Ein ganz grosser Wurf

Das Stadttheater Bern wird nach gut zweijähriger Sanierung mit Mozarts Oper «Le Nozze di Figaro» wiedereröffnet – und alle staunen am Premierenabend vor Glück über das neue alte Haus.

Christian Wildhagen, Bern
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Almaviva (Todd Boyce) träumt vom «Ius primae noctis» mit Susanna (Oriane Pons) – zum Entsetzen der Gräfin. (Bild: Annette Boutellier)

Almaviva (Todd Boyce) träumt vom «Ius primae noctis» mit Susanna (Oriane Pons) – zum Entsetzen der Gräfin. (Bild: Annette Boutellier)

Frau Berna tritt diesmal nicht persönlich auf. Auch Apoll und die Musen bleiben, anders als 1903, vorsorglich in den Kulissen. Dabei riecht und glänzt und leuchtet hier alles so neu, als wäre dieses Schatzkästlein nicht würdige 113 Jahre alt, sondern gerade erst fertig geworden. Das Stadttheater Bern hat am Samstag, nach gut zweijähriger Renovation und acht Monaten Exil in der Ausweichspielstätte «Kubus», seine Pforten wieder geöffnet. Das Ergebnis ist, man kann es zurückhaltender nicht sagen, eine wahre Pracht und eine grosse Freude – und darf überdies künftig als Massstab gelten für die Sanierung anderer Theater- und Konzerthäuser aus der Zeit der Jahrhundertwende.

Nur fertig ist man, streng genommen, noch längst nicht; denn zum einen ist am Theater naturgemäss immer irgendetwas sanierungsbedürftig, und konkret wird man im Mai 2017 noch einmal für einige Wochen schliessen müssen, um nach der Bühne und den Foyers dann endlich auch den Garderobenbereich für die Mitwirkenden auf einen menschenwürdigen Stand zu bringen.

Mutig und gross gedacht

Gleichwohl stand für Stephan Märki, den Intendanten von «Konzert Theater Bern», und sein Leitungsteam fest: Wir eröffnen noch in diesem Jahr – auch um die Geduld und die starke Identifikation der Bevölkerung mit ihrem Stadttheater nicht länger zu strapazieren. In den Reden zur Wiedereröffnung wollte sich denn auch niemand mehr über Gebühr bei den insgesamt 45 Millionen Franken aufhalten, die für die überfällige Rundum-Renovation des zuletzt 1984 teilsanierten Hauses aufzubringen waren.

Für dieses Geld hat man nicht nur eine wieder voll funktionsfähige Bühnentechnik auf modernstem Stand (mit allein achtzig Kilometern an neu verlegten Kabeln) sowie einen neuen Vorhang bekommen. Man hat weit grösser und mutiger gedacht – so, wie man sich dies etwa auch für die anstehende Sanierung der Zürcher Tonhalle wünschen würde.

Das Stadttheater Bern
ist künftig ein Massstab
für die Sanierung anderer
Theater- und Konzerthäuser.

In Bern wurde die gesamte Bestuhlung ausgetauscht und an die geänderten Erwartungen punkto Beinfreiheit und Sitzkomfort angepasst – was die Zahl der Plätze immerhin um fast hundert reduziert hat (auf nun 688). Darüber hinaus hat man die eigens entwickelten Stühle in den Rängen besser auf die Bühne ausgerichtet.

Vor allem aber hat man den Mut gehabt, die Akustik des Hauses von Grund auf zu durchdenken. Der Münchner Akustiker Karlheinz Müller, der unter anderem in den neunziger Jahren an der Innensanierung des Bayreuther Festspielhauses beteiligt war, hat die Wandverkleidungen des Zuschauerraums durch nahezu unsichtbare «Fliegengitter» ersetzt, hinter denen Hallkammern unerwünschte Reflexionen schlucken. Auch über dem nunmehr in Grösse, Höhe und Tiefe variablen Orchestergraben sorgen – stilistisch etwas grob geratene – Akustiksegel für eine bessere Projektion des Klanges.

Ein höheres Ganzes

Alle diese Verbesserungen kamen bei der Eröffnungspremiere von Mozarts Oper «Le Nozze di Figaro» sogleich zur Geltung. Chefdirigent Kevin John Edusei führt das Berner Symphonieorchester mit straffen, aber atmenden Tempi durch Mozarts unerschöpflich reiche Partitur; gespielt wird mit wenig Vibrato, pointiert im Forte, etwas farbenarm im noch nicht voll ausgeschöpften Piano-Bereich. Der Gesamtklang ist direkt, eher trocken, aber nie hart und erinnert an das federnde, mitreissende Brio in klassischen Stadttheatern Italiens (mit denen das Berner Haus ja auch sonst Ähnlichkeiten hat).

Anders als dort dominieren die Stimmen allerdings nicht, sondern fügen sich harmonisch in den Orchesterklang. Für Mozart erscheint dies ideal – ob das für grösser besetzte Werke ebenso gilt, wird sich bei «Faust» und «Tannhäuser» im Frühjahr zeigen. Beste Stadttheater-Tradition ist auch bei den Sängerleistungen an diesem Abend zu hören, nämlich eine wirkliche Ensemble-Aufführung, in der zwar jede mit jedem wetteifert, aus der am Ende aber doch ein höheres Ganzes entsteht.

Todd Boyce ist darin ein selbstbewusster, keineswegs bloss triebgesteuerter Graf Almaviva (der äusserlich verblüffend Barbara Kraffts bekanntem Mozart-Porträt ähnelt). Sophie Gordeladze gibt eine empfindsame Gräfin mit blassem Teint. Umso lebensfroher wirken die immer freier agierende Susanna von Oriane Pons und der resolute Figaro von Jordan Shanahan (der oft hinter dem Schlag singt). Entzückend der liebestolle Cherubino von Eleonora Vacchi und die freche, stimmig aufgewertete Barbarina von Daniela Ruth Stoll.

In Szene gesetzt hat sie und das übrige spielfreudige Ensemble der Regisseur Markus Bothe im Bühnenbild von Kathrin Frosch (das stolz die neuen Hubpodien vorführt). Erzählt wird ohne Mätzchen, mit ein paar klugen Pointen, etwa wenn Bothe die meist gestrichene «Asino»-Arie Basilios (köstlich: Andries Cloete) sinnstiftend in den ersten Akt vorzieht. Noch sinniger erzählt an diesem Abend allerdings die Pianistin Sonja Lohmiller an ihrem Hammerklavier (das mit Hilfe eines Mäzens erworben werden konnte): Dieses hinreissend originelle Continuo-Spiel wäre eine Zierde für viele weit grössere Opernhäuser!