerfamilie gibt sie noch hinzu. Gelegentlich streift das den Bereich der Biederkeit, aber im Großen und Ganzen geht das mit manchen hübschen Pointen am Rande angereicherte Konzept sehr unterhaltsam auf, was nicht zuletzt dem ausgesprochen spielfreudigen Gelsenkirchener Ensemble zu verdanken ist, aber auch den hübschen Bühnenbild (Dirk Becker) und noch mehr den attraktiven Kostümen (Julia Reindell). Der Oper vorgeschaltet ist die kurze Szene La Scuola di guida (Die Fahrschule), die Rota 1959 für Sopran, Tenor und Klavier komponiert hat und die 2010 von Bruno Moretti instrumentiert wurde - eine ausgesprochen frivole und hier entsprechend deftig inszenierte Szene, in der Fadinard als liebestoller Frauenheld gezeigt wird, der sich im Auto sowohl an Anaide als auch an Elena (die er darauf hin heiraten muss) heran macht. Diese Szene führt die Oper nicht ungeschickt vom 19. in das 20. Jahrhundert.
Finale furioso
Ibrahim Yesilay ist mit viriler Bühnenpräsenz ein ausgezeichneter Fadinard mit nicht zu kleinem, mitunter noch zu forciertem Tenor, der mit Charme und Spielwitz und wachsender komischer Verzweiflung die Damenwelt für sich einnimmt. Seine Braut Elena ist ein naives Mädchen mit Zöpfen und Brille, eigentlich nicht mehr als ein schnell vergessener Seitensprung für den umtriebigen Don Juan - wäre sie dabei nicht geschwängert worden. Bele Kumbergers leichter, hübscher Sopran ist nicht immer genau fokussiert. Ihren Vater Nonancourt (mit schwer bewaffnetem Gefolge) gibt Joachim G. Maaß mit nicht mehr ganz taufrischer Stimme, aber all seiner Bühnenerfahrung und Präsenz. Anke Sieloff ist eine nicht nur stimmlich attraktive Anaide, Piotr Prochera ein akzeptabler Liebhaber Emilio.Urban Malmberg liefert als Anaides vertrottelter Gatte Beaupertuis ein komödiantisches Kabinettstückchen. Das komplette Ensemble bis hin zum sehr guten Chor (Einstudierung: Alexander Eberle) agiert überaus engagiert. Die Neue Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Thomas Rimes spielt mit Esprit und Leichtigkeit.
Der Florentiner Hut mag unzeitgemäß sein, aber entfaltet in dieser unterhaltsamen Produktion beachtliche Bühnenwirkung.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Fadinard
Nonancourt
Beaupertius
Lo zio Vezinet
Emilio
Felice
Achille de Rosalba, una guardia
Un corporale
Elena
Anaide
La modista
Baronessa di Champigny
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