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Musiktheater
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Die englische Katze

Eine Geschichte für Sänger und Instrumentalisten in zwei Akten (1980/83)
Text von Edward Bond nach der Erzählung Peines de coeur d'une chatte anglaise von Honoré de Balzac
Deutsche Fassung von Ken Bartlett
Musik von Hans Werner Henze

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 30 Minuten (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 26. November  2016

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Menschliches, Allzumenschenliches, Unmenschliches

Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk

Werke des modernen Musiktheaters haben es nicht leicht, selbst wenn ihr Komponist Hans Werner Henze heißt und einer ihrer bedeutendsten Komponisten ist. Seine Oper Die englische Katze wurde 1983 bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt. Der Komponist führte selbst Regie (was damals wie heute Dimensionen eröffnet). Den Sprung ins Repertoire hat das Werk - wie so viele seiner Artgenossen - nie geschafft. Es steht nur selten auf den Spielplänen der Opernhäuser und das ist bedauerlich, denn es hat einen ganz besonderen Reiz und mannigfache Qualitäten, was die Produktion des Staatstheaters Hannover sehr deutlich macht.

Das Libretto stammt aus der Feder des Dramatikers Edward Bond, der das Werk nach eigenem Bekunden als „Sittenkomödie“ verstanden wissen wollte. Das Parabelhafte, ironisch Moralisierende und mit Humor Entlarvende dieser in ihrer Doppelmoral und Egozentrik allzu menschlichen Katzen wirkt dabei nie aufgesetzt, sondern macht augenzwinkerndes Vergnügen, z. B. wenn die Justiz auf's Korn genommen wird: Staatsanwalt, Verteidiger und Richter werden von Hunden gemimt, die Geschworenen von Vögeln. Der Pfarrer wird von einem Schaf dargestellt und die finale Teufelei wird von einem Fuchs ausgeführt. Ganz besondere Humor-Qualitäten zeigt das Textbuch aber in den wie von links eingeworfenen Nebensätzen und Andeutungen.

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Julia Sitkovetsky (Louise, unten), Hanna Larissa Naujoks (Babette, hinten rechts), Ensemble

Die Geschichte spielt um 1900 in London.

Erster Akt
Im Salon von Mrs. Halifax. Der alte Kater Lord Puff soll nach dem Willen seiner Herrin nicht ohne Nachkommen bleiben. Das trifft sicht gut, denn als zukünftiger Präsident der „Königlichen Gesellschaft für den Schutz der Ratten – K.G.S.R.“ muss er verheiratet sein.  Er sinniert über die Ehe und die Frauen und alle Anwesenden geben ihre klischeehaften Meinungen zum Besten, gekrönt von einem Adam-und-Eva-Gassenhauer und einem Gebet, in dem deutlich wird, dass die Allmacht zu lieben und zu strafen durch die Hand des Frauchens ausgeübt wird. Die Herrschaft wird als Gott besungen, was durch die Tatsache, dass Mrs. Halifax in dieser Oper nie persönlich auftritt, noch unterstrichen wird.
Für  kleine Götter halten sich auch die hochnäsigen Katzen, die so ehrbar tun und sich doch - egozentrisch und eigennützig - gegenseitig nicht grün sind. Sie verachten die Ratten- und Mäusejagd als unzivilisiert, weil sie sie nicht nötig haben, denn ihre Nahrung schwebt vom Himmel (im Fressnapf). So konnten sie auch die „K.G.S.R.“ gründen und als lebenden Beweis ihrer Gewaltlosigkeit halten sie sich das Waisenmäuschen Louise, der sie sogar das Miauen beigebracht haben.
Dieser Gesellschaft wird Minette, mit ihrer Schwester Babette als Anstandsdame, als Lord Puffs Ehekatze zugeführt. Dass eine Maus vom Lande dort fehl am Platze ist und sich eher in den auf dem Dach des Hauses herumstreunenden Kater Tom verliebt, versteht sich von selbst. Auch wenn sie zunächst als ganz gehorsame Zukünftige versucht, Tom zu missionieren und ihren Erfolg ihrem Gatten zum Hochzeitsgeschenk machen möchte. Doch die (über-) romantische Begegnung mit dem jungen Kater nebst Mond und Serenaden auf dem Dach hat auch bei ihr nachhaltigeren Eindruck hinterlassen.
Die groß angelegte Hochzeit wird von einer Intrige gestört, die Arnold, Puffs durchs Glücksspiel verarmter Neffe, gesponnen hat. Um selbst an das Erbe zu kommen, versuchte er zunächst die Hochzeit zu verhindern, indem er für Puff von seinem als Arzt verkleideten Gläubiger eine schwere Krankheit diagnostizieren lässt. Als dies nicht fruchtet, beschuldigt er  Minette der Unehrenhaftigkeit wegen ihres Treffens mit Tom. Trotz verbleibender Zweifel der Hochzeitsgäste findet die Hochzeit statt.

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Edward Mout (Pfarrer), Mareike Morr (Lady Toodle), Carmen Fuggiss (Miss Crisp), Stella Motina (Mrs. Gomfit), Ania Vegry (Minette), Sung-Keun Park (Lord Puff), Martin Busen (Mr. Plunkett)

Zweiter Akt
Minette ist unglücklich in der gehobenen Gesellschaft. Selbstlos schenkt sie ihrer verarmten Familie das Geld, das Puff ihr für ein neues Kleid gegeben hat. Sie sehnt sich nach Tom. Der ist Soldat geworden um Minette zu vergessen, desertiert aber noch bei der Abreise und sucht Minette auf. Sie möchte so gern mit ihm gehen und kann doch nicht. Ein himmlisches Zeichen soll ihr die Entscheidung erleichtern. Sie will es in einem offenen Schnürsenkel erkennen. Zuerst aber fordert sie von Tom, sein Leben zu ordnen und reich zu werden, dann will sie ihm, in Ehren ergraut, folgen – aber erst, wenn Puff tot ist und Arnold ausgezahlt werden kann.
Die verzweifelt-peinliche Situation wird durch die hereinbrechenden Katzen unterbrochen, denen Minette ihren Plan ganz naiv eröffnet. Während die anderen nach Polizei und Feuerwehr rufen, erkennt Puff weise die offene Ehrlichkeit und vergibt Minette, muss sich aber – um der Ehre der „K.G.S.R.“ willen – scheiden lassen.
In einer hochoffiziellen Scheidungsverhandlung, bei der Tom als Verteidiger verkleidet auftritt, wird umständlich um die Frage des Ehevollzugs und des Ehebruchs herumgeschlichen. Der Auftritt des tatsächliches Verteidigers, den Tom gefesselt in dessen Spind gesperrt hat, lässt Toms Maskerade auffliegen. Minette wird schuldig geschieden und zu 175000 Pfund Schadensersatz verurteilt. Als Tom dem Staatsanwalt übergeben werden soll, erkennt dieser in ihm den ältesten Sohn eines Lord Fairport, der die Gabe geerbt hat, jede Gefahr zu überleben,  der ein enormes Vermögen erbt, der Obersleutnant seines Regimentes ist  (und somit nicht bestraft werden kann) und obendrein die Freundschaft zu Richter und Staatsanwalt von seinem Vater geerbt hat.
Das hat Minette nicht mehr mitbekommen und leidet so sehr, dass Mrs Halifax sie in einen Sack schnüren ließ und in der Themse ertränken lassen will. Babette kann ihre Schwester nicht retten, auch Tom nicht, der beiden von der Wendung seines Schicksals berichtet. Pragmatisch verliebt er sich nun in Babette und als er das der eingeschnürten Minette beichtet, segnet sie die neue Verbindung. Ihr Edelmut hat keine Grenzen. Man möchte brechen. Wieder beenden die eintretenden Katzen eine hochemotionale Szene. Lord Puff möchte gnädig Toms Erbe als Spende für die „K.G.S.R.“ entgegennehmen, der sie zugefallen wäre, wenn Tom nicht den Anspruch darauf erhoben hätte. Doch der denkt gar nicht daran.
Als Tom in der Anwaltskanzlei sein eigenes Testament zu Babettes Gunsten unterschreiben will, wird er vom Anwaltsgehilfen Luzian, einem Fuchs, erstochen. Der eintretende Lord Puff befindet zusammen mit Staatsanwalt und Luzian auf Selbstmord und erklärt, dass das Vermögen nun der „K.G.S.R.“ zufließt – nachdem er dem Staatsanwalt die als Anwaltskosten deklarierte Bestechung zugesagt hat.
Minettes Geist erscheint dem sterbenden Tom, aber auch in ihrem letzten Duett können sie nicht zueinander finden. Das Finale gehört der Waisenmaus Louise, die die Sammelbüchse der „K.G.S.R.“ plündert, um damit nach Hause (wo auch immer das sein mag) zu finden, denn sie hat die Katzen durchschaut und fürchtet sie sei nicht nur deren pazifistisches Feigenblatt, sondern im Zweifelsfalle auch ihr lebender Nahrungsvorrat. Sie legt dem toten Tom ein Geldstück in die Tasche (für den Fährmann?) und findet zu ihrem natürlichen Charakter als Maus zurück:
„Als kleine Maus wie neu gebor'n / Stiehl ich die Milch und raub das Korn / Mit scharfen Zähnen beiß ich drein / Ich jag den Damen Schrecken ein / Auf Stühle steigen sie und schrei’n / Ich möchte ein kleiner Teufel sein.“

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Daniel Eggert (Arnold, l.), Ania Vegry (Minette), Matthias Winckhler (Tom), Ensemble

Ein geradezu überbordender Strauß von Symbolen und Anspielungen in einem Libretto, das mit feiner Komik alles auf's Korn nimmt, was Menschen tun und denken, fühlen und vortäuschen. Gern in Form von ironisch gepaarten Gegensätzen und oft als böse und/oder sympathische Ehrlichkeiten, die man eigentlich verschweigen sollte. Mit charmant verkleideten Bissigkeiten gegen Selbstdarstellung und Scheinheiligkeit von Gesellschaftsordnungen und falsch verstandenem Christentum. Und auch typisch Englisches wird karikiert: neben der besonderen Form von Contenance auch ganz Konkretes, z. B. die Szene, in der sich das Gericht zum Tee zurückzieht.
Wenn Minette einen offenen Schnürsenkel als göttliches Zeichen verstehen will, denkt man unwillkürlich an eine Szene im Monty-Python-Film „Das Leben des Brian“. Der ernährungstechnische Pseudo-Pazifismus erinnert an das weit verbreitete Wunschdenken, dass die Steaks in der Kühltruhe des Supermarktes wachsen. In einer moralischen Notsituation nicht nur die Polizei, sondern auch die „Feuerwehr“ zu rufen sorgt schon in der „Feuerzangenbowle“ für Gelächter. Die Scheidungsverhandlung bedient karikaturenhaft alle Klischees der Gerichtsbarkeit. Diese vier Bespiele seien stellvertretend für all das Viele genannt, das in dieser Oper an Bekanntes, Menschliches, Allzumenschliches und Unmenschliches erinnert und damit dem Publikum mit Humor und Ironie den Spiegel vorhält. Durch die Fabelform kann es mit einem ganz besonderen Reiz zeigen, was schon Goethe Mephisto in den Mund legt: dass der Mensch seine Vernunft dazu gebraucht „um tierischer als jedes Tier zu sein“.

Henze hat erklärt: „Weil ich an die revolutionären Kräfte in den Menschen glaube, ist es eine optimistische Musik, die lachen und weinen will und das hochverehrte Publikum zum Weinen und Lachen erweichen.“  Diese Musik bewegt sich scheinbar frei zwischen Harmonik und Atonalität, bleibt dabei aber immer gut anhörbar, ok: fast immer... Sie enthält romantisch anrührende Passagen, die gern auch mal ironisch gebrochen werden. Sie imitiert keine Tierlaute, sondern möchte Stimmungen und Atmosphären vermitteln. Einzelne Instrumente des klein besetzten Orchesters sind bestimmten Figuren zugeordnet. Nummernbezeichnungen wie „Gebet und Polka“, „Andantino und Walzerino“, „Schwur-Duett“ und „K.G.S.R.-Walzer“ unterstreichen das Humorvolle und Ironische des ganzen Werkes, dass als Nummernoper konzipiert ist.

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Ania Vegry (Minette), Daniel Eggert (Arnold), Carmen Fuggiss (Miss Crisp), Stella Motina (Mrs. Gomfit), Mareike Morr (Lady Toodle), Martin Busen (Staatsanwalt), Byung Kweon Jun (Richter), Matthias Winckhler (Tom)

Regisseurin Dagmar Schlingmann, die künftige Intendantin des Staatstheaters Braunschweig, verzerrt die Geschichte ins Groteske und interpretiert die Fabel, indem sie Hintergründiges durch Überzeichnung deutlich zu machen versucht, manchmal skurril, zuweilen absurd. In den Kostümen aus der vorletzten Jahrhundertwende von Ellen Hofmann stecken keine Katzenköpfe, sondern Menschen einer degenerierten, heruntergekommenen Gesellschaft, die immer mal wieder in Verhaltensweisen und Gesten von Katzen verfallen und deren Frisuren Katzenohren andeuten. Sind es Mensch gewordene Tiere, deren Animalisches doch wieder hervortritt? Die Grenzen zwischen Mensch und Katze sind schwimmend  und durch groteske Überzeichnung entsteht eine Distanz, durch die der Zuschauer individuelles und gesellschaftlich menschliches Verhalten wiedererkennen kann, ohne das Gefühl zu haben, dass ihm der Spiegel direkt vor die Nase gehalten wird. Das ist das gleiche Prinzip, nach dem auch die Fabel im Original arbeitet, die ihre Botschaft allerdings dezenter und feinsinniger vermittelt. Um ein Beispiel zu nennen: Menschen, die sich über Frauen und die Ehe mokieren, sind gewöhnlich. Wenn Katzen dies tun, bekommt das eine ganz besondere Komik.

Auch das Bühnenbild von Sabine Mader ist grotesk: ein heruntergekommener, schräg auf der Bühne schwebender Raum, in den ein Baumstamm hineingebrochen ist. Übergroße Kieselsteine liegen neben einem ausgeblichenen Teppich, der sich die hintere Wand hinaufschiebt und am vorderen Rand herunterhängt. Zu einer Flügeltür führen Treppenstufen hinauf und links befindet sich ein großer Tresor. Eine Jugendstil-Deckenleuchte ragt von der linken Wand aus seitlich in den Raum. Unter ihm befindet sich ein schmutziger Keller, in dem Louise gehalten wird. Ein „I love EU“-Aufkleber im Keller und die Zeichnung einer Katze mit „no brexit“-Schild auf der Rückseite des Hauses schlagen eine Brücke in die Gegenwart. Schwarze Müllsäcke sind allgegenwärtig.

Zur Dachszene versinkt der Raum langsam in der Unterbühne und aus dem Schnürboden schwebt eine knallrote Feuerleiter herab, auf der sich Minette vor Tom und seinem Bruder in Sicherheitsabstand bringt. Im Hintergrund sieht man die Katzentruppe und als Mondaufgang wird der Raum mit grell scheinender Deckenleuchte wieder in die Höhe gefahren. Zurück im Einheitsraum wird Minette in ihr Hochzeitskleid gesteckt. Puff schaut lüstern zu. Während Puff vom falschen Arzt untersucht wird, kaut der Pfarrer im Keller heimlich an einem großen rohen Steak. Vollkommen skurril ist die Hochzeitszeremonie inszeniert, an deren Ende der Geistliche den Eheleuten die Ringe ansteckt, deren Kästchen hinter sich wirft und Puff dem Publikum den Stinkefinger zeigt.

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Ania Vegry (Minette)

Zu Beginn des zweiten Aktes kommt Tom nicht aus dem Wasser, sondern schwebt auf der Feuerleiter vom Himmel. Nachdem  Puff die beiden entdeckt hat, sperrt er Minette in den Tresor, der inzwischen leer ist und der sich, wenn sich der Raum dreht, von der anderen Seite als Anklagebank im Scheidungsprozess zeigt. Ein starkes Bild. Warum der Staatsanwalt Arnold zur Aussage geradezu prügeln muss, ist ebenso unverständlich, wie der Umstand, dass niemand den armen Verteidiger die Fesseln abnimmt, so dass der versucht, sich die Perücke aufzusetzen, indem er sie mit den Zähnen in die Luft schleudert. Der Staatsanwalt erkennt Tom als Sohn des Lord Fairport dadurch, dass er an ihm nach Katzenmanier schnüffelt.
Minette wird nicht in einen Sack gebunden, sondern soll zwischen Müllbeuteln entsorgt werden. Tom und Babette sitzen buchstäblich auf dem Geld – auf zwei Tresoren an den Bühnenseiten. Minettes Erscheinung als Geist wirkt sehr realistisch. Ganz bezaubernd ist ihr  letzter optischer Eindruck: Sie sitzt in Katzenhaltung auf der Bühne und schaut den Himmel an. Die Ermordung Toms geschieht nicht heimlich, sondern vor Augen der ganzen Katzengesellschaft. Das gehört in den Bereich des Überdeutlichen, wobei es doch viel hintersinniger ist, dass die Katzen die bequeme Lüge „Selbstmord“ einfach glauben wollen – so unwahrscheinlich sie auch sein mag.
Während des zweiten Aktes huschen im Dunkel immer wieder Mäuse über die Bühne, was wie der Beginn einer Revolution wirkt. Zu deren Anführerin wird Louise, die während der ganzen Geschichte auf der Bühne präsent ist, leicht abseits, beobachtend. Sie hat aus dem, was sie gesehen hat, den wahren Charakter der scheinheiligen Katzen erkannt und will jetzt nicht nur einfach fliehen, sondern auch zu ihrem eigentlichen Leben zurückfinden. Aber nicht, um die Welt zu verbessern, sondern um sich selbst ihr Stück vom Kuchen zu holen. Und das bekräftigt sie mit einem kraftvollen Mäusepiepen neben ihren Mäusegeschwistern. Dieser Revolution schließt sich auch der Mauszeiger der Übertextanlage an, indem er eigenwillig über das Display tanzt.

Die Müll-Ästhetik wird ja immer wieder gern genommen, doch gerade hier wirkt sie besonders befremdlich, denn eigentlich leben diese Katzen in einem Wohlstand, aus dem heraus sie dekadent geworden sind. Auch erklärt es sich nicht, dass sie  ihr Alibi-Mäuschen im schmutzigen Keller halten. Als Aushängeschild ihrer Wohltätigkeit sollte Louise doch gehätschelt und getätschelt werden – auch, wenn sie alle mit der Aufzählung ihrer gefressenen Verwandtschaft immer wieder nervt. Aber vielleicht ist sie ja auch nur ein Vorführobjekt, das ansonsten unterdrückt und misshandelt wird.
Auch die meisten Charaktere sieht die Regisseurin etwas anders. So ist Minette kein braves, schüchternes Mädchen vom Lande, sondern eine recht selbstbewusste und zuweilen energische junge Frau mit Zickenanteilen, die ihrer notleidenden Schwester nicht das Geld gibt, das Puff ihr für ein neues Kleid gegeben hat, sondern einfach welches aus dem Tresor stiehlt. Während Lord Puff im Original ein bequemer alter Herr ist, der die Hochzeit gänzlich unromantisch und rein pragmatisch sieht, ist er hier ein alter Geck, der sich liebeswerbend zum Affen macht.

Indem die Inszenierung die Fabel auflöst und doch eher menschliche statt tierische Figuren  zeigt (Hunde und Schaf gibt es nicht, lediglich die Vögel sind erkennbar, wenn auch karikaturenhaft überzogen), Charaktere umformt, die Gesellschaft nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich verarmt darstellt und sich des Stilmittels der grotesken Überzeichnung bedient, nimmt sie dem Stück einen Großteil seines Zaubers, seiner Subtilität, seines Charmes. Das ist zwar durchaus eine Interpretationsmöglichkeit, bei einem so selten gespielten Werk wie Die englische Katze aber doch besonders schade.

Ania Vegry ist eine großartige Minette. Ihr in den Koloraturen höchst geläufiger Sopran hat  Wärme und Substanz, Ausdruckskraft und Intonationssicherheit. Mit Matthias Winckhler als Tom hat sie einen adäquaten Partner, der mit hoher Stimmkultur und ausgesprochen schönem Timbre nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Julia Sitkovetsky ist eine bezaubernde Louise und mit ihrer glasklaren, anrührenden Stimme geradezu eine Idealbesetzung der kleinen Waisenmaus. Daniel Eggert ist ein stimmvoller und wohlklingender Arnold, Sung-Keun Park ein uriger, stimmakrobatischer Lord Puff, der aber in der Höhe etwas eng klingt. Aus dem gut aufeinander abgestimmten, ebenso spielfreudigen wie gesanglich hoch engagierten Ensemble lässt Martin Busen als Staatsanwalt und Mr. Plunkett besonders aufhorchen. Die besondere Herausforderung der modernen Musik meistert das Ensemble mit Bravour und hinterlässt in jedem Moment den Eindruck von Sicherheit und Souveränität, was ebenso für das Staatsorchester Hannover unter der Leitung von Mark Rohde gilt, der die zuweilen doch sehr wirren musikalischen Fäden fest in der Hand hält und dabei auch der  ungewöhnlich großen Vielfalt von musikalischen Stimmungen und Ausdrucksformen gerecht wird.

FAZIT

Eine höchst lebendige Produktion einer viel zu selten gespielten Rarität des modernen Musiktheaters, insbesondere musikalisch auf hohem Niveau



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Mark Rohde

Inszenierung
Dagmar Schlingmann

Bühne
Sabine Mader

Kostüme
Ellen Hofmann

Licht
Susanne Reinhardt

Dramaturgie
Klaus Angermann

 

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover

Solisten

Lord Puff
Sung-Keun Park

Arnold
Daniel Eggert

Lousie
Julia Sitkovetsky

Mr. Keen / Peter / Verteidiger /
Pfarrer / Luzian
Edward Mout

Mr. Jones / Mr. Fawn/Richter
Byung Kweon Jun

Mr. Plunkett / Der Staatsanwalt
Martin Busen

Miss Crisp
Carmen Fuggiss

Mrs. Gomfit
Stella Motina

Lady Toodle
Mareike Morr

Minette
Ania Vegry

Babette
Hanna Larissa Naujoks

Tom
Matthias Winckhler



Weitere Informationen
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